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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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Möglichkeit, während ein Mazzini bei Verfolgung des nämlichen Planes in
den verkehrtesten Maßregeln sich selber überbot.

Conservativ von Herzensgrund, hatte sich Cavour nur durch das Be¬
wußtsein von der Unerträglichkeit der bisherigen öffentlichen Zustände Italiens
in den gewaltsamen Verlauf der Bewegung hineinreißen lassen. Er war re¬
volutionär wider Willen und wollte den Bruch mit der Vergangenheit jeden
Falls auf einen möglichst engen Bereich beschränkt wissen. Vor allen Dingen
war es ihm darum zu thun, das Königthum in Sardinien zu retten, und
damit den einzigen vorhandenen Stützpunkt italienischer Macht gegenüber
Oesterreich sowohl, wie der einheimischen Vielstaaterei. So wenig wie dem
Thron, war Cavour der Kirche feindlich gesinnt, nicht allein, weil er die Un-
entbehrlichkeit derselben für Italien einsah, sondern auch weil er keinen Augen¬
blick aufgehört, für seine eigene Person ein gläubiger Sohn derselben zu sein.
Wenn er für das Siccardi'sche Gesetz gesprochen und gestimmt, so war es in
der Ueberzeugung von der politischen Nothwendigkeit desselben und nicht ohne
böses Gewissen geschehen, wie er denn in allen Fällen dieser Art niemals
seine Stimme gegen kirchliche Interessen abgab, ohne sich bei einem ihm be¬
freundeten Priester, dem Pater Giacomo, der Absolution im voraus versichert
zu haben. -- Zwischen der gebieterischen Forderung der staatlichen Neugestal¬
tung Italiens, daß die Geistlichkeit dem gemeinen Rechte unterworfen werde,
und dem Ansprüche der Kirche, ihre Angelegenheiten selbständig zu verwalten,
glaubte Cavour die Vermittelung zu finden in dem von ihm erfundenen Satz:
freie Kirche im freien Staate, ein Wort, das dann freilich in der Anwen¬
dung auf Italien einen eben so schreienden Widersinn besagte, wie die fast
gleichzeitig von einem deutschen Könige ausgegebene Losung: freie Fürsten,
freie Völker.

Cavour wendete seine ministerielle Thätigkeit zuvörderst seinem nächsten
Berufskreise zu, den Angelegenheiten des Handels und Ackerbaus, in die er
vorzugsweise mit eigner Sachkenntniß eingreifen konnte, zum Beispiel durch
Abschluß von Handelsverträgen mit Belgien, Dänemark, Schweden, Frank¬
reich und selbst Oesterreich. Bald jedoch, wie um das von Victor Emanuel
bei seinem Eintritts in das Cabinet gesprochene Wort wahr zu machen, über¬
nahm er auch die Verwaltung des Seewesens und der Finanzen. Wenn ihm
das erstere völlig fremd war, so zeigte er sich doch in die Geheimnisse des
Geld- und Rechnungswesens hinlänglich eingeweiht, um dem Staatshaushalte
mit vollen Ehren vorzustehen. Seine überlegene Willens- und Arbeitskraft
machte ihn demnächst zum wirklichen Haupte des Cabinets, das den Namen
von Masfimo d'Azeglio führte, welchem, bei vielen vortrefflichen Eigenschaften,
der thatkräftige Ehrgeiz des vollb'ureigen Staatsmannes fehlte, und der ohne
Eifersucht seinen Nachfolger neben sich emporwachsen sah.


Möglichkeit, während ein Mazzini bei Verfolgung des nämlichen Planes in
den verkehrtesten Maßregeln sich selber überbot.

Conservativ von Herzensgrund, hatte sich Cavour nur durch das Be¬
wußtsein von der Unerträglichkeit der bisherigen öffentlichen Zustände Italiens
in den gewaltsamen Verlauf der Bewegung hineinreißen lassen. Er war re¬
volutionär wider Willen und wollte den Bruch mit der Vergangenheit jeden
Falls auf einen möglichst engen Bereich beschränkt wissen. Vor allen Dingen
war es ihm darum zu thun, das Königthum in Sardinien zu retten, und
damit den einzigen vorhandenen Stützpunkt italienischer Macht gegenüber
Oesterreich sowohl, wie der einheimischen Vielstaaterei. So wenig wie dem
Thron, war Cavour der Kirche feindlich gesinnt, nicht allein, weil er die Un-
entbehrlichkeit derselben für Italien einsah, sondern auch weil er keinen Augen¬
blick aufgehört, für seine eigene Person ein gläubiger Sohn derselben zu sein.
Wenn er für das Siccardi'sche Gesetz gesprochen und gestimmt, so war es in
der Ueberzeugung von der politischen Nothwendigkeit desselben und nicht ohne
böses Gewissen geschehen, wie er denn in allen Fällen dieser Art niemals
seine Stimme gegen kirchliche Interessen abgab, ohne sich bei einem ihm be¬
freundeten Priester, dem Pater Giacomo, der Absolution im voraus versichert
zu haben. — Zwischen der gebieterischen Forderung der staatlichen Neugestal¬
tung Italiens, daß die Geistlichkeit dem gemeinen Rechte unterworfen werde,
und dem Ansprüche der Kirche, ihre Angelegenheiten selbständig zu verwalten,
glaubte Cavour die Vermittelung zu finden in dem von ihm erfundenen Satz:
freie Kirche im freien Staate, ein Wort, das dann freilich in der Anwen¬
dung auf Italien einen eben so schreienden Widersinn besagte, wie die fast
gleichzeitig von einem deutschen Könige ausgegebene Losung: freie Fürsten,
freie Völker.

Cavour wendete seine ministerielle Thätigkeit zuvörderst seinem nächsten
Berufskreise zu, den Angelegenheiten des Handels und Ackerbaus, in die er
vorzugsweise mit eigner Sachkenntniß eingreifen konnte, zum Beispiel durch
Abschluß von Handelsverträgen mit Belgien, Dänemark, Schweden, Frank¬
reich und selbst Oesterreich. Bald jedoch, wie um das von Victor Emanuel
bei seinem Eintritts in das Cabinet gesprochene Wort wahr zu machen, über¬
nahm er auch die Verwaltung des Seewesens und der Finanzen. Wenn ihm
das erstere völlig fremd war, so zeigte er sich doch in die Geheimnisse des
Geld- und Rechnungswesens hinlänglich eingeweiht, um dem Staatshaushalte
mit vollen Ehren vorzustehen. Seine überlegene Willens- und Arbeitskraft
machte ihn demnächst zum wirklichen Haupte des Cabinets, das den Namen
von Masfimo d'Azeglio führte, welchem, bei vielen vortrefflichen Eigenschaften,
der thatkräftige Ehrgeiz des vollb'ureigen Staatsmannes fehlte, und der ohne
Eifersucht seinen Nachfolger neben sich emporwachsen sah.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/139>, abgerufen am 25.06.2024.