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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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wir unsre Muttersprache von französischen Elementen zu säubern versuchen.
Wohl ist es wahr, wir haben seit dem Kriege einen ununterbrochenen Kampf
gegen alles in unsre Cultur eingedrungene wälsche Wesen geführt, gegen die
Pariser Moden wie gegen die Chignons, gegen die Cameliendamen wie'gegen
die Offenbachiaden; aber wir haben auch in den Augenblicken des höchsten
und gerechtesten Zornes nie vergessen, wieviel wir noch von unserm "bösen
Nachbar" lernen können. Während die Franzosen das wüthendste Revanche¬
geheul anstimmten, haben in Deutschland Männer wie Sybel, Hillebrandt,
Frenzel u. a. in der freimüthigster und wohlwollendsten Weise die schönen,
großen und liebenswürdigen Seiten des französischen Volkes hervorgekehrt,
um uns vor blinder Selbstüberhebung zu bewahren. Und erst vorm Jahre
wieder haben wir auf der Weltausstellung in Wien bereitwilligst anerkannt,
wie sehr uns die Franzosen in vielen Stücken überlegen sind, und das zu
derselben Zeit, wo Dumas unsern größten Dichter, von dem er wahrscheinlich
nicht das kleinste Gedicht wirklich versteht, in wahrer Gassenjungenmanier
mit Schmutz bewarf. Chauvinismus also kann uns wohl niemand vorwerfen.
Wohl aber wird sich mancher darüber wundern, wie heutzutage überhaupt
noch jemand von zunehmender Verwischung unserer Sprache reden kann.
Bemühen wir uns nicht seit vielen Jahren schon, alle überflüssigen französi¬
schen Wörter und Redensarten aus unsrer Sprache hinauszuwerfen? Be¬
trachten wir es nicht längst als ein Zeichen von Halbbildung, wenn jemand
seine Sprache noch mit lächerlichen französischen Floskeln, wie: einem on an
zufolge, ü, MatrL mains spielen, o-donnemönt suspsnÄu, oll>.indi's Zarmv u. a.
verbrämt, oder wenn er lateinische und griechische Wörter wie Cadenz, Cen-
timeter, Orchester in französischer oder vollends gar bloß eingebildet französi¬
scher Weise (Orschester!) ausspricht? Sind wir nicht in unserm Reinigungseifer so
weit gegangen, daß wir beim Billardsptel deutsch zählen, daß wir unsre Wirths¬
haus- und Ladenschilder übersetzen, daß wir sogar unsern Küchenzettel mit
aller Gewalt germcmisiren, und müßten wir auch dabei die Coteletten in
Rippenschnitzel und die Sauce in Tunke umlaufen? Ganz recht. Aber wäh¬
rend wir den Feind zu der einen Thür hinauszutreiben suchen, ist er bereits
ganz unvermerkt mit viel gefährlicheren Waffen zur andern wieder herein¬
gedrungen. Ueberladung unsrer Sprache mit französischen Wörtern und
Redensarten wird kein verständiger Mensch Verwischung nennen. Mag
unser Wortschatz so viele französische Wörter in sich aufnehmen wie er will
-- und wohlgemerkt, es ist eine Thatsache, daß trotz unsrer Reinigungsbe¬
strebungen ihre Zahl dennoch in stetigem und unaufhaltsamem Wachsthum
begriffen ist! -- mag der deutsche Offizier nach wie vor dem Kriege drei
Viertel aller seiner militärischen Ausdrücke dem Französischen entlehnen, der
deutsche Ladenjüngling seine Zeugstoffe nach wie vor mit französischen Namen


wir unsre Muttersprache von französischen Elementen zu säubern versuchen.
Wohl ist es wahr, wir haben seit dem Kriege einen ununterbrochenen Kampf
gegen alles in unsre Cultur eingedrungene wälsche Wesen geführt, gegen die
Pariser Moden wie gegen die Chignons, gegen die Cameliendamen wie'gegen
die Offenbachiaden; aber wir haben auch in den Augenblicken des höchsten
und gerechtesten Zornes nie vergessen, wieviel wir noch von unserm „bösen
Nachbar" lernen können. Während die Franzosen das wüthendste Revanche¬
geheul anstimmten, haben in Deutschland Männer wie Sybel, Hillebrandt,
Frenzel u. a. in der freimüthigster und wohlwollendsten Weise die schönen,
großen und liebenswürdigen Seiten des französischen Volkes hervorgekehrt,
um uns vor blinder Selbstüberhebung zu bewahren. Und erst vorm Jahre
wieder haben wir auf der Weltausstellung in Wien bereitwilligst anerkannt,
wie sehr uns die Franzosen in vielen Stücken überlegen sind, und das zu
derselben Zeit, wo Dumas unsern größten Dichter, von dem er wahrscheinlich
nicht das kleinste Gedicht wirklich versteht, in wahrer Gassenjungenmanier
mit Schmutz bewarf. Chauvinismus also kann uns wohl niemand vorwerfen.
Wohl aber wird sich mancher darüber wundern, wie heutzutage überhaupt
noch jemand von zunehmender Verwischung unserer Sprache reden kann.
Bemühen wir uns nicht seit vielen Jahren schon, alle überflüssigen französi¬
schen Wörter und Redensarten aus unsrer Sprache hinauszuwerfen? Be¬
trachten wir es nicht längst als ein Zeichen von Halbbildung, wenn jemand
seine Sprache noch mit lächerlichen französischen Floskeln, wie: einem on an
zufolge, ü, MatrL mains spielen, o-donnemönt suspsnÄu, oll>.indi's Zarmv u. a.
verbrämt, oder wenn er lateinische und griechische Wörter wie Cadenz, Cen-
timeter, Orchester in französischer oder vollends gar bloß eingebildet französi¬
scher Weise (Orschester!) ausspricht? Sind wir nicht in unserm Reinigungseifer so
weit gegangen, daß wir beim Billardsptel deutsch zählen, daß wir unsre Wirths¬
haus- und Ladenschilder übersetzen, daß wir sogar unsern Küchenzettel mit
aller Gewalt germcmisiren, und müßten wir auch dabei die Coteletten in
Rippenschnitzel und die Sauce in Tunke umlaufen? Ganz recht. Aber wäh¬
rend wir den Feind zu der einen Thür hinauszutreiben suchen, ist er bereits
ganz unvermerkt mit viel gefährlicheren Waffen zur andern wieder herein¬
gedrungen. Ueberladung unsrer Sprache mit französischen Wörtern und
Redensarten wird kein verständiger Mensch Verwischung nennen. Mag
unser Wortschatz so viele französische Wörter in sich aufnehmen wie er will
— und wohlgemerkt, es ist eine Thatsache, daß trotz unsrer Reinigungsbe¬
strebungen ihre Zahl dennoch in stetigem und unaufhaltsamem Wachsthum
begriffen ist! — mag der deutsche Offizier nach wie vor dem Kriege drei
Viertel aller seiner militärischen Ausdrücke dem Französischen entlehnen, der
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[0329] wir unsre Muttersprache von französischen Elementen zu säubern versuchen. Wohl ist es wahr, wir haben seit dem Kriege einen ununterbrochenen Kampf gegen alles in unsre Cultur eingedrungene wälsche Wesen geführt, gegen die Pariser Moden wie gegen die Chignons, gegen die Cameliendamen wie'gegen die Offenbachiaden; aber wir haben auch in den Augenblicken des höchsten und gerechtesten Zornes nie vergessen, wieviel wir noch von unserm „bösen Nachbar" lernen können. Während die Franzosen das wüthendste Revanche¬ geheul anstimmten, haben in Deutschland Männer wie Sybel, Hillebrandt, Frenzel u. a. in der freimüthigster und wohlwollendsten Weise die schönen, großen und liebenswürdigen Seiten des französischen Volkes hervorgekehrt, um uns vor blinder Selbstüberhebung zu bewahren. Und erst vorm Jahre wieder haben wir auf der Weltausstellung in Wien bereitwilligst anerkannt, wie sehr uns die Franzosen in vielen Stücken überlegen sind, und das zu derselben Zeit, wo Dumas unsern größten Dichter, von dem er wahrscheinlich nicht das kleinste Gedicht wirklich versteht, in wahrer Gassenjungenmanier mit Schmutz bewarf. Chauvinismus also kann uns wohl niemand vorwerfen. Wohl aber wird sich mancher darüber wundern, wie heutzutage überhaupt noch jemand von zunehmender Verwischung unserer Sprache reden kann. Bemühen wir uns nicht seit vielen Jahren schon, alle überflüssigen französi¬ schen Wörter und Redensarten aus unsrer Sprache hinauszuwerfen? Be¬ trachten wir es nicht längst als ein Zeichen von Halbbildung, wenn jemand seine Sprache noch mit lächerlichen französischen Floskeln, wie: einem on an zufolge, ü, MatrL mains spielen, o-donnemönt suspsnÄu, oll>.indi's Zarmv u. a. verbrämt, oder wenn er lateinische und griechische Wörter wie Cadenz, Cen- timeter, Orchester in französischer oder vollends gar bloß eingebildet französi¬ scher Weise (Orschester!) ausspricht? Sind wir nicht in unserm Reinigungseifer so weit gegangen, daß wir beim Billardsptel deutsch zählen, daß wir unsre Wirths¬ haus- und Ladenschilder übersetzen, daß wir sogar unsern Küchenzettel mit aller Gewalt germcmisiren, und müßten wir auch dabei die Coteletten in Rippenschnitzel und die Sauce in Tunke umlaufen? Ganz recht. Aber wäh¬ rend wir den Feind zu der einen Thür hinauszutreiben suchen, ist er bereits ganz unvermerkt mit viel gefährlicheren Waffen zur andern wieder herein¬ gedrungen. Ueberladung unsrer Sprache mit französischen Wörtern und Redensarten wird kein verständiger Mensch Verwischung nennen. Mag unser Wortschatz so viele französische Wörter in sich aufnehmen wie er will — und wohlgemerkt, es ist eine Thatsache, daß trotz unsrer Reinigungsbe¬ strebungen ihre Zahl dennoch in stetigem und unaufhaltsamem Wachsthum begriffen ist! — mag der deutsche Offizier nach wie vor dem Kriege drei Viertel aller seiner militärischen Ausdrücke dem Französischen entlehnen, der deutsche Ladenjüngling seine Zeugstoffe nach wie vor mit französischen Namen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/329>, abgerufen am 25.12.2024.