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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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candidaten aufgestellt. Die Anhänger der letzteren konnten mit mathematischer
Sicherheit die Erfolglosigkeit ihrer Bemühungen berechnen und dennoch unter¬
zogen sie sich denselben. Kann es einen deutlicheren Beweis geben, daß die
wahren Franzosen des Elsasses in den ultramontanen Wahlen nicht die von
ihnen gewollt" antideutsche Demonstration erblicken, ja daß sie es für nöthig
hielten, durch ihre Separatcandidaturen gegen eine derartige Auffassung aus¬
drücklich zu Protestiren? Die nationalen Chauvins in Paris werden also gut
thun, ihre stolzen Siegesgesänge ein wenig zu dämpfen; was sie von den
elsaßlothringischen Wahlen gehofft, eine rein französische Demonstration ist
durobaus nicht in Erfüllung gegangen. Mögen sich aber auch immerhin Gam-
betta und Genossen der von den Klerikalen errungenen Erfolge aus demselben
Grunde freuen, aus welchem sie den Sieg der Römlinge in Baiern begrüßt
haben, so tritt ihnen doch andererseits aus dem reichsländischen Gesammtwahl-
resultat die unbequeme Wahrheit entgegen, daß von 242,000 Stimmen über
47,000, also über ein Fünftel auf elsässische, resp, deutsche Candidaten ge¬
fallen sind. Vor zwei, drei Jahren wurde uns von den Franzosen tagtäglich
aufs festeste versichert, daß von der lebenden Generation Elsaßlothringens
schwerlich jemals ein Mann zum Zwecke der Wahl für den deutschen Reichs¬
tag an die Urne herantreten werde; wenn aber doch, so jedenfalls nur, um
einen Protestcandidaten zu wählen. Heute stehen wir vor der Thatsache, daß
nicht allein über 75°/<> der wahlberechtigten Männer aus der dumpfen Ne¬
gation herausgetreten sind und sich des von Deutschland ihnen gebotenen
Wahlrechts bedient, sondern daß von den Abstimmenden sich auch bereits über
20-/o mit der gegenwärtigen Lage ihres Landes versöhnt haben. Diese That¬
sache, wie sie für Frankreich mindestens sehr unangenehm ist, kann die deutsche
Verwaltung um so mehr befriedigen, als die große Masse der ihr feindlichen
Wähler ja gar nicht einmal über die Frage der Anerkennung des gegenwär¬
tigen Zustandes abgestimmt hat, sondern als willenloses Werkzeug gehand¬
habt wurde für Zwecke, welche mit dem Wohl und Wehe des Neichslandes
in keiner Verbindung stehen.

Gerade dies letztere Verhältniß aber macht die Wahlen, in ihren Folgen
für Elsaßlothringen selbst sehr verhängnißvoll. Die Wählerschaft hielt die
nächste Zukunft ihres Landes in der Hand. Wären die autonomistischen Can¬
didaten mit noch so geringer Mehrheit siegreich aus dem Kampfe hervorge¬
gangen, so würden die gesetzgebenden Factoren des Reichs gewiß nicht gezögert
haben, das Reichsland mit einer definitiven Verfassung auszustatten. Wie
das Resultat jetzt vorliegt, sind diese Hoffnungen fast vernichtet. Stände
man einfachen Protestwahlen gegenüber, so möchte immerhin bis zu der näch¬
sten Reichstagswahl eine entscheidende Aenderung erwartet werden. Allein
leider ist. wie sich soeben gezeigt hat. die große Mehrzahl der elsaßlothringischen


candidaten aufgestellt. Die Anhänger der letzteren konnten mit mathematischer
Sicherheit die Erfolglosigkeit ihrer Bemühungen berechnen und dennoch unter¬
zogen sie sich denselben. Kann es einen deutlicheren Beweis geben, daß die
wahren Franzosen des Elsasses in den ultramontanen Wahlen nicht die von
ihnen gewollt« antideutsche Demonstration erblicken, ja daß sie es für nöthig
hielten, durch ihre Separatcandidaturen gegen eine derartige Auffassung aus¬
drücklich zu Protestiren? Die nationalen Chauvins in Paris werden also gut
thun, ihre stolzen Siegesgesänge ein wenig zu dämpfen; was sie von den
elsaßlothringischen Wahlen gehofft, eine rein französische Demonstration ist
durobaus nicht in Erfüllung gegangen. Mögen sich aber auch immerhin Gam-
betta und Genossen der von den Klerikalen errungenen Erfolge aus demselben
Grunde freuen, aus welchem sie den Sieg der Römlinge in Baiern begrüßt
haben, so tritt ihnen doch andererseits aus dem reichsländischen Gesammtwahl-
resultat die unbequeme Wahrheit entgegen, daß von 242,000 Stimmen über
47,000, also über ein Fünftel auf elsässische, resp, deutsche Candidaten ge¬
fallen sind. Vor zwei, drei Jahren wurde uns von den Franzosen tagtäglich
aufs festeste versichert, daß von der lebenden Generation Elsaßlothringens
schwerlich jemals ein Mann zum Zwecke der Wahl für den deutschen Reichs¬
tag an die Urne herantreten werde; wenn aber doch, so jedenfalls nur, um
einen Protestcandidaten zu wählen. Heute stehen wir vor der Thatsache, daß
nicht allein über 75°/<> der wahlberechtigten Männer aus der dumpfen Ne¬
gation herausgetreten sind und sich des von Deutschland ihnen gebotenen
Wahlrechts bedient, sondern daß von den Abstimmenden sich auch bereits über
20-/o mit der gegenwärtigen Lage ihres Landes versöhnt haben. Diese That¬
sache, wie sie für Frankreich mindestens sehr unangenehm ist, kann die deutsche
Verwaltung um so mehr befriedigen, als die große Masse der ihr feindlichen
Wähler ja gar nicht einmal über die Frage der Anerkennung des gegenwär¬
tigen Zustandes abgestimmt hat, sondern als willenloses Werkzeug gehand¬
habt wurde für Zwecke, welche mit dem Wohl und Wehe des Neichslandes
in keiner Verbindung stehen.

Gerade dies letztere Verhältniß aber macht die Wahlen, in ihren Folgen
für Elsaßlothringen selbst sehr verhängnißvoll. Die Wählerschaft hielt die
nächste Zukunft ihres Landes in der Hand. Wären die autonomistischen Can¬
didaten mit noch so geringer Mehrheit siegreich aus dem Kampfe hervorge¬
gangen, so würden die gesetzgebenden Factoren des Reichs gewiß nicht gezögert
haben, das Reichsland mit einer definitiven Verfassung auszustatten. Wie
das Resultat jetzt vorliegt, sind diese Hoffnungen fast vernichtet. Stände
man einfachen Protestwahlen gegenüber, so möchte immerhin bis zu der näch¬
sten Reichstagswahl eine entscheidende Aenderung erwartet werden. Allein
leider ist. wie sich soeben gezeigt hat. die große Mehrzahl der elsaßlothringischen


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[0282] candidaten aufgestellt. Die Anhänger der letzteren konnten mit mathematischer Sicherheit die Erfolglosigkeit ihrer Bemühungen berechnen und dennoch unter¬ zogen sie sich denselben. Kann es einen deutlicheren Beweis geben, daß die wahren Franzosen des Elsasses in den ultramontanen Wahlen nicht die von ihnen gewollt« antideutsche Demonstration erblicken, ja daß sie es für nöthig hielten, durch ihre Separatcandidaturen gegen eine derartige Auffassung aus¬ drücklich zu Protestiren? Die nationalen Chauvins in Paris werden also gut thun, ihre stolzen Siegesgesänge ein wenig zu dämpfen; was sie von den elsaßlothringischen Wahlen gehofft, eine rein französische Demonstration ist durobaus nicht in Erfüllung gegangen. Mögen sich aber auch immerhin Gam- betta und Genossen der von den Klerikalen errungenen Erfolge aus demselben Grunde freuen, aus welchem sie den Sieg der Römlinge in Baiern begrüßt haben, so tritt ihnen doch andererseits aus dem reichsländischen Gesammtwahl- resultat die unbequeme Wahrheit entgegen, daß von 242,000 Stimmen über 47,000, also über ein Fünftel auf elsässische, resp, deutsche Candidaten ge¬ fallen sind. Vor zwei, drei Jahren wurde uns von den Franzosen tagtäglich aufs festeste versichert, daß von der lebenden Generation Elsaßlothringens schwerlich jemals ein Mann zum Zwecke der Wahl für den deutschen Reichs¬ tag an die Urne herantreten werde; wenn aber doch, so jedenfalls nur, um einen Protestcandidaten zu wählen. Heute stehen wir vor der Thatsache, daß nicht allein über 75°/<> der wahlberechtigten Männer aus der dumpfen Ne¬ gation herausgetreten sind und sich des von Deutschland ihnen gebotenen Wahlrechts bedient, sondern daß von den Abstimmenden sich auch bereits über 20-/o mit der gegenwärtigen Lage ihres Landes versöhnt haben. Diese That¬ sache, wie sie für Frankreich mindestens sehr unangenehm ist, kann die deutsche Verwaltung um so mehr befriedigen, als die große Masse der ihr feindlichen Wähler ja gar nicht einmal über die Frage der Anerkennung des gegenwär¬ tigen Zustandes abgestimmt hat, sondern als willenloses Werkzeug gehand¬ habt wurde für Zwecke, welche mit dem Wohl und Wehe des Neichslandes in keiner Verbindung stehen. Gerade dies letztere Verhältniß aber macht die Wahlen, in ihren Folgen für Elsaßlothringen selbst sehr verhängnißvoll. Die Wählerschaft hielt die nächste Zukunft ihres Landes in der Hand. Wären die autonomistischen Can¬ didaten mit noch so geringer Mehrheit siegreich aus dem Kampfe hervorge¬ gangen, so würden die gesetzgebenden Factoren des Reichs gewiß nicht gezögert haben, das Reichsland mit einer definitiven Verfassung auszustatten. Wie das Resultat jetzt vorliegt, sind diese Hoffnungen fast vernichtet. Stände man einfachen Protestwahlen gegenüber, so möchte immerhin bis zu der näch¬ sten Reichstagswahl eine entscheidende Aenderung erwartet werden. Allein leider ist. wie sich soeben gezeigt hat. die große Mehrzahl der elsaßlothringischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/282>, abgerufen am 22.07.2024.