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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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ist also das Land der kalten Nebel im Norden oder auch in den unterirdischen
Klüften. Wird Nibelheim als Nordland und Sitz der Kälte gedacht, so er¬
scheinen seine Bewohner als Riesen. Wird es als unterirdisches Reich ge-
dacht, so erscheinen seine Bewohner als Zwerge. Wir können hier nicht ent¬
scheiden, welcher Zug der eigentliche und ursprüngliche ist. Wagner nimmt
die Nibelungen als Zwerge und dehnt ihr unterirdisches Reich auch unter
den Rhein aus. Er leiht ihnen aber den Zug der Feindschaft gegen die
Lichtgötter und die von ihnen geschaffenen oder gezeugten Menschen, den die
Nebel-, Reif- und Frostriesen der personificirenden Naturanschauung in der
deutschen Mythologie als Feinde des blühenden Naturlebens tragen. Neben
diesen Nibelungenzwergen führt Wagner noch andere Elementargeister ein,
die Rheintöchter, welche das Gold des Rheines hüten. Das Gold wurde als
Eigenthum der Flüsse gedacht, sei es, weil der Goldstaub darin gefunden wurde,
oder wegen des Goldglanzes, den das Wasser namentlich beim Mondlicht
ausstrahlt. Daß auf dem Besitz des Goldes ein Fluch lastet, hebt die deut¬
sche Mythologie in ihrem Tiefsinn sehr früh hervor. Aller dieser Züge nun
bemächtigt sich Wagner, um sie poetisch und geistreich zu verbinden. Das
Gold ist in der Hut indifferenter, muthwilliger Elementargeister. Ihnen ent¬
reißt es das Haupt der Nibelungenzwerge. Die Macht des Goldes aber --
und diesen Zug scheint Wagner im Geist des Mythus hinzugedichtet zu
haben -- bewährt sich nur in einer lieblosen Hand. Als der Zwerg diese
Eigenschaft des Goldes kennt, entsagt er der Liebe und weiß den Schwur zu
halten. Allmächtige Waffen ersinnt er sich und läßt sie aus dem Golde
schmieden. So wäre der Zwerg allmächtig in der Welt, aber er hat das
Gold geraubt und noch beherrschen die Welt Recht und Schranke, eingeschrieben
auf Wotans Speer, mittelst welches der oberste der Lichtgötter der Weltge¬
schicke waltet. Aber dieser Obere des Lichtreiches hat zur Erhöhung und
Sicherung seiner Macht eine Götterburg aufführen lassen durch Riesen, denen
er zum Lohne die Göttin versprochen, welche dem Götterreich die ewige Ju¬
gend spendet. Schon schwindet die Jugend den Göttern, als die Spenderin
von den Riesen davongetragen wird. Aber die Riesen hören von dem Schatz,
den der Nibelung erworben, und wollen die Jugendgöttin herausgeben, wenn
ihnen Wotan den Schatz überläßt, dessen unrechtmäßigen Besitz der Nibelung
sich durch List abnehmen lassen muß! Gäbe Wotan das Gold den Rhein¬
töchtern zurück, so wären die Schranken der Welt und die Fortdauer seiner
eignen Herrschaft gesichert. Nun aber überläßt er das Gold den beiden Nie¬
sen, um Freia und mit ihr die ewige Jugend für sich und die Seinen zurück¬
zuerhalten. Die Riesen aber muß er befriedigen, weil er das thörichte Ver¬
langen nach der stolzen Burg gehegt, die mehr seinem Uebermuth dient, als
eine Stütze seiner Herrschaft ist. Die Riesen kämpfen sogleich um den Allein-


ist also das Land der kalten Nebel im Norden oder auch in den unterirdischen
Klüften. Wird Nibelheim als Nordland und Sitz der Kälte gedacht, so er¬
scheinen seine Bewohner als Riesen. Wird es als unterirdisches Reich ge-
dacht, so erscheinen seine Bewohner als Zwerge. Wir können hier nicht ent¬
scheiden, welcher Zug der eigentliche und ursprüngliche ist. Wagner nimmt
die Nibelungen als Zwerge und dehnt ihr unterirdisches Reich auch unter
den Rhein aus. Er leiht ihnen aber den Zug der Feindschaft gegen die
Lichtgötter und die von ihnen geschaffenen oder gezeugten Menschen, den die
Nebel-, Reif- und Frostriesen der personificirenden Naturanschauung in der
deutschen Mythologie als Feinde des blühenden Naturlebens tragen. Neben
diesen Nibelungenzwergen führt Wagner noch andere Elementargeister ein,
die Rheintöchter, welche das Gold des Rheines hüten. Das Gold wurde als
Eigenthum der Flüsse gedacht, sei es, weil der Goldstaub darin gefunden wurde,
oder wegen des Goldglanzes, den das Wasser namentlich beim Mondlicht
ausstrahlt. Daß auf dem Besitz des Goldes ein Fluch lastet, hebt die deut¬
sche Mythologie in ihrem Tiefsinn sehr früh hervor. Aller dieser Züge nun
bemächtigt sich Wagner, um sie poetisch und geistreich zu verbinden. Das
Gold ist in der Hut indifferenter, muthwilliger Elementargeister. Ihnen ent¬
reißt es das Haupt der Nibelungenzwerge. Die Macht des Goldes aber —
und diesen Zug scheint Wagner im Geist des Mythus hinzugedichtet zu
haben — bewährt sich nur in einer lieblosen Hand. Als der Zwerg diese
Eigenschaft des Goldes kennt, entsagt er der Liebe und weiß den Schwur zu
halten. Allmächtige Waffen ersinnt er sich und läßt sie aus dem Golde
schmieden. So wäre der Zwerg allmächtig in der Welt, aber er hat das
Gold geraubt und noch beherrschen die Welt Recht und Schranke, eingeschrieben
auf Wotans Speer, mittelst welches der oberste der Lichtgötter der Weltge¬
schicke waltet. Aber dieser Obere des Lichtreiches hat zur Erhöhung und
Sicherung seiner Macht eine Götterburg aufführen lassen durch Riesen, denen
er zum Lohne die Göttin versprochen, welche dem Götterreich die ewige Ju¬
gend spendet. Schon schwindet die Jugend den Göttern, als die Spenderin
von den Riesen davongetragen wird. Aber die Riesen hören von dem Schatz,
den der Nibelung erworben, und wollen die Jugendgöttin herausgeben, wenn
ihnen Wotan den Schatz überläßt, dessen unrechtmäßigen Besitz der Nibelung
sich durch List abnehmen lassen muß! Gäbe Wotan das Gold den Rhein¬
töchtern zurück, so wären die Schranken der Welt und die Fortdauer seiner
eignen Herrschaft gesichert. Nun aber überläßt er das Gold den beiden Nie¬
sen, um Freia und mit ihr die ewige Jugend für sich und die Seinen zurück¬
zuerhalten. Die Riesen aber muß er befriedigen, weil er das thörichte Ver¬
langen nach der stolzen Burg gehegt, die mehr seinem Uebermuth dient, als
eine Stütze seiner Herrschaft ist. Die Riesen kämpfen sogleich um den Allein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/464>, abgerufen am 06.02.2025.