Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.dieser ganzen Uterargeschichtlichen Uebersicht der einseitigste Patriotismus fast dieser ganzen Uterargeschichtlichen Uebersicht der einseitigste Patriotismus fast <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0340" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/130984"/> <p xml:id="ID_1007" prev="#ID_1006" next="#ID_1008"> dieser ganzen Uterargeschichtlichen Uebersicht der einseitigste Patriotismus fast<lb/> den einzigen Maaßstab der Beurtheilung abgegeben hat. Man könnte sagen:<lb/> Hier haben wir einen Abriß der deutschen Literaturgeschichte von Ulfila bis<lb/> Heine vom Standpunkte des „deutschen Ehrenmannes". Französische Gesinnung<lb/> und Sprachmengerei einerseits, Reinheit der Sprache und Patriotismus andrer¬<lb/> seits sind für den Verfasser so ziemlich identische Begriffe. So führt er z.B.<lb/> aus der „Hamburgischen Dramaturgie" an, was Lessing bei seiner Erwähnung<lb/> von Du Belloy's „Belagerung von Calais" von den Franzosen sagt: „Wenn<lb/> es dies Stück nicht verdiente, daß die Franzosen ein solches Lärmen damit<lb/> machten, so gereicht doch dieses Lärmen selbst den Franzosen zur Ehre. Es<lb/> zeigt sie als ein Volk, das auf seinen Ruhm eifersüchtig ist, auf das die<lb/> großen Thaten seiner Vorfahren ihren Eindruck nicht verloren haben, das von<lb/> dem Werthe eines Dichters und von dem Einflüsse des Theaters auf Tugend<lb/> und Sitten überzeugt, jenen nicht zu seinen unnützen Gliedern rechnet, dieses<lb/> nicht zu den Gegenständen zählt, um die sich nur geschäftige Müssiggänger<lb/> kümmern. Wie weit sind wir Deutsche in diesem Stück noch hinter den<lb/> Franzosen! Es gerade herauszusagen: wir sind gegen sie noch die wahren<lb/> Barbaren I" und dann fährt er fort: „Ist es bei solchen Ansichten ein Wun¬<lb/> der, wenn Lessing's Sprache von französischen Einflüssen nicht frei geblieben<lb/> ist?" Nun ist aber erstens diese Schlußfolgerung eine etwas übereilte, und<lb/> zweitens liegt in Lessing's Worten durchaus kein Mangel an Patriotismus<lb/> und keine übergebührliche Lobpreisung der Franzosen. Dem Krämergeiste des<lb/> Hamburger Publikums gegenüber, welches auf seinem „deutschen National¬<lb/> theater" wenige Monate nach dessen Eröffnung schon wieder Seiltänzer und<lb/> Hanswurste herumspringen ließ, war dieser Zorneserguß Lessing's vollständig<lb/> am Platze. „In diesem Stück", sagt Lessing, d. h. in der Fähigkeit, das<lb/> Theater als eine nationale Bildungsstätte zu betrachten, sind wir gegen die<lb/> Franzosen Barbaren, und damit hatte er zu seiner Zeit vollkommen Recht.<lb/> Die falsche Auffassung Brandstäter's ist um so auffälliger, da er selbst kurz<lb/> vorher aus derselben „Hamburgischen Dramaturgie" die berühmte Stelle an¬<lb/> führt, in welcher Lessing die Nachahmung der schlechten Seiten des französi¬<lb/> schen Wesens eifrig bekämpft. Verträgt sich denn das nicht mit einander?<lb/> Thun wir nicht heute noch dasselbe? Wägen wir nicht eben so gerecht wie<lb/> Lessing ab zwischen dem, worin wir uns die Franzosen zum Muster nehmen<lb/> können und dem, was wir meiden und verabscheuen müssen? — Wie komisch<lb/> nimmt es sich aber erst ans, wenn im weiteren Verlaufe der Darstellung auch<lb/> Schiller „mit Bedauern genannt wird", weil er „ohne Noth der deutschen Sprache<lb/> französische Wendungen aufzwang oder einverleibte, welche nicht ohne zahl¬<lb/> reiche Nachfolge und Nachahmung bleiben konnten," oder wenn es von Goethe<lb/> heißt! „Es wäre du seinein langen Leben und vielseitigen Einflüsse sehr zu</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0340]
dieser ganzen Uterargeschichtlichen Uebersicht der einseitigste Patriotismus fast
den einzigen Maaßstab der Beurtheilung abgegeben hat. Man könnte sagen:
Hier haben wir einen Abriß der deutschen Literaturgeschichte von Ulfila bis
Heine vom Standpunkte des „deutschen Ehrenmannes". Französische Gesinnung
und Sprachmengerei einerseits, Reinheit der Sprache und Patriotismus andrer¬
seits sind für den Verfasser so ziemlich identische Begriffe. So führt er z.B.
aus der „Hamburgischen Dramaturgie" an, was Lessing bei seiner Erwähnung
von Du Belloy's „Belagerung von Calais" von den Franzosen sagt: „Wenn
es dies Stück nicht verdiente, daß die Franzosen ein solches Lärmen damit
machten, so gereicht doch dieses Lärmen selbst den Franzosen zur Ehre. Es
zeigt sie als ein Volk, das auf seinen Ruhm eifersüchtig ist, auf das die
großen Thaten seiner Vorfahren ihren Eindruck nicht verloren haben, das von
dem Werthe eines Dichters und von dem Einflüsse des Theaters auf Tugend
und Sitten überzeugt, jenen nicht zu seinen unnützen Gliedern rechnet, dieses
nicht zu den Gegenständen zählt, um die sich nur geschäftige Müssiggänger
kümmern. Wie weit sind wir Deutsche in diesem Stück noch hinter den
Franzosen! Es gerade herauszusagen: wir sind gegen sie noch die wahren
Barbaren I" und dann fährt er fort: „Ist es bei solchen Ansichten ein Wun¬
der, wenn Lessing's Sprache von französischen Einflüssen nicht frei geblieben
ist?" Nun ist aber erstens diese Schlußfolgerung eine etwas übereilte, und
zweitens liegt in Lessing's Worten durchaus kein Mangel an Patriotismus
und keine übergebührliche Lobpreisung der Franzosen. Dem Krämergeiste des
Hamburger Publikums gegenüber, welches auf seinem „deutschen National¬
theater" wenige Monate nach dessen Eröffnung schon wieder Seiltänzer und
Hanswurste herumspringen ließ, war dieser Zorneserguß Lessing's vollständig
am Platze. „In diesem Stück", sagt Lessing, d. h. in der Fähigkeit, das
Theater als eine nationale Bildungsstätte zu betrachten, sind wir gegen die
Franzosen Barbaren, und damit hatte er zu seiner Zeit vollkommen Recht.
Die falsche Auffassung Brandstäter's ist um so auffälliger, da er selbst kurz
vorher aus derselben „Hamburgischen Dramaturgie" die berühmte Stelle an¬
führt, in welcher Lessing die Nachahmung der schlechten Seiten des französi¬
schen Wesens eifrig bekämpft. Verträgt sich denn das nicht mit einander?
Thun wir nicht heute noch dasselbe? Wägen wir nicht eben so gerecht wie
Lessing ab zwischen dem, worin wir uns die Franzosen zum Muster nehmen
können und dem, was wir meiden und verabscheuen müssen? — Wie komisch
nimmt es sich aber erst ans, wenn im weiteren Verlaufe der Darstellung auch
Schiller „mit Bedauern genannt wird", weil er „ohne Noth der deutschen Sprache
französische Wendungen aufzwang oder einverleibte, welche nicht ohne zahl¬
reiche Nachfolge und Nachahmung bleiben konnten," oder wenn es von Goethe
heißt! „Es wäre du seinein langen Leben und vielseitigen Einflüsse sehr zu
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