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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Ständigkeit der Welt zeigen, was er zu leisten vermöge. Es war ihm mit
der Kriegführung gewiß voller Ernst. Die Beschuldigung, daß er nur einen
Scheinkrieg habe führen wollen, halten wir bis jetzt für unerwiesen und mit dem
Dünkel des Mannes, der sich für einen großen Feldherrn hielt, unverträglich.
Daß sein Feldzugsplan ein so trauriger und so kleinmüthiger war, erklärt
sich aus seinem engen Horizonte, nicht aus seinem bösen Willen. Eine Mili¬
tärconvention konnte in seinen Augen gar kein Bedürfniß sein; denn er war
überzeugt, daß er an der Eroberung Venetiens mit seinem Festungsviereck
eine viel schwierigere Aufgabe zu lösen habe, als die Preußen, und daß ein
räumliches Zusammenwirken mit diesen ganz außer dem Bereiche der Wahr¬
scheinlichkeit liege. Als daher Govone am 10. April ihm doch einen Entwurf
in 12 Paragraphen zuschickte, legte er denselben ruhig zu den Acten.

An demselben 10. April berichtete Govone auch über die am 8. April
vollzogene Unterzeichnung des Vertrages. Die Hauptbestimmung desselben
war, daß wenn Preußen nach dem Scheitern seiner Reformvorschläge in die
Lage kommen sollte die Waffen zu ergreifen. "Italien, nachdem Preußen die
Initiative ergriffen und Italien davon benachrichtigt habe, Oesterreich den
Krieg erklären werde." Also nur ein ganz bestimmter Fall war vorgesehen:
Preußen erklärt Oesterreich den Krieg und Italien folgt diesem Beispiele.
Um jede Zweideutigkeit abzuschneiden, besagte Artikel 5 noch wörtlich: Dieser
Vertrag wird drei Monate nach der Unterzeichnung erlöschen, wenn in diesen
drei Monaten der in Artikel >2 vorgesehene Fall nicht eingetreten ist, d. h.
"wenn Preußen nicht an Oesterreich den Krieg erklärt hat."
Wenn also Oesterreich an Italien oder Italien, an Oesterreich den Krieg er¬
klärte, so war Preußen zu nichts verbunden. Diese mangelnde Gegenseitig¬
keit mochte hart, sie mochte unannehmbar erscheinen, jedenfalls war sie im
Geiste des Vertrages. Dem entsprach es, daß Bismarck in den einleitenden
Worten sich des Ausdruckes "Allianz- und Freundschaftsve-rtrages", nicht
"Schutz- und Trutzbündnisses" bedient hatte. Weil aber Barral vor der
Unterzeichnung dagegen Einspruch erhob, machte der prußische Minister keine
großen Schwierigkeiten, sondern willigte in die Aenderung, rie natürlich gegen¬
über dem klaren Wortlaute von Artikel 2 und S keine maßgebende Bedeutung
beanspruchen konnte. Barral selbst dachte wohl kaum anders und fügte
seiner telegraphischen Meldung von der Unterzeichnung kein Wort über diesen
Zwischenfall bei. Govone war es. der Lamarmora am 10. davon unterrich¬
tete, in einem Briefe, der gleichzeitig mit dem Original des Vertrages, das
Victor Emanuel unterschreiben sollte, und mit dem eben erwähnten Entwurf
einer Militärconvention nach Florenz abging. Lamarmora war damals weit
davon entfernt, Anstoß an diesem kleinen Vorkommniß zu nehmen. Er be¬
hauptet jetzt zwar, dasselbe nicht gekannt zu haben, als er dem König .den


Ständigkeit der Welt zeigen, was er zu leisten vermöge. Es war ihm mit
der Kriegführung gewiß voller Ernst. Die Beschuldigung, daß er nur einen
Scheinkrieg habe führen wollen, halten wir bis jetzt für unerwiesen und mit dem
Dünkel des Mannes, der sich für einen großen Feldherrn hielt, unverträglich.
Daß sein Feldzugsplan ein so trauriger und so kleinmüthiger war, erklärt
sich aus seinem engen Horizonte, nicht aus seinem bösen Willen. Eine Mili¬
tärconvention konnte in seinen Augen gar kein Bedürfniß sein; denn er war
überzeugt, daß er an der Eroberung Venetiens mit seinem Festungsviereck
eine viel schwierigere Aufgabe zu lösen habe, als die Preußen, und daß ein
räumliches Zusammenwirken mit diesen ganz außer dem Bereiche der Wahr¬
scheinlichkeit liege. Als daher Govone am 10. April ihm doch einen Entwurf
in 12 Paragraphen zuschickte, legte er denselben ruhig zu den Acten.

An demselben 10. April berichtete Govone auch über die am 8. April
vollzogene Unterzeichnung des Vertrages. Die Hauptbestimmung desselben
war, daß wenn Preußen nach dem Scheitern seiner Reformvorschläge in die
Lage kommen sollte die Waffen zu ergreifen. „Italien, nachdem Preußen die
Initiative ergriffen und Italien davon benachrichtigt habe, Oesterreich den
Krieg erklären werde." Also nur ein ganz bestimmter Fall war vorgesehen:
Preußen erklärt Oesterreich den Krieg und Italien folgt diesem Beispiele.
Um jede Zweideutigkeit abzuschneiden, besagte Artikel 5 noch wörtlich: Dieser
Vertrag wird drei Monate nach der Unterzeichnung erlöschen, wenn in diesen
drei Monaten der in Artikel >2 vorgesehene Fall nicht eingetreten ist, d. h.
„wenn Preußen nicht an Oesterreich den Krieg erklärt hat."
Wenn also Oesterreich an Italien oder Italien, an Oesterreich den Krieg er¬
klärte, so war Preußen zu nichts verbunden. Diese mangelnde Gegenseitig¬
keit mochte hart, sie mochte unannehmbar erscheinen, jedenfalls war sie im
Geiste des Vertrages. Dem entsprach es, daß Bismarck in den einleitenden
Worten sich des Ausdruckes „Allianz- und Freundschaftsve-rtrages", nicht
„Schutz- und Trutzbündnisses" bedient hatte. Weil aber Barral vor der
Unterzeichnung dagegen Einspruch erhob, machte der prußische Minister keine
großen Schwierigkeiten, sondern willigte in die Aenderung, rie natürlich gegen¬
über dem klaren Wortlaute von Artikel 2 und S keine maßgebende Bedeutung
beanspruchen konnte. Barral selbst dachte wohl kaum anders und fügte
seiner telegraphischen Meldung von der Unterzeichnung kein Wort über diesen
Zwischenfall bei. Govone war es. der Lamarmora am 10. davon unterrich¬
tete, in einem Briefe, der gleichzeitig mit dem Original des Vertrages, das
Victor Emanuel unterschreiben sollte, und mit dem eben erwähnten Entwurf
einer Militärconvention nach Florenz abging. Lamarmora war damals weit
davon entfernt, Anstoß an diesem kleinen Vorkommniß zu nehmen. Er be¬
hauptet jetzt zwar, dasselbe nicht gekannt zu haben, als er dem König .den


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[0425] Ständigkeit der Welt zeigen, was er zu leisten vermöge. Es war ihm mit der Kriegführung gewiß voller Ernst. Die Beschuldigung, daß er nur einen Scheinkrieg habe führen wollen, halten wir bis jetzt für unerwiesen und mit dem Dünkel des Mannes, der sich für einen großen Feldherrn hielt, unverträglich. Daß sein Feldzugsplan ein so trauriger und so kleinmüthiger war, erklärt sich aus seinem engen Horizonte, nicht aus seinem bösen Willen. Eine Mili¬ tärconvention konnte in seinen Augen gar kein Bedürfniß sein; denn er war überzeugt, daß er an der Eroberung Venetiens mit seinem Festungsviereck eine viel schwierigere Aufgabe zu lösen habe, als die Preußen, und daß ein räumliches Zusammenwirken mit diesen ganz außer dem Bereiche der Wahr¬ scheinlichkeit liege. Als daher Govone am 10. April ihm doch einen Entwurf in 12 Paragraphen zuschickte, legte er denselben ruhig zu den Acten. An demselben 10. April berichtete Govone auch über die am 8. April vollzogene Unterzeichnung des Vertrages. Die Hauptbestimmung desselben war, daß wenn Preußen nach dem Scheitern seiner Reformvorschläge in die Lage kommen sollte die Waffen zu ergreifen. „Italien, nachdem Preußen die Initiative ergriffen und Italien davon benachrichtigt habe, Oesterreich den Krieg erklären werde." Also nur ein ganz bestimmter Fall war vorgesehen: Preußen erklärt Oesterreich den Krieg und Italien folgt diesem Beispiele. Um jede Zweideutigkeit abzuschneiden, besagte Artikel 5 noch wörtlich: Dieser Vertrag wird drei Monate nach der Unterzeichnung erlöschen, wenn in diesen drei Monaten der in Artikel >2 vorgesehene Fall nicht eingetreten ist, d. h. „wenn Preußen nicht an Oesterreich den Krieg erklärt hat." Wenn also Oesterreich an Italien oder Italien, an Oesterreich den Krieg er¬ klärte, so war Preußen zu nichts verbunden. Diese mangelnde Gegenseitig¬ keit mochte hart, sie mochte unannehmbar erscheinen, jedenfalls war sie im Geiste des Vertrages. Dem entsprach es, daß Bismarck in den einleitenden Worten sich des Ausdruckes „Allianz- und Freundschaftsve-rtrages", nicht „Schutz- und Trutzbündnisses" bedient hatte. Weil aber Barral vor der Unterzeichnung dagegen Einspruch erhob, machte der prußische Minister keine großen Schwierigkeiten, sondern willigte in die Aenderung, rie natürlich gegen¬ über dem klaren Wortlaute von Artikel 2 und S keine maßgebende Bedeutung beanspruchen konnte. Barral selbst dachte wohl kaum anders und fügte seiner telegraphischen Meldung von der Unterzeichnung kein Wort über diesen Zwischenfall bei. Govone war es. der Lamarmora am 10. davon unterrich¬ tete, in einem Briefe, der gleichzeitig mit dem Original des Vertrages, das Victor Emanuel unterschreiben sollte, und mit dem eben erwähnten Entwurf einer Militärconvention nach Florenz abging. Lamarmora war damals weit davon entfernt, Anstoß an diesem kleinen Vorkommniß zu nehmen. Er be¬ hauptet jetzt zwar, dasselbe nicht gekannt zu haben, als er dem König .den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/425>, abgerufen am 28.08.2024.