Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Nachdem wir Decennien auf Decennien für die Öffentlichkeit unseres
Gerichtsverfahrens eingetreten sind, für die parlamentarische
Oeffentlichkeit, kurz für jede Öffentlichkeit, welche mit dem öffentlichen
Leben in Verbindung steht, lassen wir für uns ausschließlich ein Recht be¬
stehen, welches Jedermann ein angemaßtes Borrecht schelten darf. Die
Oeffentlichkeit ist überall erreicht und eingeführt, nur für uns haben wir sie
ausgeschlossen, nur wir reden unter der Maske eines Zeitungsnamens, oder
des Namens eines "verantwortlichen Redakteurs". Was man in
jedem Parlamente unerhört finden, daß ein ernannter "Sprecher" als Red¬
ner, der ums Wort bittet, namhaft gemacht würde, während der wirkliche
Redner sich vermummt; was in Gerichtsverhandlungen undenkbar ist, daß
Ankläger und Vertheidiger persönlich unbekannt bleiben: das haben
wir in der Journalistik zum Usus gemacht. Die Zeitung bildet eine Art
"Vehmgericht". von dem nur ein "Oberschöffe" resp. "Oberstuhl-
ri edler bekannt ist.

Wenn heute z. B. die heimlichen Gerichte wieder eingeführt wür¬
den, welches Recht hätten wir Journalisten, dagegen zu Protestiren?
Sitzen wir denn nicht seit langen Jahren heimlich zu Gericht mit unsern
Diktaten, die wir drucken lassen? -- Dürfen uns irgendwelche geschichtliche
oder intellektuelle Nu dz lich teils rücksichten leiten, um ein Princip
aufrecht zu erhalten, das wir in allen andern Zweigen des öffentlichen Le¬
bens verdammen? -- Verlangt man in jeder öffentlichen Versammlung
nicht den speciellen Namen jedes Redners von dem Borsitzenden angezeigt
zuhören? Und in der "Zeitung", welche gedruckt zu Hunderttausenden,
ja zu Millionen reden kann, spielen wir die Deeemvirn, oder den "Rath
der Zehn" in Venedig?

Ich gehe weiter. Kann man irgend einer Regierung das Recht be-
streiten, von uns Journalisten das Aufgeben der Anonymität zu verlangen? Ja,
wäre ein solches Verlangen nicht einfach schon ein ganz gewöhnliches poli¬
zeiliches Recht? --

Wohl weiß ich, daß die im Interesse mancher Regierung liegende De¬
moralisation der Journalistik, das verwerfliche und unmoralische Usanz-
vorrecht der Anonymität uns gönnt. Leistet es doch den officiösen Lohn¬
schreibern für Alles ebenfalls trefflichen Vorschub; und je mehr die Tages¬
presse überhaupt in den Augen ehrlicher und unbefangener Leute in Miß-
kredit kommt, desto leichteres Spiel hat eine reactionaire Regierung mit
dem Volke.

Und somit haben nicht einmal wir Journalisten das Recht über diese
Frage allein zu entscheiden, sondern das Volk selber ist der competente Rich¬
ter, und die Anonymität, die Heimlichkeit, ist im öffentlichen, wie im


Nachdem wir Decennien auf Decennien für die Öffentlichkeit unseres
Gerichtsverfahrens eingetreten sind, für die parlamentarische
Oeffentlichkeit, kurz für jede Öffentlichkeit, welche mit dem öffentlichen
Leben in Verbindung steht, lassen wir für uns ausschließlich ein Recht be¬
stehen, welches Jedermann ein angemaßtes Borrecht schelten darf. Die
Oeffentlichkeit ist überall erreicht und eingeführt, nur für uns haben wir sie
ausgeschlossen, nur wir reden unter der Maske eines Zeitungsnamens, oder
des Namens eines „verantwortlichen Redakteurs". Was man in
jedem Parlamente unerhört finden, daß ein ernannter „Sprecher" als Red¬
ner, der ums Wort bittet, namhaft gemacht würde, während der wirkliche
Redner sich vermummt; was in Gerichtsverhandlungen undenkbar ist, daß
Ankläger und Vertheidiger persönlich unbekannt bleiben: das haben
wir in der Journalistik zum Usus gemacht. Die Zeitung bildet eine Art
„Vehmgericht". von dem nur ein „Oberschöffe" resp. „Oberstuhl-
ri edler bekannt ist.

Wenn heute z. B. die heimlichen Gerichte wieder eingeführt wür¬
den, welches Recht hätten wir Journalisten, dagegen zu Protestiren?
Sitzen wir denn nicht seit langen Jahren heimlich zu Gericht mit unsern
Diktaten, die wir drucken lassen? — Dürfen uns irgendwelche geschichtliche
oder intellektuelle Nu dz lich teils rücksichten leiten, um ein Princip
aufrecht zu erhalten, das wir in allen andern Zweigen des öffentlichen Le¬
bens verdammen? — Verlangt man in jeder öffentlichen Versammlung
nicht den speciellen Namen jedes Redners von dem Borsitzenden angezeigt
zuhören? Und in der „Zeitung", welche gedruckt zu Hunderttausenden,
ja zu Millionen reden kann, spielen wir die Deeemvirn, oder den „Rath
der Zehn" in Venedig?

Ich gehe weiter. Kann man irgend einer Regierung das Recht be-
streiten, von uns Journalisten das Aufgeben der Anonymität zu verlangen? Ja,
wäre ein solches Verlangen nicht einfach schon ein ganz gewöhnliches poli¬
zeiliches Recht? —

Wohl weiß ich, daß die im Interesse mancher Regierung liegende De¬
moralisation der Journalistik, das verwerfliche und unmoralische Usanz-
vorrecht der Anonymität uns gönnt. Leistet es doch den officiösen Lohn¬
schreibern für Alles ebenfalls trefflichen Vorschub; und je mehr die Tages¬
presse überhaupt in den Augen ehrlicher und unbefangener Leute in Miß-
kredit kommt, desto leichteres Spiel hat eine reactionaire Regierung mit
dem Volke.

Und somit haben nicht einmal wir Journalisten das Recht über diese
Frage allein zu entscheiden, sondern das Volk selber ist der competente Rich¬
ter, und die Anonymität, die Heimlichkeit, ist im öffentlichen, wie im


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0087" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192890"/>
          <p xml:id="ID_241"> Nachdem wir Decennien auf Decennien für die Öffentlichkeit unseres<lb/>
Gerichtsverfahrens eingetreten sind, für die parlamentarische<lb/>
Oeffentlichkeit, kurz für jede Öffentlichkeit, welche mit dem öffentlichen<lb/>
Leben in Verbindung steht, lassen wir für uns ausschließlich ein Recht be¬<lb/>
stehen, welches Jedermann ein angemaßtes Borrecht schelten darf. Die<lb/>
Oeffentlichkeit ist überall erreicht und eingeführt, nur für uns haben wir sie<lb/>
ausgeschlossen, nur wir reden unter der Maske eines Zeitungsnamens, oder<lb/>
des Namens eines &#x201E;verantwortlichen Redakteurs". Was man in<lb/>
jedem Parlamente unerhört finden, daß ein ernannter &#x201E;Sprecher" als Red¬<lb/>
ner, der ums Wort bittet, namhaft gemacht würde, während der wirkliche<lb/>
Redner sich vermummt; was in Gerichtsverhandlungen undenkbar ist, daß<lb/>
Ankläger und Vertheidiger persönlich unbekannt bleiben: das haben<lb/>
wir in der Journalistik zum Usus gemacht. Die Zeitung bildet eine Art<lb/>
&#x201E;Vehmgericht". von dem nur ein &#x201E;Oberschöffe" resp. &#x201E;Oberstuhl-<lb/>
ri edler bekannt ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_242"> Wenn heute z. B. die heimlichen Gerichte wieder eingeführt wür¬<lb/>
den, welches Recht hätten wir Journalisten, dagegen zu Protestiren?<lb/>
Sitzen wir denn nicht seit langen Jahren heimlich zu Gericht mit unsern<lb/>
Diktaten, die wir drucken lassen? &#x2014; Dürfen uns irgendwelche geschichtliche<lb/>
oder intellektuelle Nu dz lich teils rücksichten leiten, um ein Princip<lb/>
aufrecht zu erhalten, das wir in allen andern Zweigen des öffentlichen Le¬<lb/>
bens verdammen? &#x2014; Verlangt man in jeder öffentlichen Versammlung<lb/>
nicht den speciellen Namen jedes Redners von dem Borsitzenden angezeigt<lb/>
zuhören? Und in der &#x201E;Zeitung", welche gedruckt zu Hunderttausenden,<lb/>
ja zu Millionen reden kann, spielen wir die Deeemvirn, oder den &#x201E;Rath<lb/>
der Zehn" in Venedig?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_243"> Ich gehe weiter. Kann man irgend einer Regierung das Recht be-<lb/>
streiten, von uns Journalisten das Aufgeben der Anonymität zu verlangen? Ja,<lb/>
wäre ein solches Verlangen nicht einfach schon ein ganz gewöhnliches poli¬<lb/>
zeiliches Recht? &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_244"> Wohl weiß ich, daß die im Interesse mancher Regierung liegende De¬<lb/>
moralisation der Journalistik, das verwerfliche und unmoralische Usanz-<lb/>
vorrecht der Anonymität uns gönnt. Leistet es doch den officiösen Lohn¬<lb/>
schreibern für Alles ebenfalls trefflichen Vorschub; und je mehr die Tages¬<lb/>
presse überhaupt in den Augen ehrlicher und unbefangener Leute in Miß-<lb/>
kredit kommt, desto leichteres Spiel hat eine reactionaire Regierung mit<lb/>
dem Volke.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_245" next="#ID_246"> Und somit haben nicht einmal wir Journalisten das Recht über diese<lb/>
Frage allein zu entscheiden, sondern das Volk selber ist der competente Rich¬<lb/>
ter, und die Anonymität, die Heimlichkeit, ist im öffentlichen, wie im</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0087] Nachdem wir Decennien auf Decennien für die Öffentlichkeit unseres Gerichtsverfahrens eingetreten sind, für die parlamentarische Oeffentlichkeit, kurz für jede Öffentlichkeit, welche mit dem öffentlichen Leben in Verbindung steht, lassen wir für uns ausschließlich ein Recht be¬ stehen, welches Jedermann ein angemaßtes Borrecht schelten darf. Die Oeffentlichkeit ist überall erreicht und eingeführt, nur für uns haben wir sie ausgeschlossen, nur wir reden unter der Maske eines Zeitungsnamens, oder des Namens eines „verantwortlichen Redakteurs". Was man in jedem Parlamente unerhört finden, daß ein ernannter „Sprecher" als Red¬ ner, der ums Wort bittet, namhaft gemacht würde, während der wirkliche Redner sich vermummt; was in Gerichtsverhandlungen undenkbar ist, daß Ankläger und Vertheidiger persönlich unbekannt bleiben: das haben wir in der Journalistik zum Usus gemacht. Die Zeitung bildet eine Art „Vehmgericht". von dem nur ein „Oberschöffe" resp. „Oberstuhl- ri edler bekannt ist. Wenn heute z. B. die heimlichen Gerichte wieder eingeführt wür¬ den, welches Recht hätten wir Journalisten, dagegen zu Protestiren? Sitzen wir denn nicht seit langen Jahren heimlich zu Gericht mit unsern Diktaten, die wir drucken lassen? — Dürfen uns irgendwelche geschichtliche oder intellektuelle Nu dz lich teils rücksichten leiten, um ein Princip aufrecht zu erhalten, das wir in allen andern Zweigen des öffentlichen Le¬ bens verdammen? — Verlangt man in jeder öffentlichen Versammlung nicht den speciellen Namen jedes Redners von dem Borsitzenden angezeigt zuhören? Und in der „Zeitung", welche gedruckt zu Hunderttausenden, ja zu Millionen reden kann, spielen wir die Deeemvirn, oder den „Rath der Zehn" in Venedig? Ich gehe weiter. Kann man irgend einer Regierung das Recht be- streiten, von uns Journalisten das Aufgeben der Anonymität zu verlangen? Ja, wäre ein solches Verlangen nicht einfach schon ein ganz gewöhnliches poli¬ zeiliches Recht? — Wohl weiß ich, daß die im Interesse mancher Regierung liegende De¬ moralisation der Journalistik, das verwerfliche und unmoralische Usanz- vorrecht der Anonymität uns gönnt. Leistet es doch den officiösen Lohn¬ schreibern für Alles ebenfalls trefflichen Vorschub; und je mehr die Tages¬ presse überhaupt in den Augen ehrlicher und unbefangener Leute in Miß- kredit kommt, desto leichteres Spiel hat eine reactionaire Regierung mit dem Volke. Und somit haben nicht einmal wir Journalisten das Recht über diese Frage allein zu entscheiden, sondern das Volk selber ist der competente Rich¬ ter, und die Anonymität, die Heimlichkeit, ist im öffentlichen, wie im

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/87
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/87>, abgerufen am 06.02.2025.