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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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die Glückseligkeit des Familienlebens. Mit der ganzen Würde der Hausfrau
und zugleich mit der ganzen Innigkeit der liebenden Mutter sitzt die Frau
da, auf dem Schooße das jüngste Kind, dem die ältere Schwester das Spiel¬
zeug hinhält, während der Vater, ein Baumeister, überglücklich mit ihm tän¬
delt. Zur Seite am Boden sitzt ein lebensfrischer herziger Junge von 3
Jahren, tiefernst in des Vaters Skizzenbuch studirend. Im Hintergrunde
aber, über einen Bauplan gebeugt, schielt ein Klosterbruder halb staunend,
halb wehmüthig hinüber nach der glücklichen Gruppe. Und das sechste Bild
zeigt uns den Tod. Eben schließen sich dem Sterbenden die Augen; die
Feder, die er bis zum letzten Augenblick geführt, entsinkt seiner Hand und eine
allegorische Figur, die Geschichte darstellend, legt ihm den Lorbeerkranz aufs
Haupt.'

Was der genialen Conception, die sich keinem der Wernerschen Bilder
absprechen läßt, noch einen besonderen Reiz verleiht, ist der eigenthümlich
humoristisch-satirische, zuweilen sogar diabolische Zug, der durch die Schö¬
pfungen dieses Künstlers geht. So, wenn bei jener Liebesscene im Walde
Schalk Amor gemüthlich auf einer Hirschkuh reitend dem kosenden Pärchen
zuschaut. Natürlich, so lange Amor sie beschützt, mag die Hindin mit Seelen¬
ruhe das Mordgewehr zu ihren Füßen betrachten. Derselbe Zug tritt in
einigen anderen, zur Zeit auch in der Ausstellung enthaltenen Werken v.
Werner's, in den höchst genial ausgeführten Farbenskizzen zu zwei Decken¬
bildern und fünf Piiasterfiguren hervor. Zu einer ferneren Bewunderung
seiner reichen Kraft in der Wiedergabe charakteristischer Typen des realen
Lebens giebt sein großes Gemälde "Moltke vor Paris" Gelegenheit. Freilich
macht es grade dieses Bild mehr als alle anderen wahrscheinlich, daß das
Genrehafte stets das bedeutendste Element der Werner'schen Schöpfungen sein
wird. Nun, wenn es dem noch jungen Künstler nicht gelingen sollte, die
bisherigen Grenzen seines Schaffens zu überschreiten, wir dürfen dennoch stolz
sein, ihn zu haben; denn innerhalb dieser Grenzen ist er Meister von sel¬
tener Genialität.

Leider läßt sich nicht behaupten, daß diese Eigenschaft auch den sonstigen
gegenwärtig in der Ausstellung befindlichen Genrebildern anhafte. Noch mehr
aber, als Genialität, mangelt ihnen vielfach die Schönheit. Da sehen wir
ein Bild von Duyffcke "Heitere Unterhaltung". Drei Weiber sitzen und lesen
Gemüse aus, Figuren von unbestreitbarer Lebenswahrheit, und in dieser
Lebenswahrheit vortrefflich ausgeführt. Aber wenn man diese in grader Linie
nebeneinander postirten Gestalten, das schmutzige Rothgelb ihrer häßlichen
Gesichter, das schmutzige Weiß ihrer Hauben, das schmutzige Grün ihres Ge¬
müses und das schmutzige Grau der ihnen als Hintergrund dienenden kahlen
Wand betrachtet, wo bleibt da die Befriedigung auch nur der einfachsten An¬
forderungen der Aesthetik? Das Gemeine als Gemeines darzustellen ist doch
gewiß nicht Aufgabe der Kunst. Leidlicher ist Zimmer's "Bretzeljunge"; recht
niedlich ferner "der Spiegel" von Schauß, wo eine frischwangige, junge
Bäuerin ihr Kind in den Spiegel blicken läßt, und eine Waldscene von
Hasemann, wo eine dito Bäuerin ihrem Kleinen eine Beere in den Mund
steckt. Die besten Leistungen in dieser Richtung bieten H. Eichler und Minna
Heeren. Jener läßt in einer Oelskizze eine Schaar lustig-derber Landsknechte
in einem Keller ein Weinfaß finden; diese liefert uns ein allerliebstes Familien¬
bild "Großmutters Geburtstag": die Alte ist am Spinnrad eingeschlafen,
unterdeß kommen die beiden Enkelinnen. Mit schelmisch-ängstlicher Miene
windet die ältere den frischen Kranz um den Rocken und die jüngere schaut


die Glückseligkeit des Familienlebens. Mit der ganzen Würde der Hausfrau
und zugleich mit der ganzen Innigkeit der liebenden Mutter sitzt die Frau
da, auf dem Schooße das jüngste Kind, dem die ältere Schwester das Spiel¬
zeug hinhält, während der Vater, ein Baumeister, überglücklich mit ihm tän¬
delt. Zur Seite am Boden sitzt ein lebensfrischer herziger Junge von 3
Jahren, tiefernst in des Vaters Skizzenbuch studirend. Im Hintergrunde
aber, über einen Bauplan gebeugt, schielt ein Klosterbruder halb staunend,
halb wehmüthig hinüber nach der glücklichen Gruppe. Und das sechste Bild
zeigt uns den Tod. Eben schließen sich dem Sterbenden die Augen; die
Feder, die er bis zum letzten Augenblick geführt, entsinkt seiner Hand und eine
allegorische Figur, die Geschichte darstellend, legt ihm den Lorbeerkranz aufs
Haupt.'

Was der genialen Conception, die sich keinem der Wernerschen Bilder
absprechen läßt, noch einen besonderen Reiz verleiht, ist der eigenthümlich
humoristisch-satirische, zuweilen sogar diabolische Zug, der durch die Schö¬
pfungen dieses Künstlers geht. So, wenn bei jener Liebesscene im Walde
Schalk Amor gemüthlich auf einer Hirschkuh reitend dem kosenden Pärchen
zuschaut. Natürlich, so lange Amor sie beschützt, mag die Hindin mit Seelen¬
ruhe das Mordgewehr zu ihren Füßen betrachten. Derselbe Zug tritt in
einigen anderen, zur Zeit auch in der Ausstellung enthaltenen Werken v.
Werner's, in den höchst genial ausgeführten Farbenskizzen zu zwei Decken¬
bildern und fünf Piiasterfiguren hervor. Zu einer ferneren Bewunderung
seiner reichen Kraft in der Wiedergabe charakteristischer Typen des realen
Lebens giebt sein großes Gemälde „Moltke vor Paris" Gelegenheit. Freilich
macht es grade dieses Bild mehr als alle anderen wahrscheinlich, daß das
Genrehafte stets das bedeutendste Element der Werner'schen Schöpfungen sein
wird. Nun, wenn es dem noch jungen Künstler nicht gelingen sollte, die
bisherigen Grenzen seines Schaffens zu überschreiten, wir dürfen dennoch stolz
sein, ihn zu haben; denn innerhalb dieser Grenzen ist er Meister von sel¬
tener Genialität.

Leider läßt sich nicht behaupten, daß diese Eigenschaft auch den sonstigen
gegenwärtig in der Ausstellung befindlichen Genrebildern anhafte. Noch mehr
aber, als Genialität, mangelt ihnen vielfach die Schönheit. Da sehen wir
ein Bild von Duyffcke „Heitere Unterhaltung". Drei Weiber sitzen und lesen
Gemüse aus, Figuren von unbestreitbarer Lebenswahrheit, und in dieser
Lebenswahrheit vortrefflich ausgeführt. Aber wenn man diese in grader Linie
nebeneinander postirten Gestalten, das schmutzige Rothgelb ihrer häßlichen
Gesichter, das schmutzige Weiß ihrer Hauben, das schmutzige Grün ihres Ge¬
müses und das schmutzige Grau der ihnen als Hintergrund dienenden kahlen
Wand betrachtet, wo bleibt da die Befriedigung auch nur der einfachsten An¬
forderungen der Aesthetik? Das Gemeine als Gemeines darzustellen ist doch
gewiß nicht Aufgabe der Kunst. Leidlicher ist Zimmer's „Bretzeljunge"; recht
niedlich ferner „der Spiegel" von Schauß, wo eine frischwangige, junge
Bäuerin ihr Kind in den Spiegel blicken läßt, und eine Waldscene von
Hasemann, wo eine dito Bäuerin ihrem Kleinen eine Beere in den Mund
steckt. Die besten Leistungen in dieser Richtung bieten H. Eichler und Minna
Heeren. Jener läßt in einer Oelskizze eine Schaar lustig-derber Landsknechte
in einem Keller ein Weinfaß finden; diese liefert uns ein allerliebstes Familien¬
bild „Großmutters Geburtstag": die Alte ist am Spinnrad eingeschlafen,
unterdeß kommen die beiden Enkelinnen. Mit schelmisch-ängstlicher Miene
windet die ältere den frischen Kranz um den Rocken und die jüngere schaut


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[0245] die Glückseligkeit des Familienlebens. Mit der ganzen Würde der Hausfrau und zugleich mit der ganzen Innigkeit der liebenden Mutter sitzt die Frau da, auf dem Schooße das jüngste Kind, dem die ältere Schwester das Spiel¬ zeug hinhält, während der Vater, ein Baumeister, überglücklich mit ihm tän¬ delt. Zur Seite am Boden sitzt ein lebensfrischer herziger Junge von 3 Jahren, tiefernst in des Vaters Skizzenbuch studirend. Im Hintergrunde aber, über einen Bauplan gebeugt, schielt ein Klosterbruder halb staunend, halb wehmüthig hinüber nach der glücklichen Gruppe. Und das sechste Bild zeigt uns den Tod. Eben schließen sich dem Sterbenden die Augen; die Feder, die er bis zum letzten Augenblick geführt, entsinkt seiner Hand und eine allegorische Figur, die Geschichte darstellend, legt ihm den Lorbeerkranz aufs Haupt.' Was der genialen Conception, die sich keinem der Wernerschen Bilder absprechen läßt, noch einen besonderen Reiz verleiht, ist der eigenthümlich humoristisch-satirische, zuweilen sogar diabolische Zug, der durch die Schö¬ pfungen dieses Künstlers geht. So, wenn bei jener Liebesscene im Walde Schalk Amor gemüthlich auf einer Hirschkuh reitend dem kosenden Pärchen zuschaut. Natürlich, so lange Amor sie beschützt, mag die Hindin mit Seelen¬ ruhe das Mordgewehr zu ihren Füßen betrachten. Derselbe Zug tritt in einigen anderen, zur Zeit auch in der Ausstellung enthaltenen Werken v. Werner's, in den höchst genial ausgeführten Farbenskizzen zu zwei Decken¬ bildern und fünf Piiasterfiguren hervor. Zu einer ferneren Bewunderung seiner reichen Kraft in der Wiedergabe charakteristischer Typen des realen Lebens giebt sein großes Gemälde „Moltke vor Paris" Gelegenheit. Freilich macht es grade dieses Bild mehr als alle anderen wahrscheinlich, daß das Genrehafte stets das bedeutendste Element der Werner'schen Schöpfungen sein wird. Nun, wenn es dem noch jungen Künstler nicht gelingen sollte, die bisherigen Grenzen seines Schaffens zu überschreiten, wir dürfen dennoch stolz sein, ihn zu haben; denn innerhalb dieser Grenzen ist er Meister von sel¬ tener Genialität. Leider läßt sich nicht behaupten, daß diese Eigenschaft auch den sonstigen gegenwärtig in der Ausstellung befindlichen Genrebildern anhafte. Noch mehr aber, als Genialität, mangelt ihnen vielfach die Schönheit. Da sehen wir ein Bild von Duyffcke „Heitere Unterhaltung". Drei Weiber sitzen und lesen Gemüse aus, Figuren von unbestreitbarer Lebenswahrheit, und in dieser Lebenswahrheit vortrefflich ausgeführt. Aber wenn man diese in grader Linie nebeneinander postirten Gestalten, das schmutzige Rothgelb ihrer häßlichen Gesichter, das schmutzige Weiß ihrer Hauben, das schmutzige Grün ihres Ge¬ müses und das schmutzige Grau der ihnen als Hintergrund dienenden kahlen Wand betrachtet, wo bleibt da die Befriedigung auch nur der einfachsten An¬ forderungen der Aesthetik? Das Gemeine als Gemeines darzustellen ist doch gewiß nicht Aufgabe der Kunst. Leidlicher ist Zimmer's „Bretzeljunge"; recht niedlich ferner „der Spiegel" von Schauß, wo eine frischwangige, junge Bäuerin ihr Kind in den Spiegel blicken läßt, und eine Waldscene von Hasemann, wo eine dito Bäuerin ihrem Kleinen eine Beere in den Mund steckt. Die besten Leistungen in dieser Richtung bieten H. Eichler und Minna Heeren. Jener läßt in einer Oelskizze eine Schaar lustig-derber Landsknechte in einem Keller ein Weinfaß finden; diese liefert uns ein allerliebstes Familien¬ bild „Großmutters Geburtstag": die Alte ist am Spinnrad eingeschlafen, unterdeß kommen die beiden Enkelinnen. Mit schelmisch-ängstlicher Miene windet die ältere den frischen Kranz um den Rocken und die jüngere schaut

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/245>, abgerufen am 25.12.2024.