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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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führung des neuen Packettarifs der Reichspost ist, von manchen Seiten
mit dem gewohnten Rüstzeug der lauäatorös acti temxoris entgegengetreten
wird. Bald muß die mit dem Einheitsporto nothwendig verknüpfte ge¬
ringfügige Erhöhung der Localtare, bald der Zuschlag für unfrankirte Sen¬
dungen, bald die Beifügung der Post-Packetadressen, welche auf die geschäft¬
lichen Gewohnheiten störend wirken könnte, den Angriffspunkt abgeben. Da¬
bei werden die so überwiegenden Vortheile des an die Stelle vielstufiger, in
jedem deutschen Ländchen anders gestalteter Taxen getretenen Einheits"
Tarifs übersehen und der Werth und Nutzen bestimmter Verkehrsformen für
die Ordnung und Sicherheit unterschätzt.

Das Bedeutendste indeß in irrthümlicher Auffassung der neuen Tarif¬
form leistet ein im Märzheft Ur. 3 des "Magazins für den deutschen
Buchhandel" erschienener Artikel: "Der Zehnpfundtarif der Reichspost und
der Buchhandel", dessen Inhalt ein treffender Beleg für das geflügelte Wort
ist: "Was sie den Geist der Zeiten nennen, das ist im Grund der Herren
eigner Geist." Denn dasjenige, was der Verfasser dieses Artikels als den
Geist der Reform ansieht oder was er darüber aus einem zur Würdigung
derselben in den "Grenzboten" seinerzeit*) veröffentlichten Aufsatze entnehmen
zu sollen geglaubt hat, ist sein subjectives Geistesproduct. Unbegreiflich er¬
scheint es, wie unsere durch die Erfahrung der letzten Monate bestätigte
Annahme: "daß die Erleichterung des Austausches materieller und gei¬
stiger Güter, welchen der neue Tarif befördere, auf das wirthschaftliche und
sociale Leben in Deutschland einen merklichen Einfluß ausüben und auch für
die Entwickelung des buchhändlerischen Verkehrs wichtig sein
werde", -- der Auffassung hat Raum geben können: diese Postreform wolle
die deutschen buchhändlerischen Einrichtungen "gefährden" oder "über¬
flüssig machen". Allerdings kommen bei einer ganz Deutschland um¬
fassenden Tarifreform nicht die Verhältnisse einer einzelnen Berufsklasse
oder eines bestimmten Geschäftszweiges, sei derselbe auch noch so bedeutend,
in Betracht, sondern die Bedürfnisse des allgemeinen Verkehrs.
Die Nation hatte ein Anrecht auf einen einfachen, Jedem verständlichen
Packeltarif, welcher der Pflege der Verkehrsbeziehungen im weitesten Umfange
Vorschub zu leisten geeignet ist. Von diesem Gesichtspunkte aus muß die
Reform gewürdigt werden, nicht vom Standpunkte kleinlicher
Sonder- und Zunft-Interessen. Uns würde es ebenso wenig, als
dem Verfasser des Artikels im "Magazin", der sein Verdict in der Sache
kaum 4-- 6 Wochen nach dem Inkrafttreten des Tarifs abgegeben hat. ziemen,
schon jetzt über die Wirkungen des neuen Tarifs ein endgültiges Urtheil



') Heft 4S für 187S.

führung des neuen Packettarifs der Reichspost ist, von manchen Seiten
mit dem gewohnten Rüstzeug der lauäatorös acti temxoris entgegengetreten
wird. Bald muß die mit dem Einheitsporto nothwendig verknüpfte ge¬
ringfügige Erhöhung der Localtare, bald der Zuschlag für unfrankirte Sen¬
dungen, bald die Beifügung der Post-Packetadressen, welche auf die geschäft¬
lichen Gewohnheiten störend wirken könnte, den Angriffspunkt abgeben. Da¬
bei werden die so überwiegenden Vortheile des an die Stelle vielstufiger, in
jedem deutschen Ländchen anders gestalteter Taxen getretenen Einheits«
Tarifs übersehen und der Werth und Nutzen bestimmter Verkehrsformen für
die Ordnung und Sicherheit unterschätzt.

Das Bedeutendste indeß in irrthümlicher Auffassung der neuen Tarif¬
form leistet ein im Märzheft Ur. 3 des „Magazins für den deutschen
Buchhandel" erschienener Artikel: „Der Zehnpfundtarif der Reichspost und
der Buchhandel", dessen Inhalt ein treffender Beleg für das geflügelte Wort
ist: „Was sie den Geist der Zeiten nennen, das ist im Grund der Herren
eigner Geist." Denn dasjenige, was der Verfasser dieses Artikels als den
Geist der Reform ansieht oder was er darüber aus einem zur Würdigung
derselben in den „Grenzboten" seinerzeit*) veröffentlichten Aufsatze entnehmen
zu sollen geglaubt hat, ist sein subjectives Geistesproduct. Unbegreiflich er¬
scheint es, wie unsere durch die Erfahrung der letzten Monate bestätigte
Annahme: „daß die Erleichterung des Austausches materieller und gei¬
stiger Güter, welchen der neue Tarif befördere, auf das wirthschaftliche und
sociale Leben in Deutschland einen merklichen Einfluß ausüben und auch für
die Entwickelung des buchhändlerischen Verkehrs wichtig sein
werde", — der Auffassung hat Raum geben können: diese Postreform wolle
die deutschen buchhändlerischen Einrichtungen „gefährden" oder „über¬
flüssig machen". Allerdings kommen bei einer ganz Deutschland um¬
fassenden Tarifreform nicht die Verhältnisse einer einzelnen Berufsklasse
oder eines bestimmten Geschäftszweiges, sei derselbe auch noch so bedeutend,
in Betracht, sondern die Bedürfnisse des allgemeinen Verkehrs.
Die Nation hatte ein Anrecht auf einen einfachen, Jedem verständlichen
Packeltarif, welcher der Pflege der Verkehrsbeziehungen im weitesten Umfange
Vorschub zu leisten geeignet ist. Von diesem Gesichtspunkte aus muß die
Reform gewürdigt werden, nicht vom Standpunkte kleinlicher
Sonder- und Zunft-Interessen. Uns würde es ebenso wenig, als
dem Verfasser des Artikels im „Magazin", der sein Verdict in der Sache
kaum 4— 6 Wochen nach dem Inkrafttreten des Tarifs abgegeben hat. ziemen,
schon jetzt über die Wirkungen des neuen Tarifs ein endgültiges Urtheil



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[0438] führung des neuen Packettarifs der Reichspost ist, von manchen Seiten mit dem gewohnten Rüstzeug der lauäatorös acti temxoris entgegengetreten wird. Bald muß die mit dem Einheitsporto nothwendig verknüpfte ge¬ ringfügige Erhöhung der Localtare, bald der Zuschlag für unfrankirte Sen¬ dungen, bald die Beifügung der Post-Packetadressen, welche auf die geschäft¬ lichen Gewohnheiten störend wirken könnte, den Angriffspunkt abgeben. Da¬ bei werden die so überwiegenden Vortheile des an die Stelle vielstufiger, in jedem deutschen Ländchen anders gestalteter Taxen getretenen Einheits« Tarifs übersehen und der Werth und Nutzen bestimmter Verkehrsformen für die Ordnung und Sicherheit unterschätzt. Das Bedeutendste indeß in irrthümlicher Auffassung der neuen Tarif¬ form leistet ein im Märzheft Ur. 3 des „Magazins für den deutschen Buchhandel" erschienener Artikel: „Der Zehnpfundtarif der Reichspost und der Buchhandel", dessen Inhalt ein treffender Beleg für das geflügelte Wort ist: „Was sie den Geist der Zeiten nennen, das ist im Grund der Herren eigner Geist." Denn dasjenige, was der Verfasser dieses Artikels als den Geist der Reform ansieht oder was er darüber aus einem zur Würdigung derselben in den „Grenzboten" seinerzeit*) veröffentlichten Aufsatze entnehmen zu sollen geglaubt hat, ist sein subjectives Geistesproduct. Unbegreiflich er¬ scheint es, wie unsere durch die Erfahrung der letzten Monate bestätigte Annahme: „daß die Erleichterung des Austausches materieller und gei¬ stiger Güter, welchen der neue Tarif befördere, auf das wirthschaftliche und sociale Leben in Deutschland einen merklichen Einfluß ausüben und auch für die Entwickelung des buchhändlerischen Verkehrs wichtig sein werde", — der Auffassung hat Raum geben können: diese Postreform wolle die deutschen buchhändlerischen Einrichtungen „gefährden" oder „über¬ flüssig machen". Allerdings kommen bei einer ganz Deutschland um¬ fassenden Tarifreform nicht die Verhältnisse einer einzelnen Berufsklasse oder eines bestimmten Geschäftszweiges, sei derselbe auch noch so bedeutend, in Betracht, sondern die Bedürfnisse des allgemeinen Verkehrs. Die Nation hatte ein Anrecht auf einen einfachen, Jedem verständlichen Packeltarif, welcher der Pflege der Verkehrsbeziehungen im weitesten Umfange Vorschub zu leisten geeignet ist. Von diesem Gesichtspunkte aus muß die Reform gewürdigt werden, nicht vom Standpunkte kleinlicher Sonder- und Zunft-Interessen. Uns würde es ebenso wenig, als dem Verfasser des Artikels im „Magazin", der sein Verdict in der Sache kaum 4— 6 Wochen nach dem Inkrafttreten des Tarifs abgegeben hat. ziemen, schon jetzt über die Wirkungen des neuen Tarifs ein endgültiges Urtheil ') Heft 4S für 187S.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/438>, abgerufen am 26.06.2024.