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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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hat, uns so merkwürdig wäre. Wie wenig der forcirte Katholicismus der
späteren Frau Friedrich Schlegel eine Schranke zwischen Beiden oder vielmehr
für Louise Seidler sein konnte, haben wir schon gesehen. Wir wollen nur
noch hinzufügen, daß ihre auf die zarteste, aus dem Gemüth geborene Huma¬
nität gegründete Toleranz gegen die anmaßliche Bekehrungssucht der Freundin
mitunter auf sehr harte Proben gestellt worden zu sein scheint, aber alle
gleichsam spielend, ohne rechtes Bewußtsein der zu" Grunde liegenden krank¬
haften Verzerrung in der Seele der Freundin glücklich bestanden hat. Daß
einmal auch der erste Apostel dieses Neukatholicismus von damals, Friedrich
Schlegel selbst, im Jahre 1819 in ihr idealisch-schönes römisches Künstlerleben
einen seltsamen Mißklang brachte, weil er auch in Rom das sein wollte, was
er in Wien geworden war, der feurigste Apostel der Gastronomie oder deutsch
der grenzenlosesten Gefräßigkeit, sei nur für die erwähnt, die sich an pikanten
Anecdoten laben. Die Sache selbst ist ja bekannt genug.

So reihen sich diese Bilder aus Jena als willkommene Ergänzung zu¬
nächst an die schon erwähnten Fr. Frommann's und zeigen wieder, welche
unerschöpfliche Fülle des inhaltreichsten und wirksamsten Stoffes unserer Lite¬
ratur- und Culturgeschichte hier immer aus neuen Quellen zuströmt, wenn
sie nur in Fluß kommen. Wir sonst so schreibseligen Deutschen sind aber
gerade in solchen Mittheilungen, die aus dem frischen Leben geschöpft
lebendige Menschen betreffen, äußerst zurückhaltend, vielleicht weniger, weil
wir, wie man behauptet, zu ungeschickt wären die dazu passende Form zu
finden, als weil wir in unseren kleinbürgerlichen Vorurtheilen vor allem,
was wie ein indiscretes Berühren persönlicher Verhältnisse aussieht, wenigstens
auf dem Papier eine so zarte Scheu haben. Es will uns noch immer nicht
begreiflich werden, daß auch das, was der Einzelne erlebt und gesehen hat,
ebenso gut zur Geschichte gehören kann, wie das, was auf dem großen Welt¬
theater und von dessen berufenen Acteurs dargestellt wird. Wahrscheinlich ist
selbst diese von uns mit so lebhaftem Danke begrüßte Erzählerin in demselben
Falle gewesen, denn auch sie scheint ihre Aufzeichnungen nur zu eigener Er¬
frischung in der Stille ihres Kämmerleins gemacht zu haben. Daß sie je in
die Oeffentlichkeit treten sollten, wäre ihr vielleicht ein peinlicher Gedanke ge¬
wesen und doch hätte sie, der die subtilste Discretion von der Natur selbst
mitgegeben war, keine Besorgniß haben dürfen, daß ihre zarte Feder irgend
wo oder irgend wen verletzen können

Doch kehren wir noch einmal nach "Weimar-Jena der großen Stadt"
zurück, die, wie billig alle andern Schauplätze der künstlerischen und menschlichen
Liebenswürdigkeit unserer Freundin überstrahlt, selbst Rom nicht ausgenommen,
was sie selbst wohl nicht zugestehen möchte. Aber gegen den einen Goethe
wiegen uns doch die Veit, Overbeck, Koch, Schinz. ja selbst die Schmorr,


hat, uns so merkwürdig wäre. Wie wenig der forcirte Katholicismus der
späteren Frau Friedrich Schlegel eine Schranke zwischen Beiden oder vielmehr
für Louise Seidler sein konnte, haben wir schon gesehen. Wir wollen nur
noch hinzufügen, daß ihre auf die zarteste, aus dem Gemüth geborene Huma¬
nität gegründete Toleranz gegen die anmaßliche Bekehrungssucht der Freundin
mitunter auf sehr harte Proben gestellt worden zu sein scheint, aber alle
gleichsam spielend, ohne rechtes Bewußtsein der zu« Grunde liegenden krank¬
haften Verzerrung in der Seele der Freundin glücklich bestanden hat. Daß
einmal auch der erste Apostel dieses Neukatholicismus von damals, Friedrich
Schlegel selbst, im Jahre 1819 in ihr idealisch-schönes römisches Künstlerleben
einen seltsamen Mißklang brachte, weil er auch in Rom das sein wollte, was
er in Wien geworden war, der feurigste Apostel der Gastronomie oder deutsch
der grenzenlosesten Gefräßigkeit, sei nur für die erwähnt, die sich an pikanten
Anecdoten laben. Die Sache selbst ist ja bekannt genug.

So reihen sich diese Bilder aus Jena als willkommene Ergänzung zu¬
nächst an die schon erwähnten Fr. Frommann's und zeigen wieder, welche
unerschöpfliche Fülle des inhaltreichsten und wirksamsten Stoffes unserer Lite¬
ratur- und Culturgeschichte hier immer aus neuen Quellen zuströmt, wenn
sie nur in Fluß kommen. Wir sonst so schreibseligen Deutschen sind aber
gerade in solchen Mittheilungen, die aus dem frischen Leben geschöpft
lebendige Menschen betreffen, äußerst zurückhaltend, vielleicht weniger, weil
wir, wie man behauptet, zu ungeschickt wären die dazu passende Form zu
finden, als weil wir in unseren kleinbürgerlichen Vorurtheilen vor allem,
was wie ein indiscretes Berühren persönlicher Verhältnisse aussieht, wenigstens
auf dem Papier eine so zarte Scheu haben. Es will uns noch immer nicht
begreiflich werden, daß auch das, was der Einzelne erlebt und gesehen hat,
ebenso gut zur Geschichte gehören kann, wie das, was auf dem großen Welt¬
theater und von dessen berufenen Acteurs dargestellt wird. Wahrscheinlich ist
selbst diese von uns mit so lebhaftem Danke begrüßte Erzählerin in demselben
Falle gewesen, denn auch sie scheint ihre Aufzeichnungen nur zu eigener Er¬
frischung in der Stille ihres Kämmerleins gemacht zu haben. Daß sie je in
die Oeffentlichkeit treten sollten, wäre ihr vielleicht ein peinlicher Gedanke ge¬
wesen und doch hätte sie, der die subtilste Discretion von der Natur selbst
mitgegeben war, keine Besorgniß haben dürfen, daß ihre zarte Feder irgend
wo oder irgend wen verletzen können

Doch kehren wir noch einmal nach „Weimar-Jena der großen Stadt"
zurück, die, wie billig alle andern Schauplätze der künstlerischen und menschlichen
Liebenswürdigkeit unserer Freundin überstrahlt, selbst Rom nicht ausgenommen,
was sie selbst wohl nicht zugestehen möchte. Aber gegen den einen Goethe
wiegen uns doch die Veit, Overbeck, Koch, Schinz. ja selbst die Schmorr,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/453>, abgerufen am 26.08.2024.