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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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neu ergriffenen Prämissen: in der Hauptsache herrschte Uebereinstimmung bei
Zabarella und Gerson, bei Clemangis und d'Ailly, bei Dietrich von Riem
und Andreas von Randus.

Das Wesentliche war. daß man dem ökumenischen Conzile der Kirche
eine eigenthümliche Gewalt neben dem Papstthums zuschrieb. Mit concurri¬
render oder korrektiver Befugniß wurde es der päpstlichen Macht zur Seite ge¬
stellt: seine selbständige Wirksamkeit, so lehrte man, sollte beginnen, wo das
Papstthum einmal seine Leistungen versagte oder auf Irrwegen grober Sün¬
den und Ketzereien wandelte. Das war nicht die Meinung Gerson's, -- und
Gerson gerade ist der tonangebende und wegweisende Führer dieser Richtung
in Theorie und Praxis -- daß der päpstliche Primat aus der Kirche entfernt,
daß das Papstthum durch das Conzil gradezu verdrängt und ersetzt werden
dürfte. Von allen extremen Bestrebungen hielt er sich fern. Er vereinigte
vielmehr miteinander die beiden Gedanken -- von der göttlichen Einsetzung
der päpstlichen Würde und von den die Päpste beschränkenden, ja nöthigen-
falls .sie zurechtweisenden und sogar absetzenden Befugnissen des Conziles:
diese prinzipiell sich entgegengesetzten und im Grunde sich einander aufheben¬
den Gedanken hatte Gerson beide aufgefaßt und in einer allerdings nicht sehr
logischen und klaren Zusammenstellung beide vertreten. Unentschlossene
Halbheit blieb somit der Charakter der conziliaren Schule.

Ist das Papstthum die Quelle und die Krone der kirchlichen Hierarchie,
beruht seine Autorität auf göttlichem Rechte, so ist die Verfassung der päpst¬
lichen Kirche selbst eine unantastbar gegebene, unveränderliche Einrichtung;
dann ist es nicht gestattet, neue Organe zu schaffen, welche das Papstthum
gleichsam controliren und in gewissen Fällen es ersetzen und einschränken
sollen. Wer hingegen Aenderungen auch in den wesentlichen Stücken der
Kirchenverfassung zulassen will, wer die Gewalt und Stellung des Papstthums
durchgreifenden Umgestaltungen oder Einschränkungen zu unterwerfen beab¬
sichtigt, der kann prinzipiell an der göttlichen Einsetzung und dogmatischen
Natur der päpstlichen Kirchenverfassung nicht mehr festhalten: eines schließt
das andere aus. Aber Gerson und die Führer der conziliaren Schule haben
den inneren Widerspruch der beiden Prinzipien kaum gefühlt: sie sind wirklich
eine unmögliche Bahn gewandelt.

1409 wurde das erste Experiment mit einem Conzile in Pisa gemacht.
Es mißglückte vollständig: an Stelle der beiden Päpste hatte man darauf
ihrer drei, und die kirchliche Verwirrung und Verwilderung nahm je länger
je mehr zu. Dann erst, Ende 1414, kam in Costnitz ein Conzil zusammen,
das die neuen Tendenzen vorübergehend ins Leben einführte und für eine
Weile siegreich sie behauptete.

Es war ein großer Erfolg, daß man mit Ernst und Nachdruck damals


neu ergriffenen Prämissen: in der Hauptsache herrschte Uebereinstimmung bei
Zabarella und Gerson, bei Clemangis und d'Ailly, bei Dietrich von Riem
und Andreas von Randus.

Das Wesentliche war. daß man dem ökumenischen Conzile der Kirche
eine eigenthümliche Gewalt neben dem Papstthums zuschrieb. Mit concurri¬
render oder korrektiver Befugniß wurde es der päpstlichen Macht zur Seite ge¬
stellt: seine selbständige Wirksamkeit, so lehrte man, sollte beginnen, wo das
Papstthum einmal seine Leistungen versagte oder auf Irrwegen grober Sün¬
den und Ketzereien wandelte. Das war nicht die Meinung Gerson's, — und
Gerson gerade ist der tonangebende und wegweisende Führer dieser Richtung
in Theorie und Praxis — daß der päpstliche Primat aus der Kirche entfernt,
daß das Papstthum durch das Conzil gradezu verdrängt und ersetzt werden
dürfte. Von allen extremen Bestrebungen hielt er sich fern. Er vereinigte
vielmehr miteinander die beiden Gedanken — von der göttlichen Einsetzung
der päpstlichen Würde und von den die Päpste beschränkenden, ja nöthigen-
falls .sie zurechtweisenden und sogar absetzenden Befugnissen des Conziles:
diese prinzipiell sich entgegengesetzten und im Grunde sich einander aufheben¬
den Gedanken hatte Gerson beide aufgefaßt und in einer allerdings nicht sehr
logischen und klaren Zusammenstellung beide vertreten. Unentschlossene
Halbheit blieb somit der Charakter der conziliaren Schule.

Ist das Papstthum die Quelle und die Krone der kirchlichen Hierarchie,
beruht seine Autorität auf göttlichem Rechte, so ist die Verfassung der päpst¬
lichen Kirche selbst eine unantastbar gegebene, unveränderliche Einrichtung;
dann ist es nicht gestattet, neue Organe zu schaffen, welche das Papstthum
gleichsam controliren und in gewissen Fällen es ersetzen und einschränken
sollen. Wer hingegen Aenderungen auch in den wesentlichen Stücken der
Kirchenverfassung zulassen will, wer die Gewalt und Stellung des Papstthums
durchgreifenden Umgestaltungen oder Einschränkungen zu unterwerfen beab¬
sichtigt, der kann prinzipiell an der göttlichen Einsetzung und dogmatischen
Natur der päpstlichen Kirchenverfassung nicht mehr festhalten: eines schließt
das andere aus. Aber Gerson und die Führer der conziliaren Schule haben
den inneren Widerspruch der beiden Prinzipien kaum gefühlt: sie sind wirklich
eine unmögliche Bahn gewandelt.

1409 wurde das erste Experiment mit einem Conzile in Pisa gemacht.
Es mißglückte vollständig: an Stelle der beiden Päpste hatte man darauf
ihrer drei, und die kirchliche Verwirrung und Verwilderung nahm je länger
je mehr zu. Dann erst, Ende 1414, kam in Costnitz ein Conzil zusammen,
das die neuen Tendenzen vorübergehend ins Leben einführte und für eine
Weile siegreich sie behauptete.

Es war ein großer Erfolg, daß man mit Ernst und Nachdruck damals


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[0178] neu ergriffenen Prämissen: in der Hauptsache herrschte Uebereinstimmung bei Zabarella und Gerson, bei Clemangis und d'Ailly, bei Dietrich von Riem und Andreas von Randus. Das Wesentliche war. daß man dem ökumenischen Conzile der Kirche eine eigenthümliche Gewalt neben dem Papstthums zuschrieb. Mit concurri¬ render oder korrektiver Befugniß wurde es der päpstlichen Macht zur Seite ge¬ stellt: seine selbständige Wirksamkeit, so lehrte man, sollte beginnen, wo das Papstthum einmal seine Leistungen versagte oder auf Irrwegen grober Sün¬ den und Ketzereien wandelte. Das war nicht die Meinung Gerson's, — und Gerson gerade ist der tonangebende und wegweisende Führer dieser Richtung in Theorie und Praxis — daß der päpstliche Primat aus der Kirche entfernt, daß das Papstthum durch das Conzil gradezu verdrängt und ersetzt werden dürfte. Von allen extremen Bestrebungen hielt er sich fern. Er vereinigte vielmehr miteinander die beiden Gedanken — von der göttlichen Einsetzung der päpstlichen Würde und von den die Päpste beschränkenden, ja nöthigen- falls .sie zurechtweisenden und sogar absetzenden Befugnissen des Conziles: diese prinzipiell sich entgegengesetzten und im Grunde sich einander aufheben¬ den Gedanken hatte Gerson beide aufgefaßt und in einer allerdings nicht sehr logischen und klaren Zusammenstellung beide vertreten. Unentschlossene Halbheit blieb somit der Charakter der conziliaren Schule. Ist das Papstthum die Quelle und die Krone der kirchlichen Hierarchie, beruht seine Autorität auf göttlichem Rechte, so ist die Verfassung der päpst¬ lichen Kirche selbst eine unantastbar gegebene, unveränderliche Einrichtung; dann ist es nicht gestattet, neue Organe zu schaffen, welche das Papstthum gleichsam controliren und in gewissen Fällen es ersetzen und einschränken sollen. Wer hingegen Aenderungen auch in den wesentlichen Stücken der Kirchenverfassung zulassen will, wer die Gewalt und Stellung des Papstthums durchgreifenden Umgestaltungen oder Einschränkungen zu unterwerfen beab¬ sichtigt, der kann prinzipiell an der göttlichen Einsetzung und dogmatischen Natur der päpstlichen Kirchenverfassung nicht mehr festhalten: eines schließt das andere aus. Aber Gerson und die Führer der conziliaren Schule haben den inneren Widerspruch der beiden Prinzipien kaum gefühlt: sie sind wirklich eine unmögliche Bahn gewandelt. 1409 wurde das erste Experiment mit einem Conzile in Pisa gemacht. Es mißglückte vollständig: an Stelle der beiden Päpste hatte man darauf ihrer drei, und die kirchliche Verwirrung und Verwilderung nahm je länger je mehr zu. Dann erst, Ende 1414, kam in Costnitz ein Conzil zusammen, das die neuen Tendenzen vorübergehend ins Leben einführte und für eine Weile siegreich sie behauptete. Es war ein großer Erfolg, daß man mit Ernst und Nachdruck damals

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/178>, abgerufen am 25.12.2024.