Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.kommnung", "die theilweise Parcellirung", "die zwangsweise Desinfection" ? kommnung", „die theilweise Parcellirung", „die zwangsweise Desinfection" ? <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0092" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192895"/> <p xml:id="ID_257" prev="#ID_256" next="#ID_258"> kommnung", „die theilweise Parcellirung", „die zwangsweise Desinfection" ?<lb/> Ist wirklich das Verständniß dafür erloschen, daß die mit-weise zusammenge¬<lb/> setzten Worte pure blanke Adverbia sind und nie als Adjectiva angewendet<lb/> werden können? Wenn wirklich die deutsche Sprache die Kürze der grie¬<lb/> chischen in diesem Falle erreichen will, so bleibt ihr nichts andres übrig, als<lb/> aus dem Adverbium heraus durch Anhängen der Bildungssilbe ig ein Ad¬<lb/> jectiv zu schaffen, und das ist denn auch in reichem Maaße geschehen und<lb/> geschieht noch immer in zahlreichen momentanen Neubildungen. Gegen<lb/> Formen wie diesfallsig, demnächstig, seitherig, nunmehrig ist also, da sie nach<lb/> richtiger Analogie von hiesig, dortig, gestrig, heutig, etwaig gebildet sind,<lb/> grammatisch nichts einzuwenden. Ob diese Adverbadjective gerade eine Zierde<lb/> der Sprache bilden, ist eine andere Frage; wir für unsern Theil fürchten, daß<lb/> das neuerdingsige Überhandnehmen solcher Bildungen und ihr Anspruch<lb/> auf schlechthinige Giltigkeit doch am Ende zu einer gewissermaßnigen Ent¬<lb/> stellung der Sprache führen würde. Zu den adverbiellen Bestimmungen ge¬<lb/> hören aber auch alle Präpositionen in Verbindung mit ihren Substantiven,<lb/> und auch sie dürften daher eigentlich nur zu Verden treten. Man kann also<lb/> wohl sagen: ..Der Würtembergische Erbprinz starb vor seinem Vater", aber<lb/> strenggenommen nicht: „der Tod des Würtembergischen Erbprinzen vor seinem<lb/> Vater". Doch ist die Sprache in diesem Punkte schon längst lax geworden<lb/> und hat das strenge Verbot auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen ein Ver¬<lb/> bum in der Nähe der adverbialen Bestimmung steht, also ihre Verbindung<lb/> mit diesem Verbum und damit die Möglichkeit eines Mißverständnisses nahe<lb/> liegt. Ein Satz wie der: „Goethe war in Offenbach bei einem damals<lb/> geschätzten Componisten aus Liebhaberei einquartiert" würde also einen groben<lb/> Fehler enthalten. Denn kein Mensch könnte die adverbiale Bestimmung „aus<lb/> Liebhaberei" mit dem Componisten, jeder würde sie mit einquartiren verbinden.<lb/> Solche absolut fehlerhafte Sätze laufen, einem aber jeden Tag über den Weg.<lb/> „Uebereile ist das Freudengeschrei, das die Neugläubigen über die Vernichtung<lb/> des ihnen verhaßten Zweckbegriffes durch Darwin ausstoßen" — also die Neu¬<lb/> gläubigen stoßen durch Darwin ein Freudengeschrei aus! „Seit dem Anfange des<lb/> vierten Jahrhunderts v. Chr. ist uns die Ausübung der Wandmalerei durch<lb/> römische Künstler bezeugt" — also römische Künstler haben über das Alter der<lb/> Wandmalerei geschrieben! „Magnus hielt einen Vortrag über Polychromie, der<lb/> gegen die nachgewiesenen Thatsachen ein Phantasiegemälde der griechischen Kunst<lb/> zur Zeit der höchsten Blüthe ins Feld führte" — also Magnus führte zur Zeit<lb/> der höchsten Blüthe ein Phantasiegemälde ins Feld; muß hübsch ausgesehen<lb/> haben! „Es ist bekannt, daß der Tragiker Sophokles den Siegesreigen der<lb/> Jünglinge führte; Kaulbach aber stellt ihn zu Aristides und läßt ihn die<lb/> Leier zum Danklied an die Heroen schlagen" — er läßt ihn also die Leier</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0092]
kommnung", „die theilweise Parcellirung", „die zwangsweise Desinfection" ?
Ist wirklich das Verständniß dafür erloschen, daß die mit-weise zusammenge¬
setzten Worte pure blanke Adverbia sind und nie als Adjectiva angewendet
werden können? Wenn wirklich die deutsche Sprache die Kürze der grie¬
chischen in diesem Falle erreichen will, so bleibt ihr nichts andres übrig, als
aus dem Adverbium heraus durch Anhängen der Bildungssilbe ig ein Ad¬
jectiv zu schaffen, und das ist denn auch in reichem Maaße geschehen und
geschieht noch immer in zahlreichen momentanen Neubildungen. Gegen
Formen wie diesfallsig, demnächstig, seitherig, nunmehrig ist also, da sie nach
richtiger Analogie von hiesig, dortig, gestrig, heutig, etwaig gebildet sind,
grammatisch nichts einzuwenden. Ob diese Adverbadjective gerade eine Zierde
der Sprache bilden, ist eine andere Frage; wir für unsern Theil fürchten, daß
das neuerdingsige Überhandnehmen solcher Bildungen und ihr Anspruch
auf schlechthinige Giltigkeit doch am Ende zu einer gewissermaßnigen Ent¬
stellung der Sprache führen würde. Zu den adverbiellen Bestimmungen ge¬
hören aber auch alle Präpositionen in Verbindung mit ihren Substantiven,
und auch sie dürften daher eigentlich nur zu Verden treten. Man kann also
wohl sagen: ..Der Würtembergische Erbprinz starb vor seinem Vater", aber
strenggenommen nicht: „der Tod des Würtembergischen Erbprinzen vor seinem
Vater". Doch ist die Sprache in diesem Punkte schon längst lax geworden
und hat das strenge Verbot auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen ein Ver¬
bum in der Nähe der adverbialen Bestimmung steht, also ihre Verbindung
mit diesem Verbum und damit die Möglichkeit eines Mißverständnisses nahe
liegt. Ein Satz wie der: „Goethe war in Offenbach bei einem damals
geschätzten Componisten aus Liebhaberei einquartiert" würde also einen groben
Fehler enthalten. Denn kein Mensch könnte die adverbiale Bestimmung „aus
Liebhaberei" mit dem Componisten, jeder würde sie mit einquartiren verbinden.
Solche absolut fehlerhafte Sätze laufen, einem aber jeden Tag über den Weg.
„Uebereile ist das Freudengeschrei, das die Neugläubigen über die Vernichtung
des ihnen verhaßten Zweckbegriffes durch Darwin ausstoßen" — also die Neu¬
gläubigen stoßen durch Darwin ein Freudengeschrei aus! „Seit dem Anfange des
vierten Jahrhunderts v. Chr. ist uns die Ausübung der Wandmalerei durch
römische Künstler bezeugt" — also römische Künstler haben über das Alter der
Wandmalerei geschrieben! „Magnus hielt einen Vortrag über Polychromie, der
gegen die nachgewiesenen Thatsachen ein Phantasiegemälde der griechischen Kunst
zur Zeit der höchsten Blüthe ins Feld führte" — also Magnus führte zur Zeit
der höchsten Blüthe ein Phantasiegemälde ins Feld; muß hübsch ausgesehen
haben! „Es ist bekannt, daß der Tragiker Sophokles den Siegesreigen der
Jünglinge führte; Kaulbach aber stellt ihn zu Aristides und läßt ihn die
Leier zum Danklied an die Heroen schlagen" — er läßt ihn also die Leier
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