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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band.

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worden ist. Sie hat seitdem ihr Herz ganz Octave gewidmet, giebt ihm auch
Geld (deshalb würde man wohl das Stück in Deutschland nicht "Herr
Alphonse". sondern "Herr Louis" nennen?) und dieser will sie nur des Gel¬
des wegen heirathen, während sie wahnsinnig in ihn verliebt ist, so daß sie
ihn mit fürchterlicher Eifersucht quält, und ihm jeden Augenblick die lächer¬
lichsten Scenen macht.

Das ist die Situation beim Beginn des Stückes. Als der Borhang auf¬
geht, sitzt Octave bei Raymonde, und theilt ihr sein Heirathsvrojekt mit, und
da er sich fürchtet, der eifersüchtigen Madame Guichard die Existenz des
Kindes zu gestehen, so schlägt er Raymonde vor, das Mädchen zurück zu
nehmen, und als sie dies abschlägt, weil sie ihren Mann, den sie innig ver¬
ehrt, nicht so an der Nase herum führen will, sagt Octave, wenn sie nicht
auf seinen Vorschlag eingehen wolle, werde er sich an Montaiglin wenden,
den er gewiß herumkriegen würde. "Aber das Mädchen nennt mich Mutter,"
sagt Rahmonde voll von Angst und Verzweiflung und im Innern vor Freude
zitternd, bei dem Gedanken, daß sie ihre Tochter immer um sich haben solle.
Darüber beruhigt sie Octave, indem er erzählt, er habe dem Kinde die Sache
halb und halb erklärt, das Mädchen sei sehr klug, und werde sich gewiß zu
verstellen wissen. Montaiglin erscheint hierauf und läßt sich, mit Octave
allein gelassen, dessen Plan vortragen, fragt natürlich, wer die Mutter des
Kindes ist, begnügt sich aber mit Octave's Antwort, daß er sie nicht nennen
könne, und willigt ein, das Kind zu sich zu nehmen. Da Octave das Mäd¬
chen in der Nähe hat, so holt er es gleich, und nun geht die Verstellungs-
Comödie dieses 11jährigen Kindes an, welche die Haare zu Berge stehen macht.
Vor Zeugen fremd und höflich, fällt Adrienne ihrer Mutter um den Hals,
sobald sie allein sind, und fällt augenblicklich wieder in die erste Rolle zurück,
sobald sich Schritte hören lassen. Ich weiß nicht, ob ein solcher Charakter
psychologisch möglich ist, jedenfalls ist er unwahrscheinlich, und selbst wider¬
wärtig.

Alles geht gut, als Madame Guichard erscheint. Sie hat wieder einmal
einen Anfall von Eifersucht gehabt, hat Octave auf seiner Fahrt nach der
Wohnung des Kindes und nach dem Hause Montaiglin's verfolgt, hat sich,
als sie ihn mit einem Kinde gesehen, gleich zusammengereimt, daß dies sein
Kind sein müsse, und fällt nun wie eine Bombe in Raymonde's Salon, um
Gewißheit über ihre Vermuthung zu haben, und zu erfahren, wer die Mutter
des Kindes ist. Raymonde natürlich sagt ihr das nicht, und Octave giebt
ihr nach einer langen, langweiligen und undelikaten Scene, die er mit ihr
hat, halb und halb zu, daß er der Vater ist. versichert ihr aber, daß die
Mutter todt sei. Darauf macht nach einiger Ueberlegung Madame Guichard
den sehr vernünftigen Vorschlag: da wir uns heirathen, so wollen wir doch


worden ist. Sie hat seitdem ihr Herz ganz Octave gewidmet, giebt ihm auch
Geld (deshalb würde man wohl das Stück in Deutschland nicht „Herr
Alphonse". sondern „Herr Louis" nennen?) und dieser will sie nur des Gel¬
des wegen heirathen, während sie wahnsinnig in ihn verliebt ist, so daß sie
ihn mit fürchterlicher Eifersucht quält, und ihm jeden Augenblick die lächer¬
lichsten Scenen macht.

Das ist die Situation beim Beginn des Stückes. Als der Borhang auf¬
geht, sitzt Octave bei Raymonde, und theilt ihr sein Heirathsvrojekt mit, und
da er sich fürchtet, der eifersüchtigen Madame Guichard die Existenz des
Kindes zu gestehen, so schlägt er Raymonde vor, das Mädchen zurück zu
nehmen, und als sie dies abschlägt, weil sie ihren Mann, den sie innig ver¬
ehrt, nicht so an der Nase herum führen will, sagt Octave, wenn sie nicht
auf seinen Vorschlag eingehen wolle, werde er sich an Montaiglin wenden,
den er gewiß herumkriegen würde. „Aber das Mädchen nennt mich Mutter,"
sagt Rahmonde voll von Angst und Verzweiflung und im Innern vor Freude
zitternd, bei dem Gedanken, daß sie ihre Tochter immer um sich haben solle.
Darüber beruhigt sie Octave, indem er erzählt, er habe dem Kinde die Sache
halb und halb erklärt, das Mädchen sei sehr klug, und werde sich gewiß zu
verstellen wissen. Montaiglin erscheint hierauf und läßt sich, mit Octave
allein gelassen, dessen Plan vortragen, fragt natürlich, wer die Mutter des
Kindes ist, begnügt sich aber mit Octave's Antwort, daß er sie nicht nennen
könne, und willigt ein, das Kind zu sich zu nehmen. Da Octave das Mäd¬
chen in der Nähe hat, so holt er es gleich, und nun geht die Verstellungs-
Comödie dieses 11jährigen Kindes an, welche die Haare zu Berge stehen macht.
Vor Zeugen fremd und höflich, fällt Adrienne ihrer Mutter um den Hals,
sobald sie allein sind, und fällt augenblicklich wieder in die erste Rolle zurück,
sobald sich Schritte hören lassen. Ich weiß nicht, ob ein solcher Charakter
psychologisch möglich ist, jedenfalls ist er unwahrscheinlich, und selbst wider¬
wärtig.

Alles geht gut, als Madame Guichard erscheint. Sie hat wieder einmal
einen Anfall von Eifersucht gehabt, hat Octave auf seiner Fahrt nach der
Wohnung des Kindes und nach dem Hause Montaiglin's verfolgt, hat sich,
als sie ihn mit einem Kinde gesehen, gleich zusammengereimt, daß dies sein
Kind sein müsse, und fällt nun wie eine Bombe in Raymonde's Salon, um
Gewißheit über ihre Vermuthung zu haben, und zu erfahren, wer die Mutter
des Kindes ist. Raymonde natürlich sagt ihr das nicht, und Octave giebt
ihr nach einer langen, langweiligen und undelikaten Scene, die er mit ihr
hat, halb und halb zu, daß er der Vater ist. versichert ihr aber, daß die
Mutter todt sei. Darauf macht nach einiger Ueberlegung Madame Guichard
den sehr vernünftigen Vorschlag: da wir uns heirathen, so wollen wir doch


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[0113] worden ist. Sie hat seitdem ihr Herz ganz Octave gewidmet, giebt ihm auch Geld (deshalb würde man wohl das Stück in Deutschland nicht „Herr Alphonse". sondern „Herr Louis" nennen?) und dieser will sie nur des Gel¬ des wegen heirathen, während sie wahnsinnig in ihn verliebt ist, so daß sie ihn mit fürchterlicher Eifersucht quält, und ihm jeden Augenblick die lächer¬ lichsten Scenen macht. Das ist die Situation beim Beginn des Stückes. Als der Borhang auf¬ geht, sitzt Octave bei Raymonde, und theilt ihr sein Heirathsvrojekt mit, und da er sich fürchtet, der eifersüchtigen Madame Guichard die Existenz des Kindes zu gestehen, so schlägt er Raymonde vor, das Mädchen zurück zu nehmen, und als sie dies abschlägt, weil sie ihren Mann, den sie innig ver¬ ehrt, nicht so an der Nase herum führen will, sagt Octave, wenn sie nicht auf seinen Vorschlag eingehen wolle, werde er sich an Montaiglin wenden, den er gewiß herumkriegen würde. „Aber das Mädchen nennt mich Mutter," sagt Rahmonde voll von Angst und Verzweiflung und im Innern vor Freude zitternd, bei dem Gedanken, daß sie ihre Tochter immer um sich haben solle. Darüber beruhigt sie Octave, indem er erzählt, er habe dem Kinde die Sache halb und halb erklärt, das Mädchen sei sehr klug, und werde sich gewiß zu verstellen wissen. Montaiglin erscheint hierauf und läßt sich, mit Octave allein gelassen, dessen Plan vortragen, fragt natürlich, wer die Mutter des Kindes ist, begnügt sich aber mit Octave's Antwort, daß er sie nicht nennen könne, und willigt ein, das Kind zu sich zu nehmen. Da Octave das Mäd¬ chen in der Nähe hat, so holt er es gleich, und nun geht die Verstellungs- Comödie dieses 11jährigen Kindes an, welche die Haare zu Berge stehen macht. Vor Zeugen fremd und höflich, fällt Adrienne ihrer Mutter um den Hals, sobald sie allein sind, und fällt augenblicklich wieder in die erste Rolle zurück, sobald sich Schritte hören lassen. Ich weiß nicht, ob ein solcher Charakter psychologisch möglich ist, jedenfalls ist er unwahrscheinlich, und selbst wider¬ wärtig. Alles geht gut, als Madame Guichard erscheint. Sie hat wieder einmal einen Anfall von Eifersucht gehabt, hat Octave auf seiner Fahrt nach der Wohnung des Kindes und nach dem Hause Montaiglin's verfolgt, hat sich, als sie ihn mit einem Kinde gesehen, gleich zusammengereimt, daß dies sein Kind sein müsse, und fällt nun wie eine Bombe in Raymonde's Salon, um Gewißheit über ihre Vermuthung zu haben, und zu erfahren, wer die Mutter des Kindes ist. Raymonde natürlich sagt ihr das nicht, und Octave giebt ihr nach einer langen, langweiligen und undelikaten Scene, die er mit ihr hat, halb und halb zu, daß er der Vater ist. versichert ihr aber, daß die Mutter todt sei. Darauf macht nach einiger Ueberlegung Madame Guichard den sehr vernünftigen Vorschlag: da wir uns heirathen, so wollen wir doch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_130643/113>, abgerufen am 27.08.2024.