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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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weise erst in den Anfängen vorhanden, hat wenigstens nicht, wie in Frank¬
reich sozusagen in der Gesellschaft das Bürgerrecht erlangt. Paul Lindau hat
in seiner "Diana" versucht, etwas Aehnliches aus unseren deutschen Verhält¬
nissen herauszuzeichnen; er hat sich dafür von allen Seiten den Vorwurf der
Unwahrheit zugezogen. Anders der französische Dichter; er schildert eine in
der That vorhandene Gesellschaftssphäre. Und daß er sie schildert, kann an¬
gesichts der Geschmacksrichtung der modernen Franzosen nicht Wunder nehmen.
Ja, wenn schon das Drama lune-Zone haben soll, dann dünken mir die
Dumas'schen Demimondekomödien moralisch immer noch minder verwerflich,
als jene raffinirte Darstellung der inneren Fäulniß der sog. guten Gesellschaft,
wie sie in den Sardon'schen und Feuillee'schen Stücken üblich ist. Im
Uebrigen ist "le clemi-moral" nicht schlimmer als die allgemein bekannte
"äams s,ux eamÄias" desselben Verfassers. Auch hier ist eine einzelne Dame
die Alles beherrschende Hauptfigur. Fünf Acte hindurch werden zwar von
wenig Handlung aber einem durchweg geistvollen und spannenden Dialog
unterstützt, die tausend kleinen Zaubermittel des herzlosen, diabolischen Weibes
vor uns ausgebreitet; alsdann siegt plötzlich die Tugend, das Laster aber --
zieht mit langer Nase ab, vermuthlich um dasselbe Spiel anderswo von
Neuem zu beginnen. Die Hauptrolle, die soi-ciisant "Ums. Is. den-onus
"I'^vAs", fand in Ume. as Lövölv eine meisterhafte Vertreterin.

Unter den einheimischen Bühnen hat in den letzten Jahren das Residenz¬
theater sich mit Vorliebe der Pflege des modernen französischen Dramas ge¬
widmet. Vielleicht ist die nationalfranzösische Concurrenz schuld daran, daß
diese Bühne in der jüngsten Zeit auf anderen Pfaden gewandelt hat. Sie
gab: "Eine Schule der Ehe, Lebensbild in 5 Acten von Charlotte von
Grapen." Das Stück erinnert an eine andere Charlotte, an Charlotte Birch-
Pfeiffer. Wieviel man auch über die selige Vielschreiberin gescholten hat, sie
hat unserm Volke doch manche Stunde der Erbauung verschafft und seine
Denkart jedenfalls nicht schlechter gemacht. Ganz unzweifelhaft waren ihre
Arbeiten neben Roderich Benedir' Lustspielen die populärsten Bühnenerzeug¬
nisse. Nun sind sie beide dahingegangen und wir haben noch keinen Ersatz
für sie. Möglich, daß Charlotte von Grapen das Zeug dazu hat. ihrer
Namensschwester eine würdige Nachfolgerin zu werden. Wenigstens erweckt
das genannte Stück die besten Erwartungen, das Sujet desselben ist'eine Art
"Bezähmung der Widerspenstigen": eine Gräfin Horden, eigenwillig, voll des
barocksten Adelsstolzes, wird durch die unbeugsame Consequenz ihres Mannes,
vielleicht mehr noch durch die Liebe zu ihrem Kinde, vollständig umgewandelt.
Das "vielleicht" bezeichnet die Schwäche des Stückes: wir sehen zu wenig von
der psychologischen Entwicklung, Diesem Moment wird die Verfasserin be¬
deutend mehr Beachtung schenken müssen. -- Von den Leistungen des Resi-


weise erst in den Anfängen vorhanden, hat wenigstens nicht, wie in Frank¬
reich sozusagen in der Gesellschaft das Bürgerrecht erlangt. Paul Lindau hat
in seiner „Diana" versucht, etwas Aehnliches aus unseren deutschen Verhält¬
nissen herauszuzeichnen; er hat sich dafür von allen Seiten den Vorwurf der
Unwahrheit zugezogen. Anders der französische Dichter; er schildert eine in
der That vorhandene Gesellschaftssphäre. Und daß er sie schildert, kann an¬
gesichts der Geschmacksrichtung der modernen Franzosen nicht Wunder nehmen.
Ja, wenn schon das Drama lune-Zone haben soll, dann dünken mir die
Dumas'schen Demimondekomödien moralisch immer noch minder verwerflich,
als jene raffinirte Darstellung der inneren Fäulniß der sog. guten Gesellschaft,
wie sie in den Sardon'schen und Feuillee'schen Stücken üblich ist. Im
Uebrigen ist „le clemi-moral" nicht schlimmer als die allgemein bekannte
„äams s,ux eamÄias" desselben Verfassers. Auch hier ist eine einzelne Dame
die Alles beherrschende Hauptfigur. Fünf Acte hindurch werden zwar von
wenig Handlung aber einem durchweg geistvollen und spannenden Dialog
unterstützt, die tausend kleinen Zaubermittel des herzlosen, diabolischen Weibes
vor uns ausgebreitet; alsdann siegt plötzlich die Tugend, das Laster aber —
zieht mit langer Nase ab, vermuthlich um dasselbe Spiel anderswo von
Neuem zu beginnen. Die Hauptrolle, die soi-ciisant „Ums. Is. den-onus
«I'^vAs", fand in Ume. as Lövölv eine meisterhafte Vertreterin.

Unter den einheimischen Bühnen hat in den letzten Jahren das Residenz¬
theater sich mit Vorliebe der Pflege des modernen französischen Dramas ge¬
widmet. Vielleicht ist die nationalfranzösische Concurrenz schuld daran, daß
diese Bühne in der jüngsten Zeit auf anderen Pfaden gewandelt hat. Sie
gab: „Eine Schule der Ehe, Lebensbild in 5 Acten von Charlotte von
Grapen." Das Stück erinnert an eine andere Charlotte, an Charlotte Birch-
Pfeiffer. Wieviel man auch über die selige Vielschreiberin gescholten hat, sie
hat unserm Volke doch manche Stunde der Erbauung verschafft und seine
Denkart jedenfalls nicht schlechter gemacht. Ganz unzweifelhaft waren ihre
Arbeiten neben Roderich Benedir' Lustspielen die populärsten Bühnenerzeug¬
nisse. Nun sind sie beide dahingegangen und wir haben noch keinen Ersatz
für sie. Möglich, daß Charlotte von Grapen das Zeug dazu hat. ihrer
Namensschwester eine würdige Nachfolgerin zu werden. Wenigstens erweckt
das genannte Stück die besten Erwartungen, das Sujet desselben ist'eine Art
„Bezähmung der Widerspenstigen": eine Gräfin Horden, eigenwillig, voll des
barocksten Adelsstolzes, wird durch die unbeugsame Consequenz ihres Mannes,
vielleicht mehr noch durch die Liebe zu ihrem Kinde, vollständig umgewandelt.
Das „vielleicht" bezeichnet die Schwäche des Stückes: wir sehen zu wenig von
der psychologischen Entwicklung, Diesem Moment wird die Verfasserin be¬
deutend mehr Beachtung schenken müssen. — Von den Leistungen des Resi-


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[0325] weise erst in den Anfängen vorhanden, hat wenigstens nicht, wie in Frank¬ reich sozusagen in der Gesellschaft das Bürgerrecht erlangt. Paul Lindau hat in seiner „Diana" versucht, etwas Aehnliches aus unseren deutschen Verhält¬ nissen herauszuzeichnen; er hat sich dafür von allen Seiten den Vorwurf der Unwahrheit zugezogen. Anders der französische Dichter; er schildert eine in der That vorhandene Gesellschaftssphäre. Und daß er sie schildert, kann an¬ gesichts der Geschmacksrichtung der modernen Franzosen nicht Wunder nehmen. Ja, wenn schon das Drama lune-Zone haben soll, dann dünken mir die Dumas'schen Demimondekomödien moralisch immer noch minder verwerflich, als jene raffinirte Darstellung der inneren Fäulniß der sog. guten Gesellschaft, wie sie in den Sardon'schen und Feuillee'schen Stücken üblich ist. Im Uebrigen ist „le clemi-moral" nicht schlimmer als die allgemein bekannte „äams s,ux eamÄias" desselben Verfassers. Auch hier ist eine einzelne Dame die Alles beherrschende Hauptfigur. Fünf Acte hindurch werden zwar von wenig Handlung aber einem durchweg geistvollen und spannenden Dialog unterstützt, die tausend kleinen Zaubermittel des herzlosen, diabolischen Weibes vor uns ausgebreitet; alsdann siegt plötzlich die Tugend, das Laster aber — zieht mit langer Nase ab, vermuthlich um dasselbe Spiel anderswo von Neuem zu beginnen. Die Hauptrolle, die soi-ciisant „Ums. Is. den-onus «I'^vAs", fand in Ume. as Lövölv eine meisterhafte Vertreterin. Unter den einheimischen Bühnen hat in den letzten Jahren das Residenz¬ theater sich mit Vorliebe der Pflege des modernen französischen Dramas ge¬ widmet. Vielleicht ist die nationalfranzösische Concurrenz schuld daran, daß diese Bühne in der jüngsten Zeit auf anderen Pfaden gewandelt hat. Sie gab: „Eine Schule der Ehe, Lebensbild in 5 Acten von Charlotte von Grapen." Das Stück erinnert an eine andere Charlotte, an Charlotte Birch- Pfeiffer. Wieviel man auch über die selige Vielschreiberin gescholten hat, sie hat unserm Volke doch manche Stunde der Erbauung verschafft und seine Denkart jedenfalls nicht schlechter gemacht. Ganz unzweifelhaft waren ihre Arbeiten neben Roderich Benedir' Lustspielen die populärsten Bühnenerzeug¬ nisse. Nun sind sie beide dahingegangen und wir haben noch keinen Ersatz für sie. Möglich, daß Charlotte von Grapen das Zeug dazu hat. ihrer Namensschwester eine würdige Nachfolgerin zu werden. Wenigstens erweckt das genannte Stück die besten Erwartungen, das Sujet desselben ist'eine Art „Bezähmung der Widerspenstigen": eine Gräfin Horden, eigenwillig, voll des barocksten Adelsstolzes, wird durch die unbeugsame Consequenz ihres Mannes, vielleicht mehr noch durch die Liebe zu ihrem Kinde, vollständig umgewandelt. Das „vielleicht" bezeichnet die Schwäche des Stückes: wir sehen zu wenig von der psychologischen Entwicklung, Diesem Moment wird die Verfasserin be¬ deutend mehr Beachtung schenken müssen. — Von den Leistungen des Resi-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/325>, abgerufen am 25.12.2024.