Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

der vor tausend Jahren Sitte gewesen, zurückgreifen könne. Indeß, was ist
mit "Ueben bewiesen? Wenn von zwei vertragschließenden Theilen der eine
Theil in zwei Theile zerfällt, so kann der ursprüngliche zweite Contrahent
die ihm nunmehr gegenüberstehenden Parteien nicht nach den bisherigen Re¬
geln beurtheilen. Er kann nicht einer Partei etwa glauben, daß bei der
anderen nur Abfall und Rebellion sei, denn das sagt jede. Das Kennzeichen
wirklicher Rebellion ist, wenn die Neuerung sich nur auf der abfallenden Seite
befindet. Wenn aber beide Theile Neuerer sind, der eine durch eine neue
Constitution, der andere durch den Rücktritt von bisher anerkannten Regeln
der Gemeinschaft, so bleibt dem dritten Contrahenten nur die Neutralität
übrig. Es handelt sich, was auch die Römisch-Katholischen sagen mögen,
um ein Schisma, nicht um einen Abfall. Wenn der Staat nicht unternehmen
will, zu entscheiden, wem die Schuld des Schisma beizumessen, so bleibt ihm
nichts übrig, als die alten Privilegien beiden Theilen, vor der Hand wenig¬
stens, zu Theil werden zu lassen.

Am 30. Januar kamen allerlei Wünsche für die Universitäten zur Sprache,
indeß nur Einzelheiten, keine grundsätzliche Frage. Wir unterlassen deshalb
die nähere Erwähnung. Der Finanzminister zeigte sich sehr empfindlich, daß
ihm Herr Virchow Kärglichkeit gegen die Universttätsbeamten vorgeworfen,
wodurch der letztere Gelegenheit erhielt, den gemüthlich unbefangenen Mann
zu spielen. Wir vermögen nicht zu beurtheilen, ob der vom Finanzminister
so übel vermerkte Ausdruck die Absicht persönlichen Aergernisses hatte. Denn
der Schluß des Herrn Virchow, daß er in diesem Fall eine Ungeschicklichkeit
gezeigt haben würde, was ihm doch nicht Passiren könne, ist nicht concludent.
Jedenfalls ist es eine seltsame Sprechweise, für die mangelhafte Versorgung
einzelner Staatsbedürfnisse die Kärglichkeit des Finanzministers in Anspruch
zu nehmen, als ob dieser die Fee des Märchens wäre, die Gold streuen kann,
wenn sie nur will.

Am 31. Januar wurde die Berathung der Unterrichtsaufgaben fortge¬
setzt, wobei hinsichtlich der Schullehrerseminare über Internate und Externate
ziemlich zwecklos geredet wurde. Ein Abgeordneter meinte, wenn die Regierung
für die Verlegung der Seminarien in größere Städte sorge, so würden alle
Bedenken gegen die Externate schwinden. Das ist eine Belehrung, die Man¬
chem neu sein wird, daß die künftigen Lehrer, als Semtnarschüler in größeren
Städten zerstreut zur Miethe wohnend, die beste Vorbereitung für ihren Beruf
erlangen. Das ist doch eine Bestätigung des alten Wortes, daß jede Ansicht,
noch so närrisch, irgend einen gläubigen Kopf zur Herberge findet. Internate
können freilich auch Uebelstände haben. Nun. so muß man sie zweckmäßig
einrichten. -- Wir vermögen aus allen diesen Vorkommnissen der Budgetbe¬
rathung, wo alle möglichen Fragen der Organisation gestreift, aber keine


Grmzlwten I. 1L74. 30

der vor tausend Jahren Sitte gewesen, zurückgreifen könne. Indeß, was ist
mit «Ueben bewiesen? Wenn von zwei vertragschließenden Theilen der eine
Theil in zwei Theile zerfällt, so kann der ursprüngliche zweite Contrahent
die ihm nunmehr gegenüberstehenden Parteien nicht nach den bisherigen Re¬
geln beurtheilen. Er kann nicht einer Partei etwa glauben, daß bei der
anderen nur Abfall und Rebellion sei, denn das sagt jede. Das Kennzeichen
wirklicher Rebellion ist, wenn die Neuerung sich nur auf der abfallenden Seite
befindet. Wenn aber beide Theile Neuerer sind, der eine durch eine neue
Constitution, der andere durch den Rücktritt von bisher anerkannten Regeln
der Gemeinschaft, so bleibt dem dritten Contrahenten nur die Neutralität
übrig. Es handelt sich, was auch die Römisch-Katholischen sagen mögen,
um ein Schisma, nicht um einen Abfall. Wenn der Staat nicht unternehmen
will, zu entscheiden, wem die Schuld des Schisma beizumessen, so bleibt ihm
nichts übrig, als die alten Privilegien beiden Theilen, vor der Hand wenig¬
stens, zu Theil werden zu lassen.

Am 30. Januar kamen allerlei Wünsche für die Universitäten zur Sprache,
indeß nur Einzelheiten, keine grundsätzliche Frage. Wir unterlassen deshalb
die nähere Erwähnung. Der Finanzminister zeigte sich sehr empfindlich, daß
ihm Herr Virchow Kärglichkeit gegen die Universttätsbeamten vorgeworfen,
wodurch der letztere Gelegenheit erhielt, den gemüthlich unbefangenen Mann
zu spielen. Wir vermögen nicht zu beurtheilen, ob der vom Finanzminister
so übel vermerkte Ausdruck die Absicht persönlichen Aergernisses hatte. Denn
der Schluß des Herrn Virchow, daß er in diesem Fall eine Ungeschicklichkeit
gezeigt haben würde, was ihm doch nicht Passiren könne, ist nicht concludent.
Jedenfalls ist es eine seltsame Sprechweise, für die mangelhafte Versorgung
einzelner Staatsbedürfnisse die Kärglichkeit des Finanzministers in Anspruch
zu nehmen, als ob dieser die Fee des Märchens wäre, die Gold streuen kann,
wenn sie nur will.

Am 31. Januar wurde die Berathung der Unterrichtsaufgaben fortge¬
setzt, wobei hinsichtlich der Schullehrerseminare über Internate und Externate
ziemlich zwecklos geredet wurde. Ein Abgeordneter meinte, wenn die Regierung
für die Verlegung der Seminarien in größere Städte sorge, so würden alle
Bedenken gegen die Externate schwinden. Das ist eine Belehrung, die Man¬
chem neu sein wird, daß die künftigen Lehrer, als Semtnarschüler in größeren
Städten zerstreut zur Miethe wohnend, die beste Vorbereitung für ihren Beruf
erlangen. Das ist doch eine Bestätigung des alten Wortes, daß jede Ansicht,
noch so närrisch, irgend einen gläubigen Kopf zur Herberge findet. Internate
können freilich auch Uebelstände haben. Nun. so muß man sie zweckmäßig
einrichten. — Wir vermögen aus allen diesen Vorkommnissen der Budgetbe¬
rathung, wo alle möglichen Fragen der Organisation gestreift, aber keine


Grmzlwten I. 1L74. 30
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0239" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/130883"/>
          <p xml:id="ID_758" prev="#ID_757"> der vor tausend Jahren Sitte gewesen, zurückgreifen könne. Indeß, was ist<lb/>
mit «Ueben bewiesen? Wenn von zwei vertragschließenden Theilen der eine<lb/>
Theil in zwei Theile zerfällt, so kann der ursprüngliche zweite Contrahent<lb/>
die ihm nunmehr gegenüberstehenden Parteien nicht nach den bisherigen Re¬<lb/>
geln beurtheilen. Er kann nicht einer Partei etwa glauben, daß bei der<lb/>
anderen nur Abfall und Rebellion sei, denn das sagt jede. Das Kennzeichen<lb/>
wirklicher Rebellion ist, wenn die Neuerung sich nur auf der abfallenden Seite<lb/>
befindet. Wenn aber beide Theile Neuerer sind, der eine durch eine neue<lb/>
Constitution, der andere durch den Rücktritt von bisher anerkannten Regeln<lb/>
der Gemeinschaft, so bleibt dem dritten Contrahenten nur die Neutralität<lb/>
übrig. Es handelt sich, was auch die Römisch-Katholischen sagen mögen,<lb/>
um ein Schisma, nicht um einen Abfall. Wenn der Staat nicht unternehmen<lb/>
will, zu entscheiden, wem die Schuld des Schisma beizumessen, so bleibt ihm<lb/>
nichts übrig, als die alten Privilegien beiden Theilen, vor der Hand wenig¬<lb/>
stens, zu Theil werden zu lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_759"> Am 30. Januar kamen allerlei Wünsche für die Universitäten zur Sprache,<lb/>
indeß nur Einzelheiten, keine grundsätzliche Frage. Wir unterlassen deshalb<lb/>
die nähere Erwähnung. Der Finanzminister zeigte sich sehr empfindlich, daß<lb/>
ihm Herr Virchow Kärglichkeit gegen die Universttätsbeamten vorgeworfen,<lb/>
wodurch der letztere Gelegenheit erhielt, den gemüthlich unbefangenen Mann<lb/>
zu spielen. Wir vermögen nicht zu beurtheilen, ob der vom Finanzminister<lb/>
so übel vermerkte Ausdruck die Absicht persönlichen Aergernisses hatte. Denn<lb/>
der Schluß des Herrn Virchow, daß er in diesem Fall eine Ungeschicklichkeit<lb/>
gezeigt haben würde, was ihm doch nicht Passiren könne, ist nicht concludent.<lb/>
Jedenfalls ist es eine seltsame Sprechweise, für die mangelhafte Versorgung<lb/>
einzelner Staatsbedürfnisse die Kärglichkeit des Finanzministers in Anspruch<lb/>
zu nehmen, als ob dieser die Fee des Märchens wäre, die Gold streuen kann,<lb/>
wenn sie nur will.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_760" next="#ID_761"> Am 31. Januar wurde die Berathung der Unterrichtsaufgaben fortge¬<lb/>
setzt, wobei hinsichtlich der Schullehrerseminare über Internate und Externate<lb/>
ziemlich zwecklos geredet wurde. Ein Abgeordneter meinte, wenn die Regierung<lb/>
für die Verlegung der Seminarien in größere Städte sorge, so würden alle<lb/>
Bedenken gegen die Externate schwinden. Das ist eine Belehrung, die Man¬<lb/>
chem neu sein wird, daß die künftigen Lehrer, als Semtnarschüler in größeren<lb/>
Städten zerstreut zur Miethe wohnend, die beste Vorbereitung für ihren Beruf<lb/>
erlangen. Das ist doch eine Bestätigung des alten Wortes, daß jede Ansicht,<lb/>
noch so närrisch, irgend einen gläubigen Kopf zur Herberge findet. Internate<lb/>
können freilich auch Uebelstände haben. Nun. so muß man sie zweckmäßig<lb/>
einrichten. &#x2014; Wir vermögen aus allen diesen Vorkommnissen der Budgetbe¬<lb/>
rathung, wo alle möglichen Fragen der Organisation gestreift, aber keine</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grmzlwten I. 1L74. 30</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0239] der vor tausend Jahren Sitte gewesen, zurückgreifen könne. Indeß, was ist mit «Ueben bewiesen? Wenn von zwei vertragschließenden Theilen der eine Theil in zwei Theile zerfällt, so kann der ursprüngliche zweite Contrahent die ihm nunmehr gegenüberstehenden Parteien nicht nach den bisherigen Re¬ geln beurtheilen. Er kann nicht einer Partei etwa glauben, daß bei der anderen nur Abfall und Rebellion sei, denn das sagt jede. Das Kennzeichen wirklicher Rebellion ist, wenn die Neuerung sich nur auf der abfallenden Seite befindet. Wenn aber beide Theile Neuerer sind, der eine durch eine neue Constitution, der andere durch den Rücktritt von bisher anerkannten Regeln der Gemeinschaft, so bleibt dem dritten Contrahenten nur die Neutralität übrig. Es handelt sich, was auch die Römisch-Katholischen sagen mögen, um ein Schisma, nicht um einen Abfall. Wenn der Staat nicht unternehmen will, zu entscheiden, wem die Schuld des Schisma beizumessen, so bleibt ihm nichts übrig, als die alten Privilegien beiden Theilen, vor der Hand wenig¬ stens, zu Theil werden zu lassen. Am 30. Januar kamen allerlei Wünsche für die Universitäten zur Sprache, indeß nur Einzelheiten, keine grundsätzliche Frage. Wir unterlassen deshalb die nähere Erwähnung. Der Finanzminister zeigte sich sehr empfindlich, daß ihm Herr Virchow Kärglichkeit gegen die Universttätsbeamten vorgeworfen, wodurch der letztere Gelegenheit erhielt, den gemüthlich unbefangenen Mann zu spielen. Wir vermögen nicht zu beurtheilen, ob der vom Finanzminister so übel vermerkte Ausdruck die Absicht persönlichen Aergernisses hatte. Denn der Schluß des Herrn Virchow, daß er in diesem Fall eine Ungeschicklichkeit gezeigt haben würde, was ihm doch nicht Passiren könne, ist nicht concludent. Jedenfalls ist es eine seltsame Sprechweise, für die mangelhafte Versorgung einzelner Staatsbedürfnisse die Kärglichkeit des Finanzministers in Anspruch zu nehmen, als ob dieser die Fee des Märchens wäre, die Gold streuen kann, wenn sie nur will. Am 31. Januar wurde die Berathung der Unterrichtsaufgaben fortge¬ setzt, wobei hinsichtlich der Schullehrerseminare über Internate und Externate ziemlich zwecklos geredet wurde. Ein Abgeordneter meinte, wenn die Regierung für die Verlegung der Seminarien in größere Städte sorge, so würden alle Bedenken gegen die Externate schwinden. Das ist eine Belehrung, die Man¬ chem neu sein wird, daß die künftigen Lehrer, als Semtnarschüler in größeren Städten zerstreut zur Miethe wohnend, die beste Vorbereitung für ihren Beruf erlangen. Das ist doch eine Bestätigung des alten Wortes, daß jede Ansicht, noch so närrisch, irgend einen gläubigen Kopf zur Herberge findet. Internate können freilich auch Uebelstände haben. Nun. so muß man sie zweckmäßig einrichten. — Wir vermögen aus allen diesen Vorkommnissen der Budgetbe¬ rathung, wo alle möglichen Fragen der Organisation gestreift, aber keine Grmzlwten I. 1L74. 30

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/239
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/239>, abgerufen am 02.10.2024.