Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

laut schon im August 1870 mitgetheilt, was doch Lamarmora unmöglich un¬
bekannt bleiben konnte; schon damals muß dieser Theil seines Buches also
geschrieben gewesen sein. Daß eine Umarbeitung später vorgenommen ist,
zeigen andere Stellen; aber Nichts hindert anzunehmen, daß der erste Theil
im vorigen Sommer ebenso druckfertig im Pulte des Generals bereit lag. wie
jetzt noch der zweite.

Lamarmora eröffnet seine Geschichte des Bündnisses von 1866 mit einem
Vorspiel, das nicht ohne Interesse ist, aber mit der Haupthandlung freilich
in sehr geringem Zusammenhange steht. Er erzählt uns, wie er 1861 von
Cavour nach Berlin gesandt wurde, um den König Wilhelm zu seiner Thron¬
besteigung zu beglückwünschen. Wenn der Leser schon daraus entnimmt,
daß der General für eine dem preußischen Hofe genehme Person gehalten
wurde, so fehlt es auch nicht an Hinweisen, welche uns in diesem Glauben
bestärken und uns zugleich von der vortheilhaften Meinung belehren, welche
der Italiener von der norddeutschen Großmacht hegte. Mit gesperrten Lettern
wird uns z. B. eine Stelle aus einem Berichte vom 17. Februar zu Ge¬
müthe geführt, die ein achtungswerthes Vertrauen in die preußischen Waffen
verräth. "Der französische Gesandte, so heißt es da, glaubt, im Fall eines
Krieges zwischen Frankreich und Preußen, werde letzteres keinen Widerstand
leisten können; aber ich meinerseits glaube, über die Resultate einer solchen
Eventualität ließe sich mancherlei reden." Die Ausgabe Lamarmora's bei
dieser Sendung von 1861 konnte keine andere sein als die noch recht kühle
Stimmung zwischen Berlin und Turin ein wenig zu erwärmen, und diese
Aufgabe mag sie wohl erreicht haben. Jedenfalls dürfte sie der wohlwollen¬
den Strömung, die am preußischen Hofe mit der feindlichen einen beständigen
Kampf führte, einige Stärkung verschafft haben, was denn immerhin schon
ein Verdienst war. An eine Anerkennung des neuen Königreiches, das da¬
mals noch nicht einmal vom Parlamente proclamirt war, konnte selbstver¬
ständlich noch nicht gedacht werden; sie ließ noch beinahe anderthalb Jahr
auf sich warten. Daß Lamarmora uns über diesen bedeutungsvollen Schritt
nichts Genaueres mittheilt, wird man ihm nicht vorwerfen wollen, zumal
er damals, den politischen Geschäften und der Hauptstadt fern, in Neapel das
Brigantmunwesen bekämpfte. Mit einigem Befremden vermißt man aber
jede Hindeutung auf den bekannten Annäherungsversuch, den Herr von Bis-
marck kurze Zeit nach seinem Eintritt ins Amt unternahm. Wenn unser
Autor uns auch Neues darüber mitzutheilen außer Stande war, so gehörte
doch dieser erste Schritt zur Anbahnung einer preußisch-italienischen Allianz
viel enger zur Sache als seine eigene Mission vom Jahre 1861. Fast sollte
man glauben, es sei ihm nie etwas davon bekannt geworden, wie im De¬
cember 1862 der italienische Gesandte plötzlich aus Berlin nach Hause geeilt


laut schon im August 1870 mitgetheilt, was doch Lamarmora unmöglich un¬
bekannt bleiben konnte; schon damals muß dieser Theil seines Buches also
geschrieben gewesen sein. Daß eine Umarbeitung später vorgenommen ist,
zeigen andere Stellen; aber Nichts hindert anzunehmen, daß der erste Theil
im vorigen Sommer ebenso druckfertig im Pulte des Generals bereit lag. wie
jetzt noch der zweite.

Lamarmora eröffnet seine Geschichte des Bündnisses von 1866 mit einem
Vorspiel, das nicht ohne Interesse ist, aber mit der Haupthandlung freilich
in sehr geringem Zusammenhange steht. Er erzählt uns, wie er 1861 von
Cavour nach Berlin gesandt wurde, um den König Wilhelm zu seiner Thron¬
besteigung zu beglückwünschen. Wenn der Leser schon daraus entnimmt,
daß der General für eine dem preußischen Hofe genehme Person gehalten
wurde, so fehlt es auch nicht an Hinweisen, welche uns in diesem Glauben
bestärken und uns zugleich von der vortheilhaften Meinung belehren, welche
der Italiener von der norddeutschen Großmacht hegte. Mit gesperrten Lettern
wird uns z. B. eine Stelle aus einem Berichte vom 17. Februar zu Ge¬
müthe geführt, die ein achtungswerthes Vertrauen in die preußischen Waffen
verräth. „Der französische Gesandte, so heißt es da, glaubt, im Fall eines
Krieges zwischen Frankreich und Preußen, werde letzteres keinen Widerstand
leisten können; aber ich meinerseits glaube, über die Resultate einer solchen
Eventualität ließe sich mancherlei reden." Die Ausgabe Lamarmora's bei
dieser Sendung von 1861 konnte keine andere sein als die noch recht kühle
Stimmung zwischen Berlin und Turin ein wenig zu erwärmen, und diese
Aufgabe mag sie wohl erreicht haben. Jedenfalls dürfte sie der wohlwollen¬
den Strömung, die am preußischen Hofe mit der feindlichen einen beständigen
Kampf führte, einige Stärkung verschafft haben, was denn immerhin schon
ein Verdienst war. An eine Anerkennung des neuen Königreiches, das da¬
mals noch nicht einmal vom Parlamente proclamirt war, konnte selbstver¬
ständlich noch nicht gedacht werden; sie ließ noch beinahe anderthalb Jahr
auf sich warten. Daß Lamarmora uns über diesen bedeutungsvollen Schritt
nichts Genaueres mittheilt, wird man ihm nicht vorwerfen wollen, zumal
er damals, den politischen Geschäften und der Hauptstadt fern, in Neapel das
Brigantmunwesen bekämpfte. Mit einigem Befremden vermißt man aber
jede Hindeutung auf den bekannten Annäherungsversuch, den Herr von Bis-
marck kurze Zeit nach seinem Eintritt ins Amt unternahm. Wenn unser
Autor uns auch Neues darüber mitzutheilen außer Stande war, so gehörte
doch dieser erste Schritt zur Anbahnung einer preußisch-italienischen Allianz
viel enger zur Sache als seine eigene Mission vom Jahre 1861. Fast sollte
man glauben, es sei ihm nie etwas davon bekannt geworden, wie im De¬
cember 1862 der italienische Gesandte plötzlich aus Berlin nach Hause geeilt


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0369" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/131013"/>
          <p xml:id="ID_1081" prev="#ID_1080"> laut schon im August 1870 mitgetheilt, was doch Lamarmora unmöglich un¬<lb/>
bekannt bleiben konnte; schon damals muß dieser Theil seines Buches also<lb/>
geschrieben gewesen sein. Daß eine Umarbeitung später vorgenommen ist,<lb/>
zeigen andere Stellen; aber Nichts hindert anzunehmen, daß der erste Theil<lb/>
im vorigen Sommer ebenso druckfertig im Pulte des Generals bereit lag. wie<lb/>
jetzt noch der zweite.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1082" next="#ID_1083"> Lamarmora eröffnet seine Geschichte des Bündnisses von 1866 mit einem<lb/>
Vorspiel, das nicht ohne Interesse ist, aber mit der Haupthandlung freilich<lb/>
in sehr geringem Zusammenhange steht. Er erzählt uns, wie er 1861 von<lb/>
Cavour nach Berlin gesandt wurde, um den König Wilhelm zu seiner Thron¬<lb/>
besteigung zu beglückwünschen. Wenn der Leser schon daraus entnimmt,<lb/>
daß der General für eine dem preußischen Hofe genehme Person gehalten<lb/>
wurde, so fehlt es auch nicht an Hinweisen, welche uns in diesem Glauben<lb/>
bestärken und uns zugleich von der vortheilhaften Meinung belehren, welche<lb/>
der Italiener von der norddeutschen Großmacht hegte. Mit gesperrten Lettern<lb/>
wird uns z. B. eine Stelle aus einem Berichte vom 17. Februar zu Ge¬<lb/>
müthe geführt, die ein achtungswerthes Vertrauen in die preußischen Waffen<lb/>
verräth. &#x201E;Der französische Gesandte, so heißt es da, glaubt, im Fall eines<lb/>
Krieges zwischen Frankreich und Preußen, werde letzteres keinen Widerstand<lb/>
leisten können; aber ich meinerseits glaube, über die Resultate einer solchen<lb/>
Eventualität ließe sich mancherlei reden." Die Ausgabe Lamarmora's bei<lb/>
dieser Sendung von 1861 konnte keine andere sein als die noch recht kühle<lb/>
Stimmung zwischen Berlin und Turin ein wenig zu erwärmen, und diese<lb/>
Aufgabe mag sie wohl erreicht haben. Jedenfalls dürfte sie der wohlwollen¬<lb/>
den Strömung, die am preußischen Hofe mit der feindlichen einen beständigen<lb/>
Kampf führte, einige Stärkung verschafft haben, was denn immerhin schon<lb/>
ein Verdienst war. An eine Anerkennung des neuen Königreiches, das da¬<lb/>
mals noch nicht einmal vom Parlamente proclamirt war, konnte selbstver¬<lb/>
ständlich noch nicht gedacht werden; sie ließ noch beinahe anderthalb Jahr<lb/>
auf sich warten. Daß Lamarmora uns über diesen bedeutungsvollen Schritt<lb/>
nichts Genaueres mittheilt, wird man ihm nicht vorwerfen wollen, zumal<lb/>
er damals, den politischen Geschäften und der Hauptstadt fern, in Neapel das<lb/>
Brigantmunwesen bekämpfte. Mit einigem Befremden vermißt man aber<lb/>
jede Hindeutung auf den bekannten Annäherungsversuch, den Herr von Bis-<lb/>
marck kurze Zeit nach seinem Eintritt ins Amt unternahm. Wenn unser<lb/>
Autor uns auch Neues darüber mitzutheilen außer Stande war, so gehörte<lb/>
doch dieser erste Schritt zur Anbahnung einer preußisch-italienischen Allianz<lb/>
viel enger zur Sache als seine eigene Mission vom Jahre 1861. Fast sollte<lb/>
man glauben, es sei ihm nie etwas davon bekannt geworden, wie im De¬<lb/>
cember 1862 der italienische Gesandte plötzlich aus Berlin nach Hause geeilt</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0369] laut schon im August 1870 mitgetheilt, was doch Lamarmora unmöglich un¬ bekannt bleiben konnte; schon damals muß dieser Theil seines Buches also geschrieben gewesen sein. Daß eine Umarbeitung später vorgenommen ist, zeigen andere Stellen; aber Nichts hindert anzunehmen, daß der erste Theil im vorigen Sommer ebenso druckfertig im Pulte des Generals bereit lag. wie jetzt noch der zweite. Lamarmora eröffnet seine Geschichte des Bündnisses von 1866 mit einem Vorspiel, das nicht ohne Interesse ist, aber mit der Haupthandlung freilich in sehr geringem Zusammenhange steht. Er erzählt uns, wie er 1861 von Cavour nach Berlin gesandt wurde, um den König Wilhelm zu seiner Thron¬ besteigung zu beglückwünschen. Wenn der Leser schon daraus entnimmt, daß der General für eine dem preußischen Hofe genehme Person gehalten wurde, so fehlt es auch nicht an Hinweisen, welche uns in diesem Glauben bestärken und uns zugleich von der vortheilhaften Meinung belehren, welche der Italiener von der norddeutschen Großmacht hegte. Mit gesperrten Lettern wird uns z. B. eine Stelle aus einem Berichte vom 17. Februar zu Ge¬ müthe geführt, die ein achtungswerthes Vertrauen in die preußischen Waffen verräth. „Der französische Gesandte, so heißt es da, glaubt, im Fall eines Krieges zwischen Frankreich und Preußen, werde letzteres keinen Widerstand leisten können; aber ich meinerseits glaube, über die Resultate einer solchen Eventualität ließe sich mancherlei reden." Die Ausgabe Lamarmora's bei dieser Sendung von 1861 konnte keine andere sein als die noch recht kühle Stimmung zwischen Berlin und Turin ein wenig zu erwärmen, und diese Aufgabe mag sie wohl erreicht haben. Jedenfalls dürfte sie der wohlwollen¬ den Strömung, die am preußischen Hofe mit der feindlichen einen beständigen Kampf führte, einige Stärkung verschafft haben, was denn immerhin schon ein Verdienst war. An eine Anerkennung des neuen Königreiches, das da¬ mals noch nicht einmal vom Parlamente proclamirt war, konnte selbstver¬ ständlich noch nicht gedacht werden; sie ließ noch beinahe anderthalb Jahr auf sich warten. Daß Lamarmora uns über diesen bedeutungsvollen Schritt nichts Genaueres mittheilt, wird man ihm nicht vorwerfen wollen, zumal er damals, den politischen Geschäften und der Hauptstadt fern, in Neapel das Brigantmunwesen bekämpfte. Mit einigem Befremden vermißt man aber jede Hindeutung auf den bekannten Annäherungsversuch, den Herr von Bis- marck kurze Zeit nach seinem Eintritt ins Amt unternahm. Wenn unser Autor uns auch Neues darüber mitzutheilen außer Stande war, so gehörte doch dieser erste Schritt zur Anbahnung einer preußisch-italienischen Allianz viel enger zur Sache als seine eigene Mission vom Jahre 1861. Fast sollte man glauben, es sei ihm nie etwas davon bekannt geworden, wie im De¬ cember 1862 der italienische Gesandte plötzlich aus Berlin nach Hause geeilt

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/369
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/369>, abgerufen am 25.12.2024.