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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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undzwcmzig Stunden lang durch einen Federkiel zu mir nehmen. Sie scharf
ten mir die Zähne so sehr, daß ich mich mit ihnen hätte barbieren können,
und gaben ihnen einen pelzigen Ueberzug, von dem ich fürchtete, er werde
nicht wieder weggehen. Aber ein Bürger der Stadt sagte mir: "Nein, es
geht wieder ab, wenn die Glasur abgeht", was jedenfalls tröstlich war. Ich
fand später, daß nur Fremde Tamarinden essen, und zwar nur ein Mal.

In meinen Aufzeichnungen von unserem dritten Tage in Honolulu finde
ich Folgendes:

Heute Abend bin ich wahrscheinlich der reizbarste Mensch in ganz Hawai,
vorzüglich wenn ich mich in Beisein von Leuten setze, denen es besser geht
wie mir. Ich bin seit fünf Uhr Nachmittags fünfzehn oder zwanzig Meilen
geritten, und um ehrlich die Wahrheit herauszusagen, ich habe meine Be¬
denken, ob ich mich überhaupt setzen soll.

Wir hatten heute einen Ausflug nach dem Diamond Heard und den
Kokusnußhain des Königs verabredet. Die Zeit sollte halb fünf Uhr Nach¬
mittags sein, die Gesellschaft aus einem halben Dutzend Herren und drei
Damen bestehen. Die brachen allesammt zur festgesetzten Stunde auf, nur
ich nicht. Ich war im Staatsgefängniß mit Kapitän Fish und einem an¬
deren Schiffer von einem Walfischfahrer, Kapitän Phillips und versenkte mich
mit solchem Interesse in seine Betrachtung, daß ich nicht merkte, wie rasch
die Zeit verging. Jemand bemerkte, daß es zwanzig Minuten über fünf sei.
und das weckte mich. Glücklicher Weise traf sich's, daß Kapitän Phillips
mit seinem "Turm out" zur Hand war, wie er eine gedeckte Kalesche nennt,
die Kapitän Cook im Jahre 1778 hierher brachte, und ein Roß davor ge-
spannt hatte, welches auch schon existirte, als Cook vor circa drei und achtzig
Jahren hier landete. Kapitän Phillips ist mit Recht stolz auf sein Fahren
und auf die Schnelligkeit seines Pferdes, und seiner Leidenschaft für die Ent¬
wicklung dieser Eigenschaften danke ich es, wenn wir nur sechzehn Minuten
brauchten, um von dem Gefängniß bis zum Americain Hotel zu gelangen --
eine Strecke, die auf mehr als eine englische Meile geschätzt wurde. Aber es
war eine fürchterliche Fahrt. Die Peitsche des Kapitäns sauste rasch und
immer rascher nieder, und seine Hiebe klopften aus der Haut des Gaules so
viel Staub, daß wir in der letzten Hälfte der Reise durch einen undurchdring¬
lichen Nebel fuhren und nach einem Taschenkompaß in den Händen des Ka¬
pitäns Fish steuerten, eines Walfischfahrers von sechsundzwanzigjähnger Er¬
fahrung, der während der gefahrvollen Fahrt so gleichmüthig da saß, wie wenn
er auf dem Hinterdeck seines Schiffes gewesen wäre, und ruhig von Zeit zu
Zeit sagte: "Gerad halten übern Klüverbaum. Gerad halten" -- "Ein bischen
lockerlassen -- fest - so" und "Luv. stramm hin nach Steuerbord", und niemals
seine Geistesgegenwart verlor oder durch Stimme oder Miene die geringste


undzwcmzig Stunden lang durch einen Federkiel zu mir nehmen. Sie scharf
ten mir die Zähne so sehr, daß ich mich mit ihnen hätte barbieren können,
und gaben ihnen einen pelzigen Ueberzug, von dem ich fürchtete, er werde
nicht wieder weggehen. Aber ein Bürger der Stadt sagte mir: „Nein, es
geht wieder ab, wenn die Glasur abgeht", was jedenfalls tröstlich war. Ich
fand später, daß nur Fremde Tamarinden essen, und zwar nur ein Mal.

In meinen Aufzeichnungen von unserem dritten Tage in Honolulu finde
ich Folgendes:

Heute Abend bin ich wahrscheinlich der reizbarste Mensch in ganz Hawai,
vorzüglich wenn ich mich in Beisein von Leuten setze, denen es besser geht
wie mir. Ich bin seit fünf Uhr Nachmittags fünfzehn oder zwanzig Meilen
geritten, und um ehrlich die Wahrheit herauszusagen, ich habe meine Be¬
denken, ob ich mich überhaupt setzen soll.

Wir hatten heute einen Ausflug nach dem Diamond Heard und den
Kokusnußhain des Königs verabredet. Die Zeit sollte halb fünf Uhr Nach¬
mittags sein, die Gesellschaft aus einem halben Dutzend Herren und drei
Damen bestehen. Die brachen allesammt zur festgesetzten Stunde auf, nur
ich nicht. Ich war im Staatsgefängniß mit Kapitän Fish und einem an¬
deren Schiffer von einem Walfischfahrer, Kapitän Phillips und versenkte mich
mit solchem Interesse in seine Betrachtung, daß ich nicht merkte, wie rasch
die Zeit verging. Jemand bemerkte, daß es zwanzig Minuten über fünf sei.
und das weckte mich. Glücklicher Weise traf sich's, daß Kapitän Phillips
mit seinem „Turm out" zur Hand war, wie er eine gedeckte Kalesche nennt,
die Kapitän Cook im Jahre 1778 hierher brachte, und ein Roß davor ge-
spannt hatte, welches auch schon existirte, als Cook vor circa drei und achtzig
Jahren hier landete. Kapitän Phillips ist mit Recht stolz auf sein Fahren
und auf die Schnelligkeit seines Pferdes, und seiner Leidenschaft für die Ent¬
wicklung dieser Eigenschaften danke ich es, wenn wir nur sechzehn Minuten
brauchten, um von dem Gefängniß bis zum Americain Hotel zu gelangen —
eine Strecke, die auf mehr als eine englische Meile geschätzt wurde. Aber es
war eine fürchterliche Fahrt. Die Peitsche des Kapitäns sauste rasch und
immer rascher nieder, und seine Hiebe klopften aus der Haut des Gaules so
viel Staub, daß wir in der letzten Hälfte der Reise durch einen undurchdring¬
lichen Nebel fuhren und nach einem Taschenkompaß in den Händen des Ka¬
pitäns Fish steuerten, eines Walfischfahrers von sechsundzwanzigjähnger Er¬
fahrung, der während der gefahrvollen Fahrt so gleichmüthig da saß, wie wenn
er auf dem Hinterdeck seines Schiffes gewesen wäre, und ruhig von Zeit zu
Zeit sagte: „Gerad halten übern Klüverbaum. Gerad halten" — „Ein bischen
lockerlassen — fest - so" und „Luv. stramm hin nach Steuerbord", und niemals
seine Geistesgegenwart verlor oder durch Stimme oder Miene die geringste


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/67>, abgerufen am 06.02.2025.