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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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ganz" Land. Eine Pfarrei nach der andern kam an die Reihe. Jede Kirche
mühte ihr himmelhohes Missionskreuz (zu all dem Kreuz, das wir bereits
hatten) erhalten. Die Herren Pastöre und Bürgermeister suchten sich einander
dabei zu überbieten. Eine jede Gemeinde, eine jede Pfarrei wollte das größte
und kostbarste Missionskreuz haben. Aber das beste bei den Missionen wa¬
ren die achttägigen frommen Uebungen, vor Allem die fürchterlich schö¬
nen Predigten der Herren Patres über "die vier letzten Dinge des
Menschen", nach Pater von Cochem, gruseligen Andenkens. Bei diesen
Predigten geriethen alle schwachen Köpfe in Verwirrung. Alte und junge
Werber brachten es sogar bis zum Delirium. Hier schnitt sich eine noch
junge Frau, Mutter von mehreren Kindern mit dem Rasirmesser ihres Man¬
nes den Hals ab, vermuthlich aus eitel Furcht vor dem Bösen, den ihr die
Herren Patres mit so entsetzlichen Farben in ihren Predigten geschildert hat¬
ten. Dort ließ eine andere Hausfrau, Mutter vieler Kinder, ihren Haushalt
Haushalt sein, und lief den ganzen Tag nach allen Kirchen der Umgegend,
aus der einen in die andere. Mit einem Wort die Weiber wurden von den
Missionspredigten total verwirrt. Was die Kanzel bei gesundem Verstände
ließ, das bekam im Beichtstuhl seinen Theil. Das Gerücht erzählt haarsträu¬
bende Geschichten, die sich im Beichtstuhl zugetragen haben sollen. Die Ju¬
gend soll hier auf eine Weise zur Erkenntniß des Guten und des Bösen (vor
Allem des Bösen) geführt worden sein, die jedem wohldenkenden Menschen
die Haare zu Berge treiben muß. Der Engel der Sittlichkeit verhüllte dabei
sein heiliges Antlitz und floh weinend nach den höheren Regionen zurück. --
Es ist wahrhaft grausenerregend, was hier geschal), um den Samen des Bö¬
sen, der Unsittlichkeit, das Gift der Seelen, unter den Massen zu verbreiten!
O! Die Herren Jesuiten wissen nur zu gut, daß sie ihre Herrschaft nur auf
die Unsittlichkeit, die Verderbtheit, die Verkommenheit der Massen gründen
können. Die Tugend der Völker ist ihr Untergang. -- Ferner wurden von
den Herren Patres, mit Genehmigung der Regierung, für die Geistlichen, die
Schullehrer und Lehrerinnen des Landes von Zeit zu Zeit sogenannte "Re-
traites", fromme geistliche Uebungen in Abgeschiedenheit, ausgeschrieben, und
wehe dem Armen, der es unterließ, diesen Uebungen beizuwohnen! Dieselben
schlössen mit einer Generalbeichte aller Theilnehmenden, und dem Genusse
des heiligen Altarssacramentes. Ein Lehrer, oder eine Lehrerin, die dem Rufe
der Jesuiten nicht Folge leisteten, waren die längste Zeit im Lehrfach thätig
gewesen. Ihr Pastor benutzte die allernächste Gelegenheit, oder brach sich
auch wohl diese Gelegenheit kurzweg vom Zaune, um den Unfolgsamen bei
einer hohen Obrigkeit zu verklagen, und die leiseste Klage genügte, um dem
Lehrer oder der Lehrerin den Garaus zu machen. So folgsam hörte unsere
damalige "liberale" Negierung auf das Wort unserer Geistlichkeit. --


ganz« Land. Eine Pfarrei nach der andern kam an die Reihe. Jede Kirche
mühte ihr himmelhohes Missionskreuz (zu all dem Kreuz, das wir bereits
hatten) erhalten. Die Herren Pastöre und Bürgermeister suchten sich einander
dabei zu überbieten. Eine jede Gemeinde, eine jede Pfarrei wollte das größte
und kostbarste Missionskreuz haben. Aber das beste bei den Missionen wa¬
ren die achttägigen frommen Uebungen, vor Allem die fürchterlich schö¬
nen Predigten der Herren Patres über „die vier letzten Dinge des
Menschen", nach Pater von Cochem, gruseligen Andenkens. Bei diesen
Predigten geriethen alle schwachen Köpfe in Verwirrung. Alte und junge
Werber brachten es sogar bis zum Delirium. Hier schnitt sich eine noch
junge Frau, Mutter von mehreren Kindern mit dem Rasirmesser ihres Man¬
nes den Hals ab, vermuthlich aus eitel Furcht vor dem Bösen, den ihr die
Herren Patres mit so entsetzlichen Farben in ihren Predigten geschildert hat¬
ten. Dort ließ eine andere Hausfrau, Mutter vieler Kinder, ihren Haushalt
Haushalt sein, und lief den ganzen Tag nach allen Kirchen der Umgegend,
aus der einen in die andere. Mit einem Wort die Weiber wurden von den
Missionspredigten total verwirrt. Was die Kanzel bei gesundem Verstände
ließ, das bekam im Beichtstuhl seinen Theil. Das Gerücht erzählt haarsträu¬
bende Geschichten, die sich im Beichtstuhl zugetragen haben sollen. Die Ju¬
gend soll hier auf eine Weise zur Erkenntniß des Guten und des Bösen (vor
Allem des Bösen) geführt worden sein, die jedem wohldenkenden Menschen
die Haare zu Berge treiben muß. Der Engel der Sittlichkeit verhüllte dabei
sein heiliges Antlitz und floh weinend nach den höheren Regionen zurück. —
Es ist wahrhaft grausenerregend, was hier geschal), um den Samen des Bö¬
sen, der Unsittlichkeit, das Gift der Seelen, unter den Massen zu verbreiten!
O! Die Herren Jesuiten wissen nur zu gut, daß sie ihre Herrschaft nur auf
die Unsittlichkeit, die Verderbtheit, die Verkommenheit der Massen gründen
können. Die Tugend der Völker ist ihr Untergang. — Ferner wurden von
den Herren Patres, mit Genehmigung der Regierung, für die Geistlichen, die
Schullehrer und Lehrerinnen des Landes von Zeit zu Zeit sogenannte „Re-
traites", fromme geistliche Uebungen in Abgeschiedenheit, ausgeschrieben, und
wehe dem Armen, der es unterließ, diesen Uebungen beizuwohnen! Dieselben
schlössen mit einer Generalbeichte aller Theilnehmenden, und dem Genusse
des heiligen Altarssacramentes. Ein Lehrer, oder eine Lehrerin, die dem Rufe
der Jesuiten nicht Folge leisteten, waren die längste Zeit im Lehrfach thätig
gewesen. Ihr Pastor benutzte die allernächste Gelegenheit, oder brach sich
auch wohl diese Gelegenheit kurzweg vom Zaune, um den Unfolgsamen bei
einer hohen Obrigkeit zu verklagen, und die leiseste Klage genügte, um dem
Lehrer oder der Lehrerin den Garaus zu machen. So folgsam hörte unsere
damalige „liberale" Negierung auf das Wort unserer Geistlichkeit. —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/430>, abgerufen am 06.02.2025.