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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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tungen wird man jedoch hoffen dürfen, daß es sich um ein nicht bedenkliches
Unwohlsein handelt.*) Immerhin ist die ernste Besorgniß, welche jene Kunde
sofort hervorrief, für die öffentliche Stimmung sehr bezeichnend. Nicht als
ob man aus politischen Rücksichten den Thronwechsel fürchtete. Wie viel
auch die Feinde des gegenwärtigen Regimes von einem solchen Umschwunge
gehofft haben und noch heute hoffen mögen, in den reichsfreundlichen und
freisinnigen Kreisen ist man vollkommen beruhigt darüber, daß der künftige
Kaiser von der echten Hohenzollernpolitik nicht abweichen, daß unter dem
fünften Friedrich Wilhelm jedenfalls nicht die Aera seines unmittelbaren
NamenSvorgängers wiederkehren wird. Nein, was unserm Volke den Wunsch
eingiebt, den Monarchen, der am 22. d. M. sein 77. Lebensjahr vollendet,
noch längere Dauer auf dem Throne zu sehen, das ist die aufrichtige Ver¬
ehrung vor dem Manne, welcher der Vertreter alles dessen, was den Kern
unserer Nation bewegt, recht eigentlich der Ausdruck unserer Zeit geworden
ist. Ihm war nicht nur beschicken, das Hoffen und Harren nach dem neuen
Reich zu erfüllen, unter dessen mächtigem Schutze die schöpferischen Kräfte der
gesammten Nation zu des Volkes löblicher Wohlfahrt zusammenwirken sollen,
er hat auch die Vertheidigung jener geistigen Güter übernommen, die uns
als köstliches Vermächtniß der unvergeßlichsten Epoche unserer Geschichte theuer
als die in Strömen von Blut erstrittene Errungenschaft unserer Väter hei¬
lig sind. Die Blätter, welche Kaiser Wilhelm in diesem geistigen Kampfe
seinem Lorberkranze eingefügt, werden, wie die auf dem Schlachtfelde ge¬
wonnenen, nicht verwelken, solange eine Geschichte unseres Volkes besteht,
werden auch den spätesten Geschlechtern noch verständlich sein. Und als solches
Blatt, als eine That echt deutschen Geistes, wird in diesem Augenblicke in
allen deutschen Landen und weit darüber hinaus der neueste Kaiserbrief ge¬
würdigt. Wie ein Blitzschlag hat er die Reihen der Feinde getroffen.

Soeben erst, obwohl der Briefwechsel des Kaisers mit dem Papste noch
in frischer Erinnerung stand, hatte unter den Römlingen aufs neue die
Hoffnung auf einen faulen Frieden mit der Krone Boden gewonnen; ihre
nicht zum ersten Male versuchten Unterwühlungen des Hofterrains waren in
voller Activität. Wie furchtbar aber ward dies listige Gewebe durch des
Kaisers Brief an Earl Russell zerrissen! So unumwunden, so gewaltig über¬
zeugend war es bisher niemals ausgesprochen worden, daß es dem Kaiser
heiliger Ernst ist mit dem Kampfe, den der Ultramontanismus ihm so leicht-
fertig aufgezwungen. Jener erheuchelten Naivetät, mit welcher die Gegner
die Welt noch immer glauben machen wollen, daß die Neuerungen im Wesen
der römisch-katholischen Kirche, vor deren verderblichen Folgen deutsche Bischöfe



D, Red, ^) Der Kaiser ist inzwischen im geschlossenen Wagen wieder ausgefahren,

tungen wird man jedoch hoffen dürfen, daß es sich um ein nicht bedenkliches
Unwohlsein handelt.*) Immerhin ist die ernste Besorgniß, welche jene Kunde
sofort hervorrief, für die öffentliche Stimmung sehr bezeichnend. Nicht als
ob man aus politischen Rücksichten den Thronwechsel fürchtete. Wie viel
auch die Feinde des gegenwärtigen Regimes von einem solchen Umschwunge
gehofft haben und noch heute hoffen mögen, in den reichsfreundlichen und
freisinnigen Kreisen ist man vollkommen beruhigt darüber, daß der künftige
Kaiser von der echten Hohenzollernpolitik nicht abweichen, daß unter dem
fünften Friedrich Wilhelm jedenfalls nicht die Aera seines unmittelbaren
NamenSvorgängers wiederkehren wird. Nein, was unserm Volke den Wunsch
eingiebt, den Monarchen, der am 22. d. M. sein 77. Lebensjahr vollendet,
noch längere Dauer auf dem Throne zu sehen, das ist die aufrichtige Ver¬
ehrung vor dem Manne, welcher der Vertreter alles dessen, was den Kern
unserer Nation bewegt, recht eigentlich der Ausdruck unserer Zeit geworden
ist. Ihm war nicht nur beschicken, das Hoffen und Harren nach dem neuen
Reich zu erfüllen, unter dessen mächtigem Schutze die schöpferischen Kräfte der
gesammten Nation zu des Volkes löblicher Wohlfahrt zusammenwirken sollen,
er hat auch die Vertheidigung jener geistigen Güter übernommen, die uns
als köstliches Vermächtniß der unvergeßlichsten Epoche unserer Geschichte theuer
als die in Strömen von Blut erstrittene Errungenschaft unserer Väter hei¬
lig sind. Die Blätter, welche Kaiser Wilhelm in diesem geistigen Kampfe
seinem Lorberkranze eingefügt, werden, wie die auf dem Schlachtfelde ge¬
wonnenen, nicht verwelken, solange eine Geschichte unseres Volkes besteht,
werden auch den spätesten Geschlechtern noch verständlich sein. Und als solches
Blatt, als eine That echt deutschen Geistes, wird in diesem Augenblicke in
allen deutschen Landen und weit darüber hinaus der neueste Kaiserbrief ge¬
würdigt. Wie ein Blitzschlag hat er die Reihen der Feinde getroffen.

Soeben erst, obwohl der Briefwechsel des Kaisers mit dem Papste noch
in frischer Erinnerung stand, hatte unter den Römlingen aufs neue die
Hoffnung auf einen faulen Frieden mit der Krone Boden gewonnen; ihre
nicht zum ersten Male versuchten Unterwühlungen des Hofterrains waren in
voller Activität. Wie furchtbar aber ward dies listige Gewebe durch des
Kaisers Brief an Earl Russell zerrissen! So unumwunden, so gewaltig über¬
zeugend war es bisher niemals ausgesprochen worden, daß es dem Kaiser
heiliger Ernst ist mit dem Kampfe, den der Ultramontanismus ihm so leicht-
fertig aufgezwungen. Jener erheuchelten Naivetät, mit welcher die Gegner
die Welt noch immer glauben machen wollen, daß die Neuerungen im Wesen
der römisch-katholischen Kirche, vor deren verderblichen Folgen deutsche Bischöfe



D, Red, ^) Der Kaiser ist inzwischen im geschlossenen Wagen wieder ausgefahren,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/442>, abgerufen am 25.12.2024.