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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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die Macht der Verhältnisse und auf seine eigene Geschicklichkeit im Januar
1855 den Bundesvertrag mit England und Frankreich ab, durch welchen sich
Sardinien anheischig machte, 15000 Mann für den Krieg gegen Rußland zu
stellen; die ihm von England zur Besoldung derselben angebotenen Subsidien
wies er in der nackten Gestalt, in welcher sie ihm entgegengetragen wurden,
zurück, nahm sie jedoch unter dem Namen eines verzinslichen Darlehns an.
-- Der Minister des Auswärtigen, Dabormida, um keine Mitverantwortlich¬
keit für das zu unternehmende Wagstück auf sich zu laden, trat aus dem
Cabinete und Cavour nahm dessen Portefeuille zu den zwei oder drei anderen,
welche er bereits verwaltete, hinzu.

Jetzt handelte es sich darum, die vorbehaltene Zustimmung des Parla¬
ments zu dem Bündnisse zu erlangen. Ließ sich der gedankenlose große Haufen
durch das Gewicht des Namens Cavour's in ein kriegerisches Abenteuer im¬
merhin leicht fortreißen, so war es doch sehr zweifelhaft, ob die beiden Kam¬
mern, im Bewußtsein ihrer Pflichten gegen Staat und Volk, ihm in einen
Kampf folgen würden, in welchem, bei einem sehr großen Einsätze von Blut
und Geld, wenig oder gar kein unmittelbarer Gewinn in Aussicht stand.
Von der Rechten wie von der Linken tödtlichen Angriffen preisgegeben, übte
Cavour die Nothwehr der Verzweiflung mit guten und schlechten Waffen,
wider alle seine Gewohnheit sogar mit phrasenhafter Declamation. Die
Ueberlegenheit der Gründe war offenbar auf Seiten der Opposition und was
er derselben entgegenzusetzen hatte, borgte seine Kraft wesentlich der persön¬
lichen Autorität des Ministers, die indessen hinreichte, um ihm nach acht¬
tägigen parlamentarischem Kampfe eine Mehrheit von 95 gegen 64 Stimmen
für den Krieg mit Rußland zu geben, zu dessen Rechtfertigung man keinen
bessern Grund anzuführen wußte, als daß der Kaiser Nikolaus dem Könige
Karl Albert seit 1847 eine gewisse Kälte gezeigt und daß er die Meldung
der Thronbesteigung Victor Emanuel's vor sieben Jahren nicht angenom¬
men habe.
'

In der zweiten Hälfte des April schiffte sich das sardinische Hülfscorps,
17 bis 18000 Mann stark, auf englischen Fahrzeugen in Genua ein, und
nachdem es, fast noch im Hafen, durch Schiffsbrand bereits einen sehr empfind¬
lichen Verlust erlitten, landete es Anfangs Mai an der feindlichen Küste, wo
die Cholera und eben so aufreibende als ruhmlose Belagerungsarbeiten seiner
warteten. Drei Monate lang verzehrte sich Turin in Bangigkeit und Unmuth,
die sich auf das Haupt Cavour's entluden. Endlich, im August, auf die Nach-
richt, daß die sardinischen Truppen einen ehrenvollen Kampf an der Tschernaja
bestanden, konnte man ausathmen; die eben noch hart verurtheilte Thorheit
Cavour's verwandelte sich in einen gelungenen kühnen Griff und sein Name
klang Heller als je durch das Land.


die Macht der Verhältnisse und auf seine eigene Geschicklichkeit im Januar
1855 den Bundesvertrag mit England und Frankreich ab, durch welchen sich
Sardinien anheischig machte, 15000 Mann für den Krieg gegen Rußland zu
stellen; die ihm von England zur Besoldung derselben angebotenen Subsidien
wies er in der nackten Gestalt, in welcher sie ihm entgegengetragen wurden,
zurück, nahm sie jedoch unter dem Namen eines verzinslichen Darlehns an.
— Der Minister des Auswärtigen, Dabormida, um keine Mitverantwortlich¬
keit für das zu unternehmende Wagstück auf sich zu laden, trat aus dem
Cabinete und Cavour nahm dessen Portefeuille zu den zwei oder drei anderen,
welche er bereits verwaltete, hinzu.

Jetzt handelte es sich darum, die vorbehaltene Zustimmung des Parla¬
ments zu dem Bündnisse zu erlangen. Ließ sich der gedankenlose große Haufen
durch das Gewicht des Namens Cavour's in ein kriegerisches Abenteuer im¬
merhin leicht fortreißen, so war es doch sehr zweifelhaft, ob die beiden Kam¬
mern, im Bewußtsein ihrer Pflichten gegen Staat und Volk, ihm in einen
Kampf folgen würden, in welchem, bei einem sehr großen Einsätze von Blut
und Geld, wenig oder gar kein unmittelbarer Gewinn in Aussicht stand.
Von der Rechten wie von der Linken tödtlichen Angriffen preisgegeben, übte
Cavour die Nothwehr der Verzweiflung mit guten und schlechten Waffen,
wider alle seine Gewohnheit sogar mit phrasenhafter Declamation. Die
Ueberlegenheit der Gründe war offenbar auf Seiten der Opposition und was
er derselben entgegenzusetzen hatte, borgte seine Kraft wesentlich der persön¬
lichen Autorität des Ministers, die indessen hinreichte, um ihm nach acht¬
tägigen parlamentarischem Kampfe eine Mehrheit von 95 gegen 64 Stimmen
für den Krieg mit Rußland zu geben, zu dessen Rechtfertigung man keinen
bessern Grund anzuführen wußte, als daß der Kaiser Nikolaus dem Könige
Karl Albert seit 1847 eine gewisse Kälte gezeigt und daß er die Meldung
der Thronbesteigung Victor Emanuel's vor sieben Jahren nicht angenom¬
men habe.
'

In der zweiten Hälfte des April schiffte sich das sardinische Hülfscorps,
17 bis 18000 Mann stark, auf englischen Fahrzeugen in Genua ein, und
nachdem es, fast noch im Hafen, durch Schiffsbrand bereits einen sehr empfind¬
lichen Verlust erlitten, landete es Anfangs Mai an der feindlichen Küste, wo
die Cholera und eben so aufreibende als ruhmlose Belagerungsarbeiten seiner
warteten. Drei Monate lang verzehrte sich Turin in Bangigkeit und Unmuth,
die sich auf das Haupt Cavour's entluden. Endlich, im August, auf die Nach-
richt, daß die sardinischen Truppen einen ehrenvollen Kampf an der Tschernaja
bestanden, konnte man ausathmen; die eben noch hart verurtheilte Thorheit
Cavour's verwandelte sich in einen gelungenen kühnen Griff und sein Name
klang Heller als je durch das Land.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/185>, abgerufen am 26.06.2024.