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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Wurf vorgenommen gegen die Gestalt, die er im Abgeordnetenhaus erhalten, kön¬
nen wir übergehen bis sie etwa wiederum im Abgeordnetenhaus zur Sprache
kommen. Eine Ausnahme machen wir nur hinsichtlich des Verbotes, die
Funktion des bürgerlichen Standesbeamten an Geistliche zu übertragen. Im
Abgeordnetenhaus wurde dies Verbot von der Fortschrittspartei beantragt,
weil dieselbe nicht wollte, daß die nothwendige Form der Eheschließung ir¬
gendwo auch nur einen äußerlichen Zusammenhang mit der Kirche behalte.
Die Fortschrittspartei drang im Abgeordnetenhaus mit dem Verbot nicht durch.
Im Herrenhaus war es die orthodoxe Rechte, welche das Verbot beantragte,
und damit durchdrang. Der Antragsteller, Herr von Kleist-Retzow und seine
Freunde wollten den Geistlichen vor der Möglichkeit bewahren, als Standes¬
beamter Ehen zu beglaubigen, die er als Geistlicher einzusegnen vielleicht aus
kirchlichen Gründen Anstand nehmen müßte. Im Grunde haben die Herren
recht. Wenn der Staat anerkennt, daß die Rechtsgesetzgebung und die Kirche
verschiedene Gesichtspunkte für die Zulässigkeit der Ehe haben können, und
wenn aus diesem Anerkenntniß heraus die bürgerliche und die kirchliche
Trauung in zwei Akte zerlegt werden, so darf man auch den Geistlichen nicht
länger in die Lage bringen, die mögliche Unvereinbarkeit der beiden Gesichts¬
punkte in seiner Amtsstellung entweder zu verläugnen, oder in einer die
Würde des Amtes schädigenden Aufeinanderfolge verschiedenen Aemtern zuge¬
höriger Akte zur Schau zu tragen. Vorübergehende Bedürfnisse der Praxis
sind es allein, welche für die Verwendung der Geistlichen als bürgerliche
Standesbeamte sprechen. Möge man der Bevölkerung lieber eine Zeit lang
die Unbequemlichkeit einer beschwerlichen Praxis auferlegen, als den geistlichen
Stand in eine sein Gewissen und seine Würde beschwerende Collision bringen. --

Sehr wichtig sind in dieser Woche die Reichstagssitzungen gewesen, und
obwohl nur erste Berathungen vorkamen, über welche ich hier kurz hinweg¬
zugehen pflege, so muß diesmal eine Ausnahme gemacht werden. Der 16.
Februar, der Tag der ersten Berathung des Militärgesetzes, wird zu den
Glanzerinnerungen des deutschen parlamentarischen Lebens zählen. Die lange
und im preußisch-deutschen Staatsleben so bedeutungsvolle Vorgeschichte des
Militärgesetzes zu wiederholen, gestattet uns der Raum nicht. Wir müssen
das Nöthige in die Besprechung der Reden einflechten. Also in ineäias res!

Den Anfang machte Herr Eugen Richter: wie Jedermann im Voraus
wissen konnte, mit einer vernichtenden Kritik der Regierungsvorlage. Die
Rede ist als eine der besten Leistungen ihres Urhebers gepriesen worden und
hat manchen Leuten imponirt. Wir ^müssen also etwas näher darauf ein¬
gehen.

Die norddeutsche Bundesverfassung, deren einschlagende Bestimmungen in
die Reichsverfassung unverändert übergegangen sind, hatte im Artikel 60 die


Wurf vorgenommen gegen die Gestalt, die er im Abgeordnetenhaus erhalten, kön¬
nen wir übergehen bis sie etwa wiederum im Abgeordnetenhaus zur Sprache
kommen. Eine Ausnahme machen wir nur hinsichtlich des Verbotes, die
Funktion des bürgerlichen Standesbeamten an Geistliche zu übertragen. Im
Abgeordnetenhaus wurde dies Verbot von der Fortschrittspartei beantragt,
weil dieselbe nicht wollte, daß die nothwendige Form der Eheschließung ir¬
gendwo auch nur einen äußerlichen Zusammenhang mit der Kirche behalte.
Die Fortschrittspartei drang im Abgeordnetenhaus mit dem Verbot nicht durch.
Im Herrenhaus war es die orthodoxe Rechte, welche das Verbot beantragte,
und damit durchdrang. Der Antragsteller, Herr von Kleist-Retzow und seine
Freunde wollten den Geistlichen vor der Möglichkeit bewahren, als Standes¬
beamter Ehen zu beglaubigen, die er als Geistlicher einzusegnen vielleicht aus
kirchlichen Gründen Anstand nehmen müßte. Im Grunde haben die Herren
recht. Wenn der Staat anerkennt, daß die Rechtsgesetzgebung und die Kirche
verschiedene Gesichtspunkte für die Zulässigkeit der Ehe haben können, und
wenn aus diesem Anerkenntniß heraus die bürgerliche und die kirchliche
Trauung in zwei Akte zerlegt werden, so darf man auch den Geistlichen nicht
länger in die Lage bringen, die mögliche Unvereinbarkeit der beiden Gesichts¬
punkte in seiner Amtsstellung entweder zu verläugnen, oder in einer die
Würde des Amtes schädigenden Aufeinanderfolge verschiedenen Aemtern zuge¬
höriger Akte zur Schau zu tragen. Vorübergehende Bedürfnisse der Praxis
sind es allein, welche für die Verwendung der Geistlichen als bürgerliche
Standesbeamte sprechen. Möge man der Bevölkerung lieber eine Zeit lang
die Unbequemlichkeit einer beschwerlichen Praxis auferlegen, als den geistlichen
Stand in eine sein Gewissen und seine Würde beschwerende Collision bringen. —

Sehr wichtig sind in dieser Woche die Reichstagssitzungen gewesen, und
obwohl nur erste Berathungen vorkamen, über welche ich hier kurz hinweg¬
zugehen pflege, so muß diesmal eine Ausnahme gemacht werden. Der 16.
Februar, der Tag der ersten Berathung des Militärgesetzes, wird zu den
Glanzerinnerungen des deutschen parlamentarischen Lebens zählen. Die lange
und im preußisch-deutschen Staatsleben so bedeutungsvolle Vorgeschichte des
Militärgesetzes zu wiederholen, gestattet uns der Raum nicht. Wir müssen
das Nöthige in die Besprechung der Reden einflechten. Also in ineäias res!

Den Anfang machte Herr Eugen Richter: wie Jedermann im Voraus
wissen konnte, mit einer vernichtenden Kritik der Regierungsvorlage. Die
Rede ist als eine der besten Leistungen ihres Urhebers gepriesen worden und
hat manchen Leuten imponirt. Wir ^müssen also etwas näher darauf ein¬
gehen.

Die norddeutsche Bundesverfassung, deren einschlagende Bestimmungen in
die Reichsverfassung unverändert übergegangen sind, hatte im Artikel 60 die


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[0358] Wurf vorgenommen gegen die Gestalt, die er im Abgeordnetenhaus erhalten, kön¬ nen wir übergehen bis sie etwa wiederum im Abgeordnetenhaus zur Sprache kommen. Eine Ausnahme machen wir nur hinsichtlich des Verbotes, die Funktion des bürgerlichen Standesbeamten an Geistliche zu übertragen. Im Abgeordnetenhaus wurde dies Verbot von der Fortschrittspartei beantragt, weil dieselbe nicht wollte, daß die nothwendige Form der Eheschließung ir¬ gendwo auch nur einen äußerlichen Zusammenhang mit der Kirche behalte. Die Fortschrittspartei drang im Abgeordnetenhaus mit dem Verbot nicht durch. Im Herrenhaus war es die orthodoxe Rechte, welche das Verbot beantragte, und damit durchdrang. Der Antragsteller, Herr von Kleist-Retzow und seine Freunde wollten den Geistlichen vor der Möglichkeit bewahren, als Standes¬ beamter Ehen zu beglaubigen, die er als Geistlicher einzusegnen vielleicht aus kirchlichen Gründen Anstand nehmen müßte. Im Grunde haben die Herren recht. Wenn der Staat anerkennt, daß die Rechtsgesetzgebung und die Kirche verschiedene Gesichtspunkte für die Zulässigkeit der Ehe haben können, und wenn aus diesem Anerkenntniß heraus die bürgerliche und die kirchliche Trauung in zwei Akte zerlegt werden, so darf man auch den Geistlichen nicht länger in die Lage bringen, die mögliche Unvereinbarkeit der beiden Gesichts¬ punkte in seiner Amtsstellung entweder zu verläugnen, oder in einer die Würde des Amtes schädigenden Aufeinanderfolge verschiedenen Aemtern zuge¬ höriger Akte zur Schau zu tragen. Vorübergehende Bedürfnisse der Praxis sind es allein, welche für die Verwendung der Geistlichen als bürgerliche Standesbeamte sprechen. Möge man der Bevölkerung lieber eine Zeit lang die Unbequemlichkeit einer beschwerlichen Praxis auferlegen, als den geistlichen Stand in eine sein Gewissen und seine Würde beschwerende Collision bringen. — Sehr wichtig sind in dieser Woche die Reichstagssitzungen gewesen, und obwohl nur erste Berathungen vorkamen, über welche ich hier kurz hinweg¬ zugehen pflege, so muß diesmal eine Ausnahme gemacht werden. Der 16. Februar, der Tag der ersten Berathung des Militärgesetzes, wird zu den Glanzerinnerungen des deutschen parlamentarischen Lebens zählen. Die lange und im preußisch-deutschen Staatsleben so bedeutungsvolle Vorgeschichte des Militärgesetzes zu wiederholen, gestattet uns der Raum nicht. Wir müssen das Nöthige in die Besprechung der Reden einflechten. Also in ineäias res! Den Anfang machte Herr Eugen Richter: wie Jedermann im Voraus wissen konnte, mit einer vernichtenden Kritik der Regierungsvorlage. Die Rede ist als eine der besten Leistungen ihres Urhebers gepriesen worden und hat manchen Leuten imponirt. Wir ^müssen also etwas näher darauf ein¬ gehen. Die norddeutsche Bundesverfassung, deren einschlagende Bestimmungen in die Reichsverfassung unverändert übergegangen sind, hatte im Artikel 60 die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/358>, abgerufen am 26.06.2024.