Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Seltenheit willen des Gedankens nicht leicht erwehren mag, daß mit einer
so ausgestatteten Schrift etwas Besonderes bezweckt sei. Diesen Gedanken
bestärkt das Vorwort, dessen Kürze nicht minder löblich ist, als die Eleganz
der Ausstattung. Das Vorwort will nur sagen, "daß die nachfolgenden
Blätter im gemeinverständlichen Sinne geschrieben, sich nicht an das gelehrte
Publikum wenden, daß aber die wissenschaftliche Grundlage durch die beson¬
ders gegebenen Belage gewahrt ist." Ein sonderbares Vorwort! Kann man
nicht gemeinverständlich schreiben, und doch das gelehrte Publikum in den
Leserkreis einschließen, den man anregen oder belehren will? Wir wären ver¬
sucht, dem gelehrten Herrn Verfasser ein Capitel aus der heute über Gebühr
vernachlässigten Logik vorzutragen, über den Unterschied von conträr und
contradiktorisch.

Wir haben noch gar nicht von dem Inhalt der Schrift gesprochen und
schon allerlei Ausstellungen gemacht. Wir beabsichtigen jedoch keine Neckerei,
und wollen erklären, daß die Schrift eine sehr dankenswerte Skizze bietet
über die Stellung des Staates, bezw. der Staaten, zu den Concilien bis
auf das Vaticanum von 1865 -70, Nur über das Beiwort " gemeinverstäw
lich", eine Eigenschaft, die heute so viele Schriften erklären erstreben zu
wollen oder erstrebt zu haben, scheint noch eine kritische Bemerkung am Platze.
Unter "gemeinverständlich pflegt man heute zu begreifen, was der gebildete
oder auch nicht gebildete Mensch ohne Kopfzerbrechens lesen kann. Viel lieber
aber wären uns solche Bücher, welche den Leser zwar nicht durch Kopfzer¬
brechen abschreckten, wohl aber ihn unwiderstehlich dazu brächten, sich recht
viel Kopfzerbrechen zu machen. Die Bücher, welches das im höchsten Grade
leisten, sind die Weltbücher, welche nicht ein Geschlecht, sondern zahlreiche
Geschlechterfolgen zu Lesern haben, und ihre Verfasser sind die wahren großen
Schriftsteller. Was nur "gemeinverständlich" ist, ist eigentlich für Jedermann
zu gemein. Wenn es ungeachtet der Gemeinverständlichkeit Geltung behalt,
so geschieht es durch die Nützlichkeit der Kenntnisse, die es vielleicht eine Zeit
lang verbreitet, oder durch die Reizmittel, mit denen es die Gemeinverständ¬
lichkeit würzt. Aber das baldige Sinken in die Vergessenheit ist das unver¬
meidliche Loos dieser Gemeinverständlichkeit.

Unsere Schrift nun will nützliche Kenntnisse verbreiten, und das thut
sie in zuverlässiger Weise mit derjenigen Faßlichkeit, welche die Sache erlaubt.
Davon ist also nichts auszusetzen. Wenn man aber die Gemeinverständlich¬
keit zum Motto macht, sollte man auch nicht vergessen, daß dieselbe noch et¬
was Anderes erfordert, als das Vermeiden schwerer Gedanken. Man darf
auch nicht zu viel Kenntnisse voraussetzen, und indem man diese Voraus¬
setzung meidet, kann man noch etwas Besseres erreichen als Gemeinverständ¬
lichkeit, nämlich künstlerischen Charakter. Die künstlerische Anschaulichkeit ge-


Seltenheit willen des Gedankens nicht leicht erwehren mag, daß mit einer
so ausgestatteten Schrift etwas Besonderes bezweckt sei. Diesen Gedanken
bestärkt das Vorwort, dessen Kürze nicht minder löblich ist, als die Eleganz
der Ausstattung. Das Vorwort will nur sagen, „daß die nachfolgenden
Blätter im gemeinverständlichen Sinne geschrieben, sich nicht an das gelehrte
Publikum wenden, daß aber die wissenschaftliche Grundlage durch die beson¬
ders gegebenen Belage gewahrt ist." Ein sonderbares Vorwort! Kann man
nicht gemeinverständlich schreiben, und doch das gelehrte Publikum in den
Leserkreis einschließen, den man anregen oder belehren will? Wir wären ver¬
sucht, dem gelehrten Herrn Verfasser ein Capitel aus der heute über Gebühr
vernachlässigten Logik vorzutragen, über den Unterschied von conträr und
contradiktorisch.

Wir haben noch gar nicht von dem Inhalt der Schrift gesprochen und
schon allerlei Ausstellungen gemacht. Wir beabsichtigen jedoch keine Neckerei,
und wollen erklären, daß die Schrift eine sehr dankenswerte Skizze bietet
über die Stellung des Staates, bezw. der Staaten, zu den Concilien bis
auf das Vaticanum von 1865 -70, Nur über das Beiwort „ gemeinverstäw
lich", eine Eigenschaft, die heute so viele Schriften erklären erstreben zu
wollen oder erstrebt zu haben, scheint noch eine kritische Bemerkung am Platze.
Unter „gemeinverständlich pflegt man heute zu begreifen, was der gebildete
oder auch nicht gebildete Mensch ohne Kopfzerbrechens lesen kann. Viel lieber
aber wären uns solche Bücher, welche den Leser zwar nicht durch Kopfzer¬
brechen abschreckten, wohl aber ihn unwiderstehlich dazu brächten, sich recht
viel Kopfzerbrechen zu machen. Die Bücher, welches das im höchsten Grade
leisten, sind die Weltbücher, welche nicht ein Geschlecht, sondern zahlreiche
Geschlechterfolgen zu Lesern haben, und ihre Verfasser sind die wahren großen
Schriftsteller. Was nur „gemeinverständlich" ist, ist eigentlich für Jedermann
zu gemein. Wenn es ungeachtet der Gemeinverständlichkeit Geltung behalt,
so geschieht es durch die Nützlichkeit der Kenntnisse, die es vielleicht eine Zeit
lang verbreitet, oder durch die Reizmittel, mit denen es die Gemeinverständ¬
lichkeit würzt. Aber das baldige Sinken in die Vergessenheit ist das unver¬
meidliche Loos dieser Gemeinverständlichkeit.

Unsere Schrift nun will nützliche Kenntnisse verbreiten, und das thut
sie in zuverlässiger Weise mit derjenigen Faßlichkeit, welche die Sache erlaubt.
Davon ist also nichts auszusetzen. Wenn man aber die Gemeinverständlich¬
keit zum Motto macht, sollte man auch nicht vergessen, daß dieselbe noch et¬
was Anderes erfordert, als das Vermeiden schwerer Gedanken. Man darf
auch nicht zu viel Kenntnisse voraussetzen, und indem man diese Voraus¬
setzung meidet, kann man noch etwas Besseres erreichen als Gemeinverständ¬
lichkeit, nämlich künstlerischen Charakter. Die künstlerische Anschaulichkeit ge-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0083" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192886"/>
          <p xml:id="ID_228" prev="#ID_227"> Seltenheit willen des Gedankens nicht leicht erwehren mag, daß mit einer<lb/>
so ausgestatteten Schrift etwas Besonderes bezweckt sei. Diesen Gedanken<lb/>
bestärkt das Vorwort, dessen Kürze nicht minder löblich ist, als die Eleganz<lb/>
der Ausstattung. Das Vorwort will nur sagen, &#x201E;daß die nachfolgenden<lb/>
Blätter im gemeinverständlichen Sinne geschrieben, sich nicht an das gelehrte<lb/>
Publikum wenden, daß aber die wissenschaftliche Grundlage durch die beson¬<lb/>
ders gegebenen Belage gewahrt ist." Ein sonderbares Vorwort! Kann man<lb/>
nicht gemeinverständlich schreiben, und doch das gelehrte Publikum in den<lb/>
Leserkreis einschließen, den man anregen oder belehren will? Wir wären ver¬<lb/>
sucht, dem gelehrten Herrn Verfasser ein Capitel aus der heute über Gebühr<lb/>
vernachlässigten Logik vorzutragen, über den Unterschied von conträr und<lb/>
contradiktorisch.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_229"> Wir haben noch gar nicht von dem Inhalt der Schrift gesprochen und<lb/>
schon allerlei Ausstellungen gemacht. Wir beabsichtigen jedoch keine Neckerei,<lb/>
und wollen erklären, daß die Schrift eine sehr dankenswerte Skizze bietet<lb/>
über die Stellung des Staates, bezw. der Staaten, zu den Concilien bis<lb/>
auf das Vaticanum von 1865 -70, Nur über das Beiwort &#x201E; gemeinverstäw<lb/>
lich", eine Eigenschaft, die heute so viele Schriften erklären erstreben zu<lb/>
wollen oder erstrebt zu haben, scheint noch eine kritische Bemerkung am Platze.<lb/>
Unter &#x201E;gemeinverständlich pflegt man heute zu begreifen, was der gebildete<lb/>
oder auch nicht gebildete Mensch ohne Kopfzerbrechens lesen kann. Viel lieber<lb/>
aber wären uns solche Bücher, welche den Leser zwar nicht durch Kopfzer¬<lb/>
brechen abschreckten, wohl aber ihn unwiderstehlich dazu brächten, sich recht<lb/>
viel Kopfzerbrechen zu machen. Die Bücher, welches das im höchsten Grade<lb/>
leisten, sind die Weltbücher, welche nicht ein Geschlecht, sondern zahlreiche<lb/>
Geschlechterfolgen zu Lesern haben, und ihre Verfasser sind die wahren großen<lb/>
Schriftsteller. Was nur &#x201E;gemeinverständlich" ist, ist eigentlich für Jedermann<lb/>
zu gemein. Wenn es ungeachtet der Gemeinverständlichkeit Geltung behalt,<lb/>
so geschieht es durch die Nützlichkeit der Kenntnisse, die es vielleicht eine Zeit<lb/>
lang verbreitet, oder durch die Reizmittel, mit denen es die Gemeinverständ¬<lb/>
lichkeit würzt. Aber das baldige Sinken in die Vergessenheit ist das unver¬<lb/>
meidliche Loos dieser Gemeinverständlichkeit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_230" next="#ID_231"> Unsere Schrift nun will nützliche Kenntnisse verbreiten, und das thut<lb/>
sie in zuverlässiger Weise mit derjenigen Faßlichkeit, welche die Sache erlaubt.<lb/>
Davon ist also nichts auszusetzen. Wenn man aber die Gemeinverständlich¬<lb/>
keit zum Motto macht, sollte man auch nicht vergessen, daß dieselbe noch et¬<lb/>
was Anderes erfordert, als das Vermeiden schwerer Gedanken. Man darf<lb/>
auch nicht zu viel Kenntnisse voraussetzen, und indem man diese Voraus¬<lb/>
setzung meidet, kann man noch etwas Besseres erreichen als Gemeinverständ¬<lb/>
lichkeit, nämlich künstlerischen Charakter. Die künstlerische Anschaulichkeit ge-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0083] Seltenheit willen des Gedankens nicht leicht erwehren mag, daß mit einer so ausgestatteten Schrift etwas Besonderes bezweckt sei. Diesen Gedanken bestärkt das Vorwort, dessen Kürze nicht minder löblich ist, als die Eleganz der Ausstattung. Das Vorwort will nur sagen, „daß die nachfolgenden Blätter im gemeinverständlichen Sinne geschrieben, sich nicht an das gelehrte Publikum wenden, daß aber die wissenschaftliche Grundlage durch die beson¬ ders gegebenen Belage gewahrt ist." Ein sonderbares Vorwort! Kann man nicht gemeinverständlich schreiben, und doch das gelehrte Publikum in den Leserkreis einschließen, den man anregen oder belehren will? Wir wären ver¬ sucht, dem gelehrten Herrn Verfasser ein Capitel aus der heute über Gebühr vernachlässigten Logik vorzutragen, über den Unterschied von conträr und contradiktorisch. Wir haben noch gar nicht von dem Inhalt der Schrift gesprochen und schon allerlei Ausstellungen gemacht. Wir beabsichtigen jedoch keine Neckerei, und wollen erklären, daß die Schrift eine sehr dankenswerte Skizze bietet über die Stellung des Staates, bezw. der Staaten, zu den Concilien bis auf das Vaticanum von 1865 -70, Nur über das Beiwort „ gemeinverstäw lich", eine Eigenschaft, die heute so viele Schriften erklären erstreben zu wollen oder erstrebt zu haben, scheint noch eine kritische Bemerkung am Platze. Unter „gemeinverständlich pflegt man heute zu begreifen, was der gebildete oder auch nicht gebildete Mensch ohne Kopfzerbrechens lesen kann. Viel lieber aber wären uns solche Bücher, welche den Leser zwar nicht durch Kopfzer¬ brechen abschreckten, wohl aber ihn unwiderstehlich dazu brächten, sich recht viel Kopfzerbrechen zu machen. Die Bücher, welches das im höchsten Grade leisten, sind die Weltbücher, welche nicht ein Geschlecht, sondern zahlreiche Geschlechterfolgen zu Lesern haben, und ihre Verfasser sind die wahren großen Schriftsteller. Was nur „gemeinverständlich" ist, ist eigentlich für Jedermann zu gemein. Wenn es ungeachtet der Gemeinverständlichkeit Geltung behalt, so geschieht es durch die Nützlichkeit der Kenntnisse, die es vielleicht eine Zeit lang verbreitet, oder durch die Reizmittel, mit denen es die Gemeinverständ¬ lichkeit würzt. Aber das baldige Sinken in die Vergessenheit ist das unver¬ meidliche Loos dieser Gemeinverständlichkeit. Unsere Schrift nun will nützliche Kenntnisse verbreiten, und das thut sie in zuverlässiger Weise mit derjenigen Faßlichkeit, welche die Sache erlaubt. Davon ist also nichts auszusetzen. Wenn man aber die Gemeinverständlich¬ keit zum Motto macht, sollte man auch nicht vergessen, daß dieselbe noch et¬ was Anderes erfordert, als das Vermeiden schwerer Gedanken. Man darf auch nicht zu viel Kenntnisse voraussetzen, und indem man diese Voraus¬ setzung meidet, kann man noch etwas Besseres erreichen als Gemeinverständ¬ lichkeit, nämlich künstlerischen Charakter. Die künstlerische Anschaulichkeit ge-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/83
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/83>, abgerufen am 06.02.2025.