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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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ganzen jetzigen Conflikt des deutschen Reichs und des preußischen Staates mit
der römischen Kirche zur Sprache bringen würde. Zum Wortführer war dies¬
mal wiederum Herr Peter Reichensperger ausersehen. Wir haben an dieser
Stelle stets mit hoher Achtung von den ausgezeichneten Eigenschaften dieses
Parteiführers gesprochen. Wir möchten einmal fragen, was dieser ehrliebende
und unterrichtete Mann, der, um ein gewöhnlicher Fanatiker zu sein, zu
viel Bildung des objectiven Denkens besitzt, und um ein kunstreicher Sophist
zu sein, zu viel Lauterkeit des Charakters -- wir möchten wohl wissen, was
er antworten würde auf die ruhige Frage eines achtungswerthen Mannes:
ist es Ihre volle Ueberzeugung, und wie vermögen Sie dieselbe zu begründen,
daß die katholische Kirche, wenn sie sich zur pünktlichen Befolgung der Mai¬
gesetze entschlösse, auch nur den geringsten Schaden leiden würde? In einer
der folgenden Sitzungen vernahmen wir aus dem Munde des Herrn v.
Mallinckrodt, des plumpen Fanatikers, wie er im Buche steht, daß ähnliche
und viel weitergehende Anforderungen wie die der preußischen Maigesetze in
vielen Ländern durch die katholische Kirche ohne Widerspruch und ohne Scha¬
den erfüllt werden. Herr v. Mallinckrodt interpretirt, wie übrigens auch
durch die preußischen Bischöfe längst geschehen, den Widerstand der
römischen Kirche gegen die preußische Gesetzgebung dahin, daß er lediglich der
Form gelte. Die römische Kirche erklärt, daß sie solchen Gesetzen sich wohl
unterwerfen könne, aber unter der Bedingung, daß sie dabei als Gesetzgebe,
rin oder noch besser, als hoher vertragschließender Theil, als internationale
Macht in weltrechtlicher Selbständigkeit mitgewirkt habe. Und darum droht
hier Reichensperger mit dem <zuo<1 ksrrum non ssnat, iZnis sanne, darum
zeigt er sich besorgt, daß die Pflichtenlehre des katholischen Glaubens sich
eines Tages außer Stande befinden könne, die Leidenschaft des katholischen
Volks zu bändigen? Ist es wohl ein Gegenstand, dieser Anspruch der rö¬
mischen Kirche, nur Gesetzen zu gehorchen, denen sie ihre Zustimmung nach
vorheriger Befragung feierlich ertheilt hat, der jemals die Volksleidenschaft
erregen wird, wenn dieselbe nicht angefacht ist durch Vorspiegelungen und un¬
geheuerlichen Betrug aller Art!

Die Sitzung vom 6. Februar mit allerlei unbedeutenden Erinnerungen
gegen den Staatshaushalt könnten wir übergehen, wenn nicht ein unerwar¬
teter Vorfall den Schluß der Staatshaushaltsberathung, der das Geschäft
der Sitzung war, in unwillkommener Weise ausgezeichnet hätte. Es handelte
sich um den letzen Theil der dritten Berathung, einer Berathung, bei der es
nicht Sitte ist, neue Fragen aufzuwerfen, bei der nur der Zweck verfolgt
wird , zweifelhafte oder widersprechende Beschlüsse zu bestätigen oder zu recti-
ficiren. Da bringt Herr Eugen Richter bei leerem Hause den Antrag ein,
Li,000 Thlr. abzusetzen, die zur Verleihung von Prämien bei Pferderennen


ganzen jetzigen Conflikt des deutschen Reichs und des preußischen Staates mit
der römischen Kirche zur Sprache bringen würde. Zum Wortführer war dies¬
mal wiederum Herr Peter Reichensperger ausersehen. Wir haben an dieser
Stelle stets mit hoher Achtung von den ausgezeichneten Eigenschaften dieses
Parteiführers gesprochen. Wir möchten einmal fragen, was dieser ehrliebende
und unterrichtete Mann, der, um ein gewöhnlicher Fanatiker zu sein, zu
viel Bildung des objectiven Denkens besitzt, und um ein kunstreicher Sophist
zu sein, zu viel Lauterkeit des Charakters — wir möchten wohl wissen, was
er antworten würde auf die ruhige Frage eines achtungswerthen Mannes:
ist es Ihre volle Ueberzeugung, und wie vermögen Sie dieselbe zu begründen,
daß die katholische Kirche, wenn sie sich zur pünktlichen Befolgung der Mai¬
gesetze entschlösse, auch nur den geringsten Schaden leiden würde? In einer
der folgenden Sitzungen vernahmen wir aus dem Munde des Herrn v.
Mallinckrodt, des plumpen Fanatikers, wie er im Buche steht, daß ähnliche
und viel weitergehende Anforderungen wie die der preußischen Maigesetze in
vielen Ländern durch die katholische Kirche ohne Widerspruch und ohne Scha¬
den erfüllt werden. Herr v. Mallinckrodt interpretirt, wie übrigens auch
durch die preußischen Bischöfe längst geschehen, den Widerstand der
römischen Kirche gegen die preußische Gesetzgebung dahin, daß er lediglich der
Form gelte. Die römische Kirche erklärt, daß sie solchen Gesetzen sich wohl
unterwerfen könne, aber unter der Bedingung, daß sie dabei als Gesetzgebe,
rin oder noch besser, als hoher vertragschließender Theil, als internationale
Macht in weltrechtlicher Selbständigkeit mitgewirkt habe. Und darum droht
hier Reichensperger mit dem <zuo<1 ksrrum non ssnat, iZnis sanne, darum
zeigt er sich besorgt, daß die Pflichtenlehre des katholischen Glaubens sich
eines Tages außer Stande befinden könne, die Leidenschaft des katholischen
Volks zu bändigen? Ist es wohl ein Gegenstand, dieser Anspruch der rö¬
mischen Kirche, nur Gesetzen zu gehorchen, denen sie ihre Zustimmung nach
vorheriger Befragung feierlich ertheilt hat, der jemals die Volksleidenschaft
erregen wird, wenn dieselbe nicht angefacht ist durch Vorspiegelungen und un¬
geheuerlichen Betrug aller Art!

Die Sitzung vom 6. Februar mit allerlei unbedeutenden Erinnerungen
gegen den Staatshaushalt könnten wir übergehen, wenn nicht ein unerwar¬
teter Vorfall den Schluß der Staatshaushaltsberathung, der das Geschäft
der Sitzung war, in unwillkommener Weise ausgezeichnet hätte. Es handelte
sich um den letzen Theil der dritten Berathung, einer Berathung, bei der es
nicht Sitte ist, neue Fragen aufzuwerfen, bei der nur der Zweck verfolgt
wird , zweifelhafte oder widersprechende Beschlüsse zu bestätigen oder zu recti-
ficiren. Da bringt Herr Eugen Richter bei leerem Hause den Antrag ein,
Li,000 Thlr. abzusetzen, die zur Verleihung von Prämien bei Pferderennen


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[0277] ganzen jetzigen Conflikt des deutschen Reichs und des preußischen Staates mit der römischen Kirche zur Sprache bringen würde. Zum Wortführer war dies¬ mal wiederum Herr Peter Reichensperger ausersehen. Wir haben an dieser Stelle stets mit hoher Achtung von den ausgezeichneten Eigenschaften dieses Parteiführers gesprochen. Wir möchten einmal fragen, was dieser ehrliebende und unterrichtete Mann, der, um ein gewöhnlicher Fanatiker zu sein, zu viel Bildung des objectiven Denkens besitzt, und um ein kunstreicher Sophist zu sein, zu viel Lauterkeit des Charakters — wir möchten wohl wissen, was er antworten würde auf die ruhige Frage eines achtungswerthen Mannes: ist es Ihre volle Ueberzeugung, und wie vermögen Sie dieselbe zu begründen, daß die katholische Kirche, wenn sie sich zur pünktlichen Befolgung der Mai¬ gesetze entschlösse, auch nur den geringsten Schaden leiden würde? In einer der folgenden Sitzungen vernahmen wir aus dem Munde des Herrn v. Mallinckrodt, des plumpen Fanatikers, wie er im Buche steht, daß ähnliche und viel weitergehende Anforderungen wie die der preußischen Maigesetze in vielen Ländern durch die katholische Kirche ohne Widerspruch und ohne Scha¬ den erfüllt werden. Herr v. Mallinckrodt interpretirt, wie übrigens auch durch die preußischen Bischöfe längst geschehen, den Widerstand der römischen Kirche gegen die preußische Gesetzgebung dahin, daß er lediglich der Form gelte. Die römische Kirche erklärt, daß sie solchen Gesetzen sich wohl unterwerfen könne, aber unter der Bedingung, daß sie dabei als Gesetzgebe, rin oder noch besser, als hoher vertragschließender Theil, als internationale Macht in weltrechtlicher Selbständigkeit mitgewirkt habe. Und darum droht hier Reichensperger mit dem <zuo<1 ksrrum non ssnat, iZnis sanne, darum zeigt er sich besorgt, daß die Pflichtenlehre des katholischen Glaubens sich eines Tages außer Stande befinden könne, die Leidenschaft des katholischen Volks zu bändigen? Ist es wohl ein Gegenstand, dieser Anspruch der rö¬ mischen Kirche, nur Gesetzen zu gehorchen, denen sie ihre Zustimmung nach vorheriger Befragung feierlich ertheilt hat, der jemals die Volksleidenschaft erregen wird, wenn dieselbe nicht angefacht ist durch Vorspiegelungen und un¬ geheuerlichen Betrug aller Art! Die Sitzung vom 6. Februar mit allerlei unbedeutenden Erinnerungen gegen den Staatshaushalt könnten wir übergehen, wenn nicht ein unerwar¬ teter Vorfall den Schluß der Staatshaushaltsberathung, der das Geschäft der Sitzung war, in unwillkommener Weise ausgezeichnet hätte. Es handelte sich um den letzen Theil der dritten Berathung, einer Berathung, bei der es nicht Sitte ist, neue Fragen aufzuwerfen, bei der nur der Zweck verfolgt wird , zweifelhafte oder widersprechende Beschlüsse zu bestätigen oder zu recti- ficiren. Da bringt Herr Eugen Richter bei leerem Hause den Antrag ein, Li,000 Thlr. abzusetzen, die zur Verleihung von Prämien bei Pferderennen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/277>, abgerufen am 25.12.2024.