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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Staatsbürger die Hoffnung und den Stolz des Vaterlandes bildet und in der
besseren, wohlanständigen Gesellschaft eine durchaus geachtete Persönlichkeit
ist, erfreut sich dagegen der französische Student -- der Hauptstadt wie der
Provinz -- eines höchst zweifelhaften Ansehens und bleibt von wohlgesitteten
Familien- und Gesellschaftskreisen völlig ausgeschlossen, -- und dies, wie uns
scheinen will, mit Recht.

Wir möchten hieran eine Bemerkung anknüpfen, die uns eine mit deut¬
schen Verhältnissen oberflächlich bekannte, hochgestellte Französin gelegentlich
zu machen die Gewogenheit hatte, nämlich, daß der deutsche Student ein Rauf¬
bold sei und vor allem die ganz unerträgliche "mauvaisö IradiwÄs" an sich
trage, sich durch die unglaublichsten Quantitäten Bieres zu "bekneipen". --
Brrr -- fügte sie mit innerem Schauder hinzu. Gut. Vergleichen wir doch
einmal. Der deutsche Student, das können wir nicht läugnen, verwendet
manchen Vor- und Nachmittag auf die Erlangung der größtmöglichen Geschick-
lichkeit, seinem Kommilitonen das Antlitz durch eine geschickt durchgezogene
Quart zu zerfetzen, weil dieser Musensohn ein anderes Band trägt, als er
selbst. Der deutsche Student, auch das lassen wir gelten, verwendet nicht
minder gar manchen Abend zum eingehendsten Studium des merkwürdigen
Naturphänomens, daß --der "Affe" einen "Kater" erzeugt, und obwohl der
durch dieses Darwinsche Rassen-Veränderungs-Experiment hervorgebrachte mo¬
ralische oder physische Jammer -- nur mit unsäglicher Mühe durch ein Mit¬
glied des Amphibienreichs, den sauren Hering, wieder gebannt werden kann,
so ist unser Jünger der Wissenschaft in der wiederholten Beobachtung seiner
merkwürdigen Erscheinung doch nicht zu ermüden. Aber das Alles ist doch
nur die Außenseite des äußerlichen Treibens unserer Studios und die unschäd¬
lichen kleinen Ausbrüche studentischen Uebermuths sind immerhin nur der
Ausdruck einer gesunden, überquellenden Kraftfülle, die mit dem ungesunden,
schlaffen französischen Studentengeiste sehr scharf kontrastirt. Neben alle-
dem aber zieht ein wahrhaft idealer Zug durch das Leben unserer
studirenden Jugend, ein Zug, der in dem - ob auch vielfach angegriffe¬
nen -- Verbindungswesen zum Ausdruck gelangt. Hier im engeren Bunde
fühlt sich der Student in einer durch Freundschaft, Treue und gesellige Tu¬
genden zusammengeketteten Familie, der er sich mit ganzer Wärme hingiebt.
Diese Familie ist die Pflanzstätte eines kräftigen Gemeingeistes, einer guten
Disciplin, der auch französische Blätter ihre Anerkennung nicht versagt haben;
diese Familie ist die Pflegerin nationalen Geistes, die zugleich gemahnt, für
den Dienst des Vaterlandes die geistigen, wie die körperlichen Kräfte zu stäh¬
len; diese Familie ist der akademischen Jugend die Verkörperung der idealen
Güter der Freundschaft und humaner Gesinnung.

Von alledem ist beim französischen Studenten keine Rede: geschlossene
akademische Corporationen kennt er nicht, denn die französische Charaktereigen-


Staatsbürger die Hoffnung und den Stolz des Vaterlandes bildet und in der
besseren, wohlanständigen Gesellschaft eine durchaus geachtete Persönlichkeit
ist, erfreut sich dagegen der französische Student — der Hauptstadt wie der
Provinz — eines höchst zweifelhaften Ansehens und bleibt von wohlgesitteten
Familien- und Gesellschaftskreisen völlig ausgeschlossen, — und dies, wie uns
scheinen will, mit Recht.

Wir möchten hieran eine Bemerkung anknüpfen, die uns eine mit deut¬
schen Verhältnissen oberflächlich bekannte, hochgestellte Französin gelegentlich
zu machen die Gewogenheit hatte, nämlich, daß der deutsche Student ein Rauf¬
bold sei und vor allem die ganz unerträgliche „mauvaisö IradiwÄs" an sich
trage, sich durch die unglaublichsten Quantitäten Bieres zu „bekneipen". —
Brrr — fügte sie mit innerem Schauder hinzu. Gut. Vergleichen wir doch
einmal. Der deutsche Student, das können wir nicht läugnen, verwendet
manchen Vor- und Nachmittag auf die Erlangung der größtmöglichen Geschick-
lichkeit, seinem Kommilitonen das Antlitz durch eine geschickt durchgezogene
Quart zu zerfetzen, weil dieser Musensohn ein anderes Band trägt, als er
selbst. Der deutsche Student, auch das lassen wir gelten, verwendet nicht
minder gar manchen Abend zum eingehendsten Studium des merkwürdigen
Naturphänomens, daß —der „Affe" einen „Kater" erzeugt, und obwohl der
durch dieses Darwinsche Rassen-Veränderungs-Experiment hervorgebrachte mo¬
ralische oder physische Jammer — nur mit unsäglicher Mühe durch ein Mit¬
glied des Amphibienreichs, den sauren Hering, wieder gebannt werden kann,
so ist unser Jünger der Wissenschaft in der wiederholten Beobachtung seiner
merkwürdigen Erscheinung doch nicht zu ermüden. Aber das Alles ist doch
nur die Außenseite des äußerlichen Treibens unserer Studios und die unschäd¬
lichen kleinen Ausbrüche studentischen Uebermuths sind immerhin nur der
Ausdruck einer gesunden, überquellenden Kraftfülle, die mit dem ungesunden,
schlaffen französischen Studentengeiste sehr scharf kontrastirt. Neben alle-
dem aber zieht ein wahrhaft idealer Zug durch das Leben unserer
studirenden Jugend, ein Zug, der in dem - ob auch vielfach angegriffe¬
nen — Verbindungswesen zum Ausdruck gelangt. Hier im engeren Bunde
fühlt sich der Student in einer durch Freundschaft, Treue und gesellige Tu¬
genden zusammengeketteten Familie, der er sich mit ganzer Wärme hingiebt.
Diese Familie ist die Pflanzstätte eines kräftigen Gemeingeistes, einer guten
Disciplin, der auch französische Blätter ihre Anerkennung nicht versagt haben;
diese Familie ist die Pflegerin nationalen Geistes, die zugleich gemahnt, für
den Dienst des Vaterlandes die geistigen, wie die körperlichen Kräfte zu stäh¬
len; diese Familie ist der akademischen Jugend die Verkörperung der idealen
Güter der Freundschaft und humaner Gesinnung.

Von alledem ist beim französischen Studenten keine Rede: geschlossene
akademische Corporationen kennt er nicht, denn die französische Charaktereigen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/349>, abgerufen am 28.09.2024.