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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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lich ist die unbeugsame Ueberzeugungstreue und Charakterstärke Ruge's z. B.
in den Worten geschildert: ..tu cris unicus semvei' socius tadorna maloium-
(lug nostrorum." An diesem Urtheil über die Briefe vermag auch die That¬
sache nichts zu ändern, daß Schwetschke an einigen Stellen, namentlich in
dem Briefe Wiesner's (Koitus ?ratonsis) scheinbar an die äußersten Grenzen
persönlicher Satire streift. Denn wenn hier der pudlieisw ineomxiUÄM'lis oder der
"Reichshausleerer" wie er auf zeitgenössischen Karrikaturen heißt, von Roth¬
schild's Arzt verschrieben wird, um durch seine Rederei den reichen Patienten
von hartnäckiger Obstruetion zu erlösen, so liegt auch hier der wirklich berech¬
tigte Humor darin, daß Pratenfis selbst das Ereigniß mit dem größten Be¬
hagen und Selbstgefühl zur Vermehrung seines oratorischen Ruhmes erzählt,
ohne jedes Gefühl für die Lächerlichkeit seiner Rolle, und daß diese Cha¬
rakteristik der Wahrheit und Wirklichkeit entspricht.

Darin liegt überhaupt die zweite Hauptstärke der kleinen Schrift, daß
die vis eomieg. des 1848er Radicalismus, die Macht der Phrase, die in einem
umgekehrten Größenverhältniß zur politischen Klarheit und Leistungsfähigkeit
der radicalen Parteien sich entwickelte, in so brillanter Weise zur Geltung
kommt, daß wir heute das Meiste der llnistola" unsern Unzufriedenen im
Staate auf den Kopf zuschreiben können, so z. wenn es von Piepmeyer heißt: nox
inter nos excelluit qMtuor illis rebus, quge eg,n<zug,in quatuoi' vlementa
äöwoei'Aliae Mrllunentiu-is speetanäs. sunt, nempe: a., in Ninistiis auäae-.
ter internelig-ullis, b., in imvortanciis xropositionibus Summe urgentibus,
c., in Kagitavclis vota.tiouibns nvmin^ein o.e virilia kerenäis et, et., in ta-
eienciis xiirasibus generalidus." Diese vis cour'eg, ist aufs höchste gesteigert durch
mancherlei Beiwerk von glücklichster Erfindung: durch die ausgesuchte Latinität der
NxistolAv, -- welche dieselben namentlich vor dem Mönchslatein der Hutten-
schen Vorbilder und ebenso vor allen Nachahmungen Anderer höchst vortheil¬
haft auszeichnet, und durch die würdevolle und correcte Sprache den komischen
Contrast steigert -- dann durch die vortreffliche Wahl des Adressaten der
Briefe in der Person Ruge's, dann durch die meisterhafte Charakteristik der
einzelnen Briefsteller (Carl Vogt, Prof. Zimmermann, Schlosse!, Wiesner,
Wesendonck, Schaffrath) von denen jeder Einzelne nicht nur eine Person, son¬
dern einen Typus des damaligen Radicalismus vertritt; endlich durch die
köstliche Idee, die vermeintlich fortgeschrittensten Männer als vin obseuri zu
bezeichnen, "da sie in ihrem dunkeln Drange sich des rechten Weges nicht
bewußt waren".

Die Jubelausgabe der Uovae Lvistolae, die Schwetschke, zum
ersten Male mit Erläuterungen versehen, soeben herausgegeben hat, gibt uns
die werthvollsten Nachweise dafür, mit welchem feinen und klaren Bewußtsein
er das Material in seiner geistigen Werkstatt vorbereitete, ehe er mit
feinem Meisterwerke vor die Welt trat. Jeder wird in der kleinen Schrift
eine Fülle von Anregung, Belehrung und Genuß finden.


Hans Blum.


Verantwortlicher Redakteur: or. Haus Blum.
Verlag von F. L. Hervig. -- Druck von Hiithel 6, Legler in Leipzig.

lich ist die unbeugsame Ueberzeugungstreue und Charakterstärke Ruge's z. B.
in den Worten geschildert: ..tu cris unicus semvei' socius tadorna maloium-
(lug nostrorum." An diesem Urtheil über die Briefe vermag auch die That¬
sache nichts zu ändern, daß Schwetschke an einigen Stellen, namentlich in
dem Briefe Wiesner's (Koitus ?ratonsis) scheinbar an die äußersten Grenzen
persönlicher Satire streift. Denn wenn hier der pudlieisw ineomxiUÄM'lis oder der
„Reichshausleerer" wie er auf zeitgenössischen Karrikaturen heißt, von Roth¬
schild's Arzt verschrieben wird, um durch seine Rederei den reichen Patienten
von hartnäckiger Obstruetion zu erlösen, so liegt auch hier der wirklich berech¬
tigte Humor darin, daß Pratenfis selbst das Ereigniß mit dem größten Be¬
hagen und Selbstgefühl zur Vermehrung seines oratorischen Ruhmes erzählt,
ohne jedes Gefühl für die Lächerlichkeit seiner Rolle, und daß diese Cha¬
rakteristik der Wahrheit und Wirklichkeit entspricht.

Darin liegt überhaupt die zweite Hauptstärke der kleinen Schrift, daß
die vis eomieg. des 1848er Radicalismus, die Macht der Phrase, die in einem
umgekehrten Größenverhältniß zur politischen Klarheit und Leistungsfähigkeit
der radicalen Parteien sich entwickelte, in so brillanter Weise zur Geltung
kommt, daß wir heute das Meiste der llnistola« unsern Unzufriedenen im
Staate auf den Kopf zuschreiben können, so z. wenn es von Piepmeyer heißt: nox
inter nos excelluit qMtuor illis rebus, quge eg,n<zug,in quatuoi' vlementa
äöwoei'Aliae Mrllunentiu-is speetanäs. sunt, nempe: a., in Ninistiis auäae-.
ter internelig-ullis, b., in imvortanciis xropositionibus Summe urgentibus,
c., in Kagitavclis vota.tiouibns nvmin^ein o.e virilia kerenäis et, et., in ta-
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mancherlei Beiwerk von glücklichster Erfindung: durch die ausgesuchte Latinität der
NxistolAv, — welche dieselben namentlich vor dem Mönchslatein der Hutten-
schen Vorbilder und ebenso vor allen Nachahmungen Anderer höchst vortheil¬
haft auszeichnet, und durch die würdevolle und correcte Sprache den komischen
Contrast steigert — dann durch die vortreffliche Wahl des Adressaten der
Briefe in der Person Ruge's, dann durch die meisterhafte Charakteristik der
einzelnen Briefsteller (Carl Vogt, Prof. Zimmermann, Schlosse!, Wiesner,
Wesendonck, Schaffrath) von denen jeder Einzelne nicht nur eine Person, son¬
dern einen Typus des damaligen Radicalismus vertritt; endlich durch die
köstliche Idee, die vermeintlich fortgeschrittensten Männer als vin obseuri zu
bezeichnen, „da sie in ihrem dunkeln Drange sich des rechten Weges nicht
bewußt waren".

Die Jubelausgabe der Uovae Lvistolae, die Schwetschke, zum
ersten Male mit Erläuterungen versehen, soeben herausgegeben hat, gibt uns
die werthvollsten Nachweise dafür, mit welchem feinen und klaren Bewußtsein
er das Material in seiner geistigen Werkstatt vorbereitete, ehe er mit
feinem Meisterwerke vor die Welt trat. Jeder wird in der kleinen Schrift
eine Fülle von Anregung, Belehrung und Genuß finden.


Hans Blum.


Verantwortlicher Redakteur: or. Haus Blum.
Verlag von F. L. Hervig. — Druck von Hiithel 6, Legler in Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/366>, abgerufen am 25.12.2024.