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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Im Rienzi, der allerdings Wagner's unfertiger Zeit angehört, ist die
Absicht sehr deutlich. Die Dichtung ist ein Ausfluß erbitterter politischer
Stimmung. Sie beginnt mit einer Schilderung des trostlosen Zustandes in
Rom: der Adel knechtet die Bürger, raubt die Mädchen, tödtet die Knaben;
unter sich ist er uneins und erfüllt die Stadt mit dem Lärme feindlicher
Waffen. Ein Volksheld verjagt diese nichtswürdigen Elemente aus den
Mauern Roms, regiert weise und friedlich, u. s. f. Aber verschiedene Cabalen
spinnen sich gegen ihn an; umsonst siegt er einige Male, seine Anhänger ver¬
lassen ihn und geben ihn der Wuth des fanatistrten Pöbels Preis. Die
Roheit kehren wieder zurück und "hauen auf das Volk ein". Schluß! Und
somit wären wir am Ende genau wieder da. w.o wir am Anfange standen.
Was sollen also diese fünf Acte bedeuten? Welchen Gedanken sollen wir
daraus gewinnen? welches Gefühl? Nichts nehmen wir mit, als ein allge¬
meines Mißvergnügen, das so gehaltlos und unklar wie möglich ist. Dies
über die Haupthandlung. Daneben läuft aber eine andere, aus der sich aller¬
dings ein tragischer Gedanke entnehmen läßt. Man betrachte die Person des
Adriano. Nach Wagner's Erfindung gab dieser junge Patrizier den Anstoß
zu Rienzi's Fall. Er liebt Rienzi's Schwester, er bewundert den Tribunen,
aber er haßt ihn und hat ihm Rache geschworen als dem Mörder seines
Vaters. Ein schweres Geschick, das auf ihm lastet! Doch dieser Conflict der
Gefühle ist möglich und wäre gar nicht zu tadeln, wenn Adriano nur ein
Mann wäre. Aber leider! unser Held singt Sopran. Und zwar soll dieser
Sopran hier nicht Tenor bedeuten, wie z. B. beim Jdamante, Sertus und
andern; sondern die übertriebene Verwendung der tiefen Brusttöne zeigt, daß
Wagner sich in der That einen Knaben in der Mutationsperiode vorgestellt
hat. Und wenn nun ein solcher Knabe im Conflict der Pflichten untergeht,
so kann man das nur mit zwei Ausdrücken bezeichnen, als schauderhaft oder
possenhaft. Das Letztere hat Wagner nicht gewollt. Was bleibt also?
Eine Schicksalstragödie im schlechtesten Sinne.

Der Tau Häuser, welcher der Zeit nach auf Rienzi folgt, ist in Be¬
ziehung auf seine eigentliche Tendenz räthselhafter, aber nicht lobenswerther.
Zwei Mächte streiten sich um den ritterlichen Sänger: die böse Lust (Venus)
und die reine Liebe (Elisabeth). Schließlich behält die letztgenannte den Sieg.
Gegen den Kampf und seine Entscheidung ist nun nichts zu sagen, aber
mancherlei gegen seinen Gegenstand. Die alte Sage vom Tanhäuser stammt
aus streng orthodoxer Zeit. Der sündige Ritter ist vom Papste verdammt,
freilich ungerechter Weise, aber gleichviel, er fährt zur Hölle. Einen direkten
Weg zur Südenvergebung, einen Zweifel an der Gewalt der Schlüssel kennt
die Sage noch nicht. Man höre nur folgende klägliche Strophe eines der
alten Volkslieder (Grässe, die Sage vom Ritter Tanhäuser, S. 66):


Im Rienzi, der allerdings Wagner's unfertiger Zeit angehört, ist die
Absicht sehr deutlich. Die Dichtung ist ein Ausfluß erbitterter politischer
Stimmung. Sie beginnt mit einer Schilderung des trostlosen Zustandes in
Rom: der Adel knechtet die Bürger, raubt die Mädchen, tödtet die Knaben;
unter sich ist er uneins und erfüllt die Stadt mit dem Lärme feindlicher
Waffen. Ein Volksheld verjagt diese nichtswürdigen Elemente aus den
Mauern Roms, regiert weise und friedlich, u. s. f. Aber verschiedene Cabalen
spinnen sich gegen ihn an; umsonst siegt er einige Male, seine Anhänger ver¬
lassen ihn und geben ihn der Wuth des fanatistrten Pöbels Preis. Die
Roheit kehren wieder zurück und „hauen auf das Volk ein". Schluß! Und
somit wären wir am Ende genau wieder da. w.o wir am Anfange standen.
Was sollen also diese fünf Acte bedeuten? Welchen Gedanken sollen wir
daraus gewinnen? welches Gefühl? Nichts nehmen wir mit, als ein allge¬
meines Mißvergnügen, das so gehaltlos und unklar wie möglich ist. Dies
über die Haupthandlung. Daneben läuft aber eine andere, aus der sich aller¬
dings ein tragischer Gedanke entnehmen läßt. Man betrachte die Person des
Adriano. Nach Wagner's Erfindung gab dieser junge Patrizier den Anstoß
zu Rienzi's Fall. Er liebt Rienzi's Schwester, er bewundert den Tribunen,
aber er haßt ihn und hat ihm Rache geschworen als dem Mörder seines
Vaters. Ein schweres Geschick, das auf ihm lastet! Doch dieser Conflict der
Gefühle ist möglich und wäre gar nicht zu tadeln, wenn Adriano nur ein
Mann wäre. Aber leider! unser Held singt Sopran. Und zwar soll dieser
Sopran hier nicht Tenor bedeuten, wie z. B. beim Jdamante, Sertus und
andern; sondern die übertriebene Verwendung der tiefen Brusttöne zeigt, daß
Wagner sich in der That einen Knaben in der Mutationsperiode vorgestellt
hat. Und wenn nun ein solcher Knabe im Conflict der Pflichten untergeht,
so kann man das nur mit zwei Ausdrücken bezeichnen, als schauderhaft oder
possenhaft. Das Letztere hat Wagner nicht gewollt. Was bleibt also?
Eine Schicksalstragödie im schlechtesten Sinne.

Der Tau Häuser, welcher der Zeit nach auf Rienzi folgt, ist in Be¬
ziehung auf seine eigentliche Tendenz räthselhafter, aber nicht lobenswerther.
Zwei Mächte streiten sich um den ritterlichen Sänger: die böse Lust (Venus)
und die reine Liebe (Elisabeth). Schließlich behält die letztgenannte den Sieg.
Gegen den Kampf und seine Entscheidung ist nun nichts zu sagen, aber
mancherlei gegen seinen Gegenstand. Die alte Sage vom Tanhäuser stammt
aus streng orthodoxer Zeit. Der sündige Ritter ist vom Papste verdammt,
freilich ungerechter Weise, aber gleichviel, er fährt zur Hölle. Einen direkten
Weg zur Südenvergebung, einen Zweifel an der Gewalt der Schlüssel kennt
die Sage noch nicht. Man höre nur folgende klägliche Strophe eines der
alten Volkslieder (Grässe, die Sage vom Ritter Tanhäuser, S. 66):


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[0233] Im Rienzi, der allerdings Wagner's unfertiger Zeit angehört, ist die Absicht sehr deutlich. Die Dichtung ist ein Ausfluß erbitterter politischer Stimmung. Sie beginnt mit einer Schilderung des trostlosen Zustandes in Rom: der Adel knechtet die Bürger, raubt die Mädchen, tödtet die Knaben; unter sich ist er uneins und erfüllt die Stadt mit dem Lärme feindlicher Waffen. Ein Volksheld verjagt diese nichtswürdigen Elemente aus den Mauern Roms, regiert weise und friedlich, u. s. f. Aber verschiedene Cabalen spinnen sich gegen ihn an; umsonst siegt er einige Male, seine Anhänger ver¬ lassen ihn und geben ihn der Wuth des fanatistrten Pöbels Preis. Die Roheit kehren wieder zurück und „hauen auf das Volk ein". Schluß! Und somit wären wir am Ende genau wieder da. w.o wir am Anfange standen. Was sollen also diese fünf Acte bedeuten? Welchen Gedanken sollen wir daraus gewinnen? welches Gefühl? Nichts nehmen wir mit, als ein allge¬ meines Mißvergnügen, das so gehaltlos und unklar wie möglich ist. Dies über die Haupthandlung. Daneben läuft aber eine andere, aus der sich aller¬ dings ein tragischer Gedanke entnehmen läßt. Man betrachte die Person des Adriano. Nach Wagner's Erfindung gab dieser junge Patrizier den Anstoß zu Rienzi's Fall. Er liebt Rienzi's Schwester, er bewundert den Tribunen, aber er haßt ihn und hat ihm Rache geschworen als dem Mörder seines Vaters. Ein schweres Geschick, das auf ihm lastet! Doch dieser Conflict der Gefühle ist möglich und wäre gar nicht zu tadeln, wenn Adriano nur ein Mann wäre. Aber leider! unser Held singt Sopran. Und zwar soll dieser Sopran hier nicht Tenor bedeuten, wie z. B. beim Jdamante, Sertus und andern; sondern die übertriebene Verwendung der tiefen Brusttöne zeigt, daß Wagner sich in der That einen Knaben in der Mutationsperiode vorgestellt hat. Und wenn nun ein solcher Knabe im Conflict der Pflichten untergeht, so kann man das nur mit zwei Ausdrücken bezeichnen, als schauderhaft oder possenhaft. Das Letztere hat Wagner nicht gewollt. Was bleibt also? Eine Schicksalstragödie im schlechtesten Sinne. Der Tau Häuser, welcher der Zeit nach auf Rienzi folgt, ist in Be¬ ziehung auf seine eigentliche Tendenz räthselhafter, aber nicht lobenswerther. Zwei Mächte streiten sich um den ritterlichen Sänger: die böse Lust (Venus) und die reine Liebe (Elisabeth). Schließlich behält die letztgenannte den Sieg. Gegen den Kampf und seine Entscheidung ist nun nichts zu sagen, aber mancherlei gegen seinen Gegenstand. Die alte Sage vom Tanhäuser stammt aus streng orthodoxer Zeit. Der sündige Ritter ist vom Papste verdammt, freilich ungerechter Weise, aber gleichviel, er fährt zur Hölle. Einen direkten Weg zur Südenvergebung, einen Zweifel an der Gewalt der Schlüssel kennt die Sage noch nicht. Man höre nur folgende klägliche Strophe eines der alten Volkslieder (Grässe, die Sage vom Ritter Tanhäuser, S. 66):

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/233>, abgerufen am 25.06.2024.