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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Ich breche ab, weil ich noch ein anderes Thema auf dem Herzen habe.
Das königl. Schauspielhaus hat uns gestern Abend mit der zweiten Novität
dieses Winters beschenkt: "In Charlottenburg. Historisches Lustspiel in vier
Acten von Max Ring." In den Ankündigungen, welche in den letzten Wochen
durch die Blätter gingen, hieß das Stück zuerst: "Der Philosoph von Char¬
lottenburg/' dann "der Philosoph in Charlottenburg." und schließlich nannte
es der officielle Theaterzettel einfach: "In Charlottenburg." Zutreffend wird
man diese Bezeichnung schwerlich nennen können, denn die Hälfte der Hand¬
lung spielt in Berlin. Zudem läßt die wiederholte Modification des Titels
vermuthen, daß man um eine das Wesen des Stückes ausdrückende Bezeich¬
nung in Verlegenheit war, mit andern Worten, daß man nicht recht wußte,
was in diesem Schauspiel eigentlich dargestellt werden sollte. Leider wurde
diese Vermuthung durch die gestrige Aufführung nur zu sehr gerechtfertigt.
Wir befinden uns am Hofe der für Wissenschaft und Kunst begeisterten Kur¬
fürstin Sophie Charlotte in Charlottenburg, und zwar im Jahre 1700. Die
Kurfürstin und ihre Hofdame Fräulein v. Pöllnitz schwärmen für die Leib-
nitz'sche Philosophie und haben den sehnlichsten Wunsch, den großen Philo¬
sophen nach Berlin zu ziehen. Der Staatsminister Graf Wartenberg aber
wittert dahinter die Absicht, ihn zu stürzen, und Leibnitz an seine Stelle zu
setzen. Zufällig trifft Leibnitz gerade aus Hannover ein. Obgleich Warten¬
berg es zu verhindern gesucht, wird der Philosoph von der Fürstin empfangen.
Er überreicht ihr ein Schreiben der Mutter, welche sie bittet, das Streben
ihres Gemahls nach der Königskrone zu unterstützen. Sophie Charlotte, der
Einmischung in die Staatsangelegenheiten überhaupt abhold, hat sich für
diesen Plan bisher nicht erwärmen können; erst nach Leibnitzens Darlegung
der Bedeutung dieses Actes für Brandenburgs ganze Zukunft, ist sie ent¬
schlossen, zu thun, was sie vermag. Inzwischen sinnt Wartenberg auf Mittel,
die vermeintliche, gegen ihn gesponnene Intrigue zu durchkreuzen: er scheut
sich nicht, die Kurfürstin bei ihrem Gemahl aufs schlimmste anzuschwärzen.
Die Charlottenburger Hofhaltung, so klagt er, verschwende enorme Summen;
von den Kanzeln werde bereits gepredigt über dies sündhafte Treiben. Nun
mische man sich auch in die Staatsangelegenheiten und wolle dem Kurfürsten
den Herrn v. Leibnitz als Minister aufdrängen. Der Kurfürst geräth in
Zorn; es scheint, als wäre der Knoten zu einem Jntriguenspiel geschürzt.
Aber im nächsten Augenblick erscheint Sophie Charlotte selbst, erzählt ihrem
Gemahl den wahren Sachverhalt, und der Knoten ist wieder gelöst. Der
Kurfürst ist über den Entschluß seiner Gemahlin, ihren Einfluß für seine
Pläne einzusetzen, so entzückt, daß er auf ihren Lieblingswunsch, die Errich¬
tung einer Akademie der Wissenschaften mit Leibnitz als Präsidenten, ohne
viel Sträuben eingeht. Am nächsten Tage, auf einem Maskenfest in Char-


Ich breche ab, weil ich noch ein anderes Thema auf dem Herzen habe.
Das königl. Schauspielhaus hat uns gestern Abend mit der zweiten Novität
dieses Winters beschenkt: „In Charlottenburg. Historisches Lustspiel in vier
Acten von Max Ring." In den Ankündigungen, welche in den letzten Wochen
durch die Blätter gingen, hieß das Stück zuerst: „Der Philosoph von Char¬
lottenburg/' dann „der Philosoph in Charlottenburg." und schließlich nannte
es der officielle Theaterzettel einfach: „In Charlottenburg." Zutreffend wird
man diese Bezeichnung schwerlich nennen können, denn die Hälfte der Hand¬
lung spielt in Berlin. Zudem läßt die wiederholte Modification des Titels
vermuthen, daß man um eine das Wesen des Stückes ausdrückende Bezeich¬
nung in Verlegenheit war, mit andern Worten, daß man nicht recht wußte,
was in diesem Schauspiel eigentlich dargestellt werden sollte. Leider wurde
diese Vermuthung durch die gestrige Aufführung nur zu sehr gerechtfertigt.
Wir befinden uns am Hofe der für Wissenschaft und Kunst begeisterten Kur¬
fürstin Sophie Charlotte in Charlottenburg, und zwar im Jahre 1700. Die
Kurfürstin und ihre Hofdame Fräulein v. Pöllnitz schwärmen für die Leib-
nitz'sche Philosophie und haben den sehnlichsten Wunsch, den großen Philo¬
sophen nach Berlin zu ziehen. Der Staatsminister Graf Wartenberg aber
wittert dahinter die Absicht, ihn zu stürzen, und Leibnitz an seine Stelle zu
setzen. Zufällig trifft Leibnitz gerade aus Hannover ein. Obgleich Warten¬
berg es zu verhindern gesucht, wird der Philosoph von der Fürstin empfangen.
Er überreicht ihr ein Schreiben der Mutter, welche sie bittet, das Streben
ihres Gemahls nach der Königskrone zu unterstützen. Sophie Charlotte, der
Einmischung in die Staatsangelegenheiten überhaupt abhold, hat sich für
diesen Plan bisher nicht erwärmen können; erst nach Leibnitzens Darlegung
der Bedeutung dieses Actes für Brandenburgs ganze Zukunft, ist sie ent¬
schlossen, zu thun, was sie vermag. Inzwischen sinnt Wartenberg auf Mittel,
die vermeintliche, gegen ihn gesponnene Intrigue zu durchkreuzen: er scheut
sich nicht, die Kurfürstin bei ihrem Gemahl aufs schlimmste anzuschwärzen.
Die Charlottenburger Hofhaltung, so klagt er, verschwende enorme Summen;
von den Kanzeln werde bereits gepredigt über dies sündhafte Treiben. Nun
mische man sich auch in die Staatsangelegenheiten und wolle dem Kurfürsten
den Herrn v. Leibnitz als Minister aufdrängen. Der Kurfürst geräth in
Zorn; es scheint, als wäre der Knoten zu einem Jntriguenspiel geschürzt.
Aber im nächsten Augenblick erscheint Sophie Charlotte selbst, erzählt ihrem
Gemahl den wahren Sachverhalt, und der Knoten ist wieder gelöst. Der
Kurfürst ist über den Entschluß seiner Gemahlin, ihren Einfluß für seine
Pläne einzusetzen, so entzückt, daß er auf ihren Lieblingswunsch, die Errich¬
tung einer Akademie der Wissenschaften mit Leibnitz als Präsidenten, ohne
viel Sträuben eingeht. Am nächsten Tage, auf einem Maskenfest in Char-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/164>, abgerufen am 26.06.2024.