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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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politischer Körperschaften zu Gaste. Als größere derartige Versammlung steht
uns demnächst ein deutscher Gewerbekammertag bevor, während der fünfte
Congreß deutscher Landwirthe in der vorigen Woche hier zusammengetreten
war. Was das Sachliche der Verhandlungen des letztern betrifft, so haben
sie auf den unbetheiligten Zuschauer -- und als solchen muß sich der Schreiber
dieser Zeilen betrachten -- nur einen wenig erbaulichen Eindruck machen
können. Den Debatten über das landwirthschaftliche Unterrichtswesen mangelte
es gar sehr an Klarheit und Bestimmtheit; unwillkürlich beschlich Einen das
Gefühl, als handelte es sich um für eine Erledigung noch bei weitem nicht
reise Dinge. Bei Gelegenheit der Erörterung der ländlichen Arbeiterfrage
machten sich die Aerarpolitiker, die adligen Zwillingsbrüder der Socialdemo¬
kraten, in der bedenklichsten Weise bereit. Es gewann den Anschein, als ob
über kurz oder lang der Congreß sein Programm "Wahrnehmung der land-
wirthschaftlichen Interessen" in "Wahrnehmung der landwirtschaftlichen In¬
teressen durch politische Mittel", "Einrichtung der gesammten Gesetzgebung
nach den specifischen Bedürfnissen der Landwirthschaft" umändern, als ob man
an die Stelle des staatsbürgerlichen Pflichtbewußtseins den bornirtesten Klassen^
egoismus setzen werde. Sollte diese Richtung im Congreß wirklich die herr¬
schende werden, dann dürften die Tage desselben gezählt sein. Erfreulicher
war eine andere Seite des Congresses, das Erscheinen und die Haltung der
Deputirten der landwirtschaftlichen Vereine in Elsaß-Lothringen. Während
im Reichstage die Herren Teutsch. Gerber und Winterer gegen die Annexion
protestirten und wehklagten um das verlorene französische Vaterland, predigte
im landwirthschaftlichen Congreß Graf Dürckheim seinen Landsleuten die
Nothwendigkeit des loyalen Anschlusses an Deutschland. Nicht zum ersten
Male folgte der wackere Mann, der in seiner Heimath Fröschweiler die ganze
Härte des Krieges zu erdulden gehabt, dem Zuge seines noch am alten Mutter¬
lande hängenden Herzens; seit der Einnahme Straßburgs hat er ohne Scheu
wieder und wieder die gleiche Mahnung erlassen. Und ist er auch, wie wir
ja nur zu gut wissen, bis auf den heutigen Tag ein Prediger in der Wüste
geblieben, so gebührt dem beherzter Manne und der kleinen Schaar, die seine
Anschauung offen theilt, dennoch, oder vielmehr gerade deshalb erst recht die
Achtung und der Dank der deutschen Nation.

Ueber die oratorischen Leistungen der elsässischen Reichstagsabgeordneten
ist nicht an dieser Stelle zu berichten. Aber die drastische Gesticulation. das
berechnete Pathos und die zwerchfellerschütternden Rodomontaden der Herren
Teutsch und Genossen erinnern mich an eine Figur, welche, von einem der
feinsten Beobachter französischer Typen, Victorien Sardon, gezeichnet, uns
gegenwärtig auf den Brettern des hiesigen Stadttheaters vorgeführt wird --


politischer Körperschaften zu Gaste. Als größere derartige Versammlung steht
uns demnächst ein deutscher Gewerbekammertag bevor, während der fünfte
Congreß deutscher Landwirthe in der vorigen Woche hier zusammengetreten
war. Was das Sachliche der Verhandlungen des letztern betrifft, so haben
sie auf den unbetheiligten Zuschauer — und als solchen muß sich der Schreiber
dieser Zeilen betrachten — nur einen wenig erbaulichen Eindruck machen
können. Den Debatten über das landwirthschaftliche Unterrichtswesen mangelte
es gar sehr an Klarheit und Bestimmtheit; unwillkürlich beschlich Einen das
Gefühl, als handelte es sich um für eine Erledigung noch bei weitem nicht
reise Dinge. Bei Gelegenheit der Erörterung der ländlichen Arbeiterfrage
machten sich die Aerarpolitiker, die adligen Zwillingsbrüder der Socialdemo¬
kraten, in der bedenklichsten Weise bereit. Es gewann den Anschein, als ob
über kurz oder lang der Congreß sein Programm „Wahrnehmung der land-
wirthschaftlichen Interessen" in „Wahrnehmung der landwirtschaftlichen In¬
teressen durch politische Mittel", „Einrichtung der gesammten Gesetzgebung
nach den specifischen Bedürfnissen der Landwirthschaft" umändern, als ob man
an die Stelle des staatsbürgerlichen Pflichtbewußtseins den bornirtesten Klassen^
egoismus setzen werde. Sollte diese Richtung im Congreß wirklich die herr¬
schende werden, dann dürften die Tage desselben gezählt sein. Erfreulicher
war eine andere Seite des Congresses, das Erscheinen und die Haltung der
Deputirten der landwirtschaftlichen Vereine in Elsaß-Lothringen. Während
im Reichstage die Herren Teutsch. Gerber und Winterer gegen die Annexion
protestirten und wehklagten um das verlorene französische Vaterland, predigte
im landwirthschaftlichen Congreß Graf Dürckheim seinen Landsleuten die
Nothwendigkeit des loyalen Anschlusses an Deutschland. Nicht zum ersten
Male folgte der wackere Mann, der in seiner Heimath Fröschweiler die ganze
Härte des Krieges zu erdulden gehabt, dem Zuge seines noch am alten Mutter¬
lande hängenden Herzens; seit der Einnahme Straßburgs hat er ohne Scheu
wieder und wieder die gleiche Mahnung erlassen. Und ist er auch, wie wir
ja nur zu gut wissen, bis auf den heutigen Tag ein Prediger in der Wüste
geblieben, so gebührt dem beherzter Manne und der kleinen Schaar, die seine
Anschauung offen theilt, dennoch, oder vielmehr gerade deshalb erst recht die
Achtung und der Dank der deutschen Nation.

Ueber die oratorischen Leistungen der elsässischen Reichstagsabgeordneten
ist nicht an dieser Stelle zu berichten. Aber die drastische Gesticulation. das
berechnete Pathos und die zwerchfellerschütternden Rodomontaden der Herren
Teutsch und Genossen erinnern mich an eine Figur, welche, von einem der
feinsten Beobachter französischer Typen, Victorien Sardon, gezeichnet, uns
gegenwärtig auf den Brettern des hiesigen Stadttheaters vorgeführt wird —


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[0444] politischer Körperschaften zu Gaste. Als größere derartige Versammlung steht uns demnächst ein deutscher Gewerbekammertag bevor, während der fünfte Congreß deutscher Landwirthe in der vorigen Woche hier zusammengetreten war. Was das Sachliche der Verhandlungen des letztern betrifft, so haben sie auf den unbetheiligten Zuschauer — und als solchen muß sich der Schreiber dieser Zeilen betrachten — nur einen wenig erbaulichen Eindruck machen können. Den Debatten über das landwirthschaftliche Unterrichtswesen mangelte es gar sehr an Klarheit und Bestimmtheit; unwillkürlich beschlich Einen das Gefühl, als handelte es sich um für eine Erledigung noch bei weitem nicht reise Dinge. Bei Gelegenheit der Erörterung der ländlichen Arbeiterfrage machten sich die Aerarpolitiker, die adligen Zwillingsbrüder der Socialdemo¬ kraten, in der bedenklichsten Weise bereit. Es gewann den Anschein, als ob über kurz oder lang der Congreß sein Programm „Wahrnehmung der land- wirthschaftlichen Interessen" in „Wahrnehmung der landwirtschaftlichen In¬ teressen durch politische Mittel", „Einrichtung der gesammten Gesetzgebung nach den specifischen Bedürfnissen der Landwirthschaft" umändern, als ob man an die Stelle des staatsbürgerlichen Pflichtbewußtseins den bornirtesten Klassen^ egoismus setzen werde. Sollte diese Richtung im Congreß wirklich die herr¬ schende werden, dann dürften die Tage desselben gezählt sein. Erfreulicher war eine andere Seite des Congresses, das Erscheinen und die Haltung der Deputirten der landwirtschaftlichen Vereine in Elsaß-Lothringen. Während im Reichstage die Herren Teutsch. Gerber und Winterer gegen die Annexion protestirten und wehklagten um das verlorene französische Vaterland, predigte im landwirthschaftlichen Congreß Graf Dürckheim seinen Landsleuten die Nothwendigkeit des loyalen Anschlusses an Deutschland. Nicht zum ersten Male folgte der wackere Mann, der in seiner Heimath Fröschweiler die ganze Härte des Krieges zu erdulden gehabt, dem Zuge seines noch am alten Mutter¬ lande hängenden Herzens; seit der Einnahme Straßburgs hat er ohne Scheu wieder und wieder die gleiche Mahnung erlassen. Und ist er auch, wie wir ja nur zu gut wissen, bis auf den heutigen Tag ein Prediger in der Wüste geblieben, so gebührt dem beherzter Manne und der kleinen Schaar, die seine Anschauung offen theilt, dennoch, oder vielmehr gerade deshalb erst recht die Achtung und der Dank der deutschen Nation. Ueber die oratorischen Leistungen der elsässischen Reichstagsabgeordneten ist nicht an dieser Stelle zu berichten. Aber die drastische Gesticulation. das berechnete Pathos und die zwerchfellerschütternden Rodomontaden der Herren Teutsch und Genossen erinnern mich an eine Figur, welche, von einem der feinsten Beobachter französischer Typen, Victorien Sardon, gezeichnet, uns gegenwärtig auf den Brettern des hiesigen Stadttheaters vorgeführt wird —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/444>, abgerufen am 25.12.2024.