Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

durchsichtigen Gefängnisse unzählige Schattirungen und Grade der Verrenkung
annehmen. sah ich Katzen -- Kater, Marianenkatzen, langschwänzige Katzen,
stumpfschwänzige Katzen, blinde, einäugige, trübäugige, strichäugige Katzen,
graue, schwarze, weiße, gelbe, gestreifte, gefleckte Katzen, zahme und wilde
Katzen, versengte und lahme Katzen, einzelne Katzen, Gruppen von Katzen,
Pelotons, Compagnien, Regimenter, Armeen, Millionen von Katzen, und
alle von ihnen glatt, fett, faul und fest eingeschlafen.

Ich sah auf eine Menge Volkes, unter dem einige Weiße waren und
weiße Röcke, Westen, Beinkleider und selbst weiße Zeugschuhe anhatten, die
alle Morgen mit Kreide wieder schneeweiß gefärbt werden. Aber die Mehr¬
heit des Volkes war fast so schwarz wie die Neger. Weiber mit angenehmen
Zügen, schönen schwarzen Augen, runden, etwas wollüstigen Formen, ge¬
kleidet in ein einziges hellrothes oder weißes Gewand, das lose und umge-
gürtet von den Schultern bis zu den Fersen herabfiel, das lange schwarze
Haar ungeflochten über den Rücken hinabfließend, breitrandige Hüte, bekränzt
mit natürlichen Blumen von brennendem Karmin, eine Menge dunkler Män¬
ner in verschiednen Anzügen, etliche, die nichts anhatten als einen zerknüll¬
tem Ofenrohr-Hut, der bis aus die Nase herabgezogen war, und eine sehr
dürftige Kniehose. Kinder endlich, die wie geräuchert aussahen und mit
nichts als Sonnenschein bekleidet waren -- in der That eine recht sauber
passende und malerische Tracht.

Statt Rüpel und Bummler, die an den Ecken stieren und gaunern, sah ich
langhaarige, lederfarbne Jungfrauen der Inseln im Schatten von Eck¬
häusern auf dem Erdboden fitzen und gleichgültig auf das blicken, was
in der Straße erschien oder geschah. Statt auf schlecht geflickten Pflaster,
schritt ich auf festem Grunde von Korallen hin. der von dem einfälti¬
gen, aber beharrlichen Gewürm dieses Namens vom Boden der See
herausgebaut worden ist und eine dünne Schicht von Lava und Asche auf sich
liegen hat, welche aus unergründlichen Höllengebiet vor langen Jahren durch
jenen zerklüfteten und geschwärzten Kraterschlund herausgeschleudert worden
sind, der jetzt' todt und harmlos in der Ferne steht. Statt vollgestopfter
und gepfropfter Omnibusse begegne ich dunkelbraunen Frauen der Eingebornen.
die auf flüchtigen Rossen, nach Art der Männer reitend, frei wie der Wind
vorübersegelt, wobei ihnen bunte Reitgürtel wie Banner nachflattern. Statt
des zusammengeflossnen Gestanks von Chinesenthum und Kuttelhofthum der
Brannanstraße athmete ich den balsamischen Duft von Jasmin, Oleander
und Pride of Jndia. Statt in dem hastigen Gewühl und dem lärmenden
Gewirr San Franeiscos schritt ich inmitten einer sommerlichen Ruhe so still
wie die Morgendämmerung im Garten Eden hin. Statt der die goldne Stadt
umgürtenden Sandhügel und der ruhigen Bucht sah ich auf der einen Seite
'


Grenzboten 1873. tu. ^

durchsichtigen Gefängnisse unzählige Schattirungen und Grade der Verrenkung
annehmen. sah ich Katzen — Kater, Marianenkatzen, langschwänzige Katzen,
stumpfschwänzige Katzen, blinde, einäugige, trübäugige, strichäugige Katzen,
graue, schwarze, weiße, gelbe, gestreifte, gefleckte Katzen, zahme und wilde
Katzen, versengte und lahme Katzen, einzelne Katzen, Gruppen von Katzen,
Pelotons, Compagnien, Regimenter, Armeen, Millionen von Katzen, und
alle von ihnen glatt, fett, faul und fest eingeschlafen.

Ich sah auf eine Menge Volkes, unter dem einige Weiße waren und
weiße Röcke, Westen, Beinkleider und selbst weiße Zeugschuhe anhatten, die
alle Morgen mit Kreide wieder schneeweiß gefärbt werden. Aber die Mehr¬
heit des Volkes war fast so schwarz wie die Neger. Weiber mit angenehmen
Zügen, schönen schwarzen Augen, runden, etwas wollüstigen Formen, ge¬
kleidet in ein einziges hellrothes oder weißes Gewand, das lose und umge-
gürtet von den Schultern bis zu den Fersen herabfiel, das lange schwarze
Haar ungeflochten über den Rücken hinabfließend, breitrandige Hüte, bekränzt
mit natürlichen Blumen von brennendem Karmin, eine Menge dunkler Män¬
ner in verschiednen Anzügen, etliche, die nichts anhatten als einen zerknüll¬
tem Ofenrohr-Hut, der bis aus die Nase herabgezogen war, und eine sehr
dürftige Kniehose. Kinder endlich, die wie geräuchert aussahen und mit
nichts als Sonnenschein bekleidet waren — in der That eine recht sauber
passende und malerische Tracht.

Statt Rüpel und Bummler, die an den Ecken stieren und gaunern, sah ich
langhaarige, lederfarbne Jungfrauen der Inseln im Schatten von Eck¬
häusern auf dem Erdboden fitzen und gleichgültig auf das blicken, was
in der Straße erschien oder geschah. Statt auf schlecht geflickten Pflaster,
schritt ich auf festem Grunde von Korallen hin. der von dem einfälti¬
gen, aber beharrlichen Gewürm dieses Namens vom Boden der See
herausgebaut worden ist und eine dünne Schicht von Lava und Asche auf sich
liegen hat, welche aus unergründlichen Höllengebiet vor langen Jahren durch
jenen zerklüfteten und geschwärzten Kraterschlund herausgeschleudert worden
sind, der jetzt' todt und harmlos in der Ferne steht. Statt vollgestopfter
und gepfropfter Omnibusse begegne ich dunkelbraunen Frauen der Eingebornen.
die auf flüchtigen Rossen, nach Art der Männer reitend, frei wie der Wind
vorübersegelt, wobei ihnen bunte Reitgürtel wie Banner nachflattern. Statt
des zusammengeflossnen Gestanks von Chinesenthum und Kuttelhofthum der
Brannanstraße athmete ich den balsamischen Duft von Jasmin, Oleander
und Pride of Jndia. Statt in dem hastigen Gewühl und dem lärmenden
Gewirr San Franeiscos schritt ich inmitten einer sommerlichen Ruhe so still
wie die Morgendämmerung im Garten Eden hin. Statt der die goldne Stadt
umgürtenden Sandhügel und der ruhigen Bucht sah ich auf der einen Seite
'


Grenzboten 1873. tu. ^
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0065" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192868"/>
            <p xml:id="ID_167" prev="#ID_166"> durchsichtigen Gefängnisse unzählige Schattirungen und Grade der Verrenkung<lb/>
annehmen. sah ich Katzen &#x2014; Kater, Marianenkatzen, langschwänzige Katzen,<lb/>
stumpfschwänzige Katzen, blinde, einäugige, trübäugige, strichäugige Katzen,<lb/>
graue, schwarze, weiße, gelbe, gestreifte, gefleckte Katzen, zahme und wilde<lb/>
Katzen, versengte und lahme Katzen, einzelne Katzen, Gruppen von Katzen,<lb/>
Pelotons, Compagnien, Regimenter, Armeen, Millionen von Katzen, und<lb/>
alle von ihnen glatt, fett, faul und fest eingeschlafen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_168"> Ich sah auf eine Menge Volkes, unter dem einige Weiße waren und<lb/>
weiße Röcke, Westen, Beinkleider und selbst weiße Zeugschuhe anhatten, die<lb/>
alle Morgen mit Kreide wieder schneeweiß gefärbt werden. Aber die Mehr¬<lb/>
heit des Volkes war fast so schwarz wie die Neger. Weiber mit angenehmen<lb/>
Zügen, schönen schwarzen Augen, runden, etwas wollüstigen Formen, ge¬<lb/>
kleidet in ein einziges hellrothes oder weißes Gewand, das lose und umge-<lb/>
gürtet von den Schultern bis zu den Fersen herabfiel, das lange schwarze<lb/>
Haar ungeflochten über den Rücken hinabfließend, breitrandige Hüte, bekränzt<lb/>
mit natürlichen Blumen von brennendem Karmin, eine Menge dunkler Män¬<lb/>
ner in verschiednen Anzügen, etliche, die nichts anhatten als einen zerknüll¬<lb/>
tem Ofenrohr-Hut, der bis aus die Nase herabgezogen war, und eine sehr<lb/>
dürftige Kniehose. Kinder endlich, die wie geräuchert aussahen und mit<lb/>
nichts als Sonnenschein bekleidet waren &#x2014; in der That eine recht sauber<lb/>
passende und malerische Tracht.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_169" next="#ID_170"> Statt Rüpel und Bummler, die an den Ecken stieren und gaunern, sah ich<lb/>
langhaarige, lederfarbne Jungfrauen der Inseln im Schatten von Eck¬<lb/>
häusern auf dem Erdboden fitzen und gleichgültig auf das blicken, was<lb/>
in der Straße erschien oder geschah. Statt auf schlecht geflickten Pflaster,<lb/>
schritt ich auf festem Grunde von Korallen hin. der von dem einfälti¬<lb/>
gen, aber beharrlichen Gewürm dieses Namens vom Boden der See<lb/>
herausgebaut worden ist und eine dünne Schicht von Lava und Asche auf sich<lb/>
liegen hat, welche aus unergründlichen Höllengebiet vor langen Jahren durch<lb/>
jenen zerklüfteten und geschwärzten Kraterschlund herausgeschleudert worden<lb/>
sind, der jetzt' todt und harmlos in der Ferne steht. Statt vollgestopfter<lb/>
und gepfropfter Omnibusse begegne ich dunkelbraunen Frauen der Eingebornen.<lb/>
die auf flüchtigen Rossen, nach Art der Männer reitend, frei wie der Wind<lb/>
vorübersegelt, wobei ihnen bunte Reitgürtel wie Banner nachflattern. Statt<lb/>
des zusammengeflossnen Gestanks von Chinesenthum und Kuttelhofthum der<lb/>
Brannanstraße athmete ich den balsamischen Duft von Jasmin, Oleander<lb/>
und Pride of Jndia. Statt in dem hastigen Gewühl und dem lärmenden<lb/>
Gewirr San Franeiscos schritt ich inmitten einer sommerlichen Ruhe so still<lb/>
wie die Morgendämmerung im Garten Eden hin. Statt der die goldne Stadt<lb/>
umgürtenden Sandhügel und der ruhigen Bucht sah ich auf der einen Seite<lb/>
'</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten 1873. tu. ^</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0065] durchsichtigen Gefängnisse unzählige Schattirungen und Grade der Verrenkung annehmen. sah ich Katzen — Kater, Marianenkatzen, langschwänzige Katzen, stumpfschwänzige Katzen, blinde, einäugige, trübäugige, strichäugige Katzen, graue, schwarze, weiße, gelbe, gestreifte, gefleckte Katzen, zahme und wilde Katzen, versengte und lahme Katzen, einzelne Katzen, Gruppen von Katzen, Pelotons, Compagnien, Regimenter, Armeen, Millionen von Katzen, und alle von ihnen glatt, fett, faul und fest eingeschlafen. Ich sah auf eine Menge Volkes, unter dem einige Weiße waren und weiße Röcke, Westen, Beinkleider und selbst weiße Zeugschuhe anhatten, die alle Morgen mit Kreide wieder schneeweiß gefärbt werden. Aber die Mehr¬ heit des Volkes war fast so schwarz wie die Neger. Weiber mit angenehmen Zügen, schönen schwarzen Augen, runden, etwas wollüstigen Formen, ge¬ kleidet in ein einziges hellrothes oder weißes Gewand, das lose und umge- gürtet von den Schultern bis zu den Fersen herabfiel, das lange schwarze Haar ungeflochten über den Rücken hinabfließend, breitrandige Hüte, bekränzt mit natürlichen Blumen von brennendem Karmin, eine Menge dunkler Män¬ ner in verschiednen Anzügen, etliche, die nichts anhatten als einen zerknüll¬ tem Ofenrohr-Hut, der bis aus die Nase herabgezogen war, und eine sehr dürftige Kniehose. Kinder endlich, die wie geräuchert aussahen und mit nichts als Sonnenschein bekleidet waren — in der That eine recht sauber passende und malerische Tracht. Statt Rüpel und Bummler, die an den Ecken stieren und gaunern, sah ich langhaarige, lederfarbne Jungfrauen der Inseln im Schatten von Eck¬ häusern auf dem Erdboden fitzen und gleichgültig auf das blicken, was in der Straße erschien oder geschah. Statt auf schlecht geflickten Pflaster, schritt ich auf festem Grunde von Korallen hin. der von dem einfälti¬ gen, aber beharrlichen Gewürm dieses Namens vom Boden der See herausgebaut worden ist und eine dünne Schicht von Lava und Asche auf sich liegen hat, welche aus unergründlichen Höllengebiet vor langen Jahren durch jenen zerklüfteten und geschwärzten Kraterschlund herausgeschleudert worden sind, der jetzt' todt und harmlos in der Ferne steht. Statt vollgestopfter und gepfropfter Omnibusse begegne ich dunkelbraunen Frauen der Eingebornen. die auf flüchtigen Rossen, nach Art der Männer reitend, frei wie der Wind vorübersegelt, wobei ihnen bunte Reitgürtel wie Banner nachflattern. Statt des zusammengeflossnen Gestanks von Chinesenthum und Kuttelhofthum der Brannanstraße athmete ich den balsamischen Duft von Jasmin, Oleander und Pride of Jndia. Statt in dem hastigen Gewühl und dem lärmenden Gewirr San Franeiscos schritt ich inmitten einer sommerlichen Ruhe so still wie die Morgendämmerung im Garten Eden hin. Statt der die goldne Stadt umgürtenden Sandhügel und der ruhigen Bucht sah ich auf der einen Seite ' Grenzboten 1873. tu. ^

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/65
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/65>, abgerufen am 06.02.2025.