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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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der Brautnacht überwundenen und für Günther gewonnenen Brunhilde ist
das Mythische bis auf die Heldentapferkeit der jungfräulichen Fürstin ver¬
wischt. Das Motiv der verschmähten oder gekränkten Liebe klingt bei Brun¬
hilde nur noch dunkel an. Nachdem sie, gekränkt in ihrem Stolz als vor¬
nehmste Königin, dazu beigetragen, Hagens Sippenneid zu entflammen, der
in der ritterlichen Umkleidung allerdings, wie wir gestehen müssen, nicht mehr
in ganzer unverwischter Deutlichkeit hervortritt, verschwindet sie als handelnde
Person aus der Dichtung. Das Alles mußte so sein in einem Gedicht, das
Krimhildes menschliche Rache, aber nicht Siegfrieds und Brunhildes Liebe,
ihren mythischen Ursprung und Ende zum Mittelpunkt hatte. Aber dieses
Gedicht hat gleichwohl dem Siegfried die bezaubernden Züge seiner Helden-
traft und die noch mehr bezaubernde Unschuld und Reinheit seines Wesens
gelassen. Damit ist erreicht, was für den Zweck dieser Dichtung zu erreichen
war: Kriemhildes Verwilderung und Rache, sowie die dämonische Größe,
in welcher sich aus dem natürlichen Liebreiz dieser Natur der Haß aufrichtet,
sind ausreichend motivirt durch die grausame Zerstörung des schönsten, rein¬
sten Glückes ihrer Hingebung an einen Heldencharakter, unvergleichlich durch
Unschuld, Macht und Adel.

Wir wissen übrigens sehr gut, daß schon die Edda in ihrer Gudrun die
Gestalt der deutschen Kriemhilde vorzeichnet, die aber freilich nicht zur Räche¬
rin ihres Gemahls, sondern zur Rächerin ihrer Brüder an ihrem zweiten
Gemahl wird. Mag die Umbildung dieser Gestalt nach und nach vor sich
gegangen sein aus der Rächerin der Nibelungen an Atli zu der Rächerin
Siegfrieds an den Nibelungen . durch Etzel- die wunderbare Ausführung
der Gestalt Kriemhildes und die einheitlich großartige Composition des Nibe¬
lungenliedes verrathen eine einzige Künstlerhand.

Die Schönheit des Nibelungenliedes, auf die wir nur allzu flüchtig hin¬
deuten konnten, außer Zweifel, so wäre wohl ohne das deutsche Nibelungen¬
lied das poetische Interesse an der ursprünglichen Gestalt der Siegfriedssage,
von der man ja gern zugeben kann, daß sie großartiger und bedeutungsvoller
ist, als die in das deutsche Nibelungenlied aufgenommenen, halb verwischten
Züge, niemals erwacht. Wir sprechen von dem poetischen Interesse, nicht von
dem wissenschaftlichen. Wenn nun Wagner behauptet, er sei der Erste gewe¬
sen, welcher durch feine im Jahre 1833 für engere Kreise veröffentlichte Dich¬
tung vom "Ring des Nibelungen" die poetische Fruchtbarkeit des Nibelungen¬
stoffes zur Anschauung gebracht habe, so befindet er sich im Irrthum. Wag¬
ner meint, vor ihm habe das nur Raupach, aber in ganz unzulänglicher
Weise unternommen. Allein, allerdings nach Raupach, aber fast zehn Jahre
vor Wagner, im Jahre 1844 schlug Frd. Th. Bischer, der bekannte Aesthe¬
tiker, das Nibelungenlied zu einer Oper vor in einem Band seiner "kritischen


der Brautnacht überwundenen und für Günther gewonnenen Brunhilde ist
das Mythische bis auf die Heldentapferkeit der jungfräulichen Fürstin ver¬
wischt. Das Motiv der verschmähten oder gekränkten Liebe klingt bei Brun¬
hilde nur noch dunkel an. Nachdem sie, gekränkt in ihrem Stolz als vor¬
nehmste Königin, dazu beigetragen, Hagens Sippenneid zu entflammen, der
in der ritterlichen Umkleidung allerdings, wie wir gestehen müssen, nicht mehr
in ganzer unverwischter Deutlichkeit hervortritt, verschwindet sie als handelnde
Person aus der Dichtung. Das Alles mußte so sein in einem Gedicht, das
Krimhildes menschliche Rache, aber nicht Siegfrieds und Brunhildes Liebe,
ihren mythischen Ursprung und Ende zum Mittelpunkt hatte. Aber dieses
Gedicht hat gleichwohl dem Siegfried die bezaubernden Züge seiner Helden-
traft und die noch mehr bezaubernde Unschuld und Reinheit seines Wesens
gelassen. Damit ist erreicht, was für den Zweck dieser Dichtung zu erreichen
war: Kriemhildes Verwilderung und Rache, sowie die dämonische Größe,
in welcher sich aus dem natürlichen Liebreiz dieser Natur der Haß aufrichtet,
sind ausreichend motivirt durch die grausame Zerstörung des schönsten, rein¬
sten Glückes ihrer Hingebung an einen Heldencharakter, unvergleichlich durch
Unschuld, Macht und Adel.

Wir wissen übrigens sehr gut, daß schon die Edda in ihrer Gudrun die
Gestalt der deutschen Kriemhilde vorzeichnet, die aber freilich nicht zur Räche¬
rin ihres Gemahls, sondern zur Rächerin ihrer Brüder an ihrem zweiten
Gemahl wird. Mag die Umbildung dieser Gestalt nach und nach vor sich
gegangen sein aus der Rächerin der Nibelungen an Atli zu der Rächerin
Siegfrieds an den Nibelungen . durch Etzel- die wunderbare Ausführung
der Gestalt Kriemhildes und die einheitlich großartige Composition des Nibe¬
lungenliedes verrathen eine einzige Künstlerhand.

Die Schönheit des Nibelungenliedes, auf die wir nur allzu flüchtig hin¬
deuten konnten, außer Zweifel, so wäre wohl ohne das deutsche Nibelungen¬
lied das poetische Interesse an der ursprünglichen Gestalt der Siegfriedssage,
von der man ja gern zugeben kann, daß sie großartiger und bedeutungsvoller
ist, als die in das deutsche Nibelungenlied aufgenommenen, halb verwischten
Züge, niemals erwacht. Wir sprechen von dem poetischen Interesse, nicht von
dem wissenschaftlichen. Wenn nun Wagner behauptet, er sei der Erste gewe¬
sen, welcher durch feine im Jahre 1833 für engere Kreise veröffentlichte Dich¬
tung vom „Ring des Nibelungen" die poetische Fruchtbarkeit des Nibelungen¬
stoffes zur Anschauung gebracht habe, so befindet er sich im Irrthum. Wag¬
ner meint, vor ihm habe das nur Raupach, aber in ganz unzulänglicher
Weise unternommen. Allein, allerdings nach Raupach, aber fast zehn Jahre
vor Wagner, im Jahre 1844 schlug Frd. Th. Bischer, der bekannte Aesthe¬
tiker, das Nibelungenlied zu einer Oper vor in einem Band seiner „kritischen


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[0420] der Brautnacht überwundenen und für Günther gewonnenen Brunhilde ist das Mythische bis auf die Heldentapferkeit der jungfräulichen Fürstin ver¬ wischt. Das Motiv der verschmähten oder gekränkten Liebe klingt bei Brun¬ hilde nur noch dunkel an. Nachdem sie, gekränkt in ihrem Stolz als vor¬ nehmste Königin, dazu beigetragen, Hagens Sippenneid zu entflammen, der in der ritterlichen Umkleidung allerdings, wie wir gestehen müssen, nicht mehr in ganzer unverwischter Deutlichkeit hervortritt, verschwindet sie als handelnde Person aus der Dichtung. Das Alles mußte so sein in einem Gedicht, das Krimhildes menschliche Rache, aber nicht Siegfrieds und Brunhildes Liebe, ihren mythischen Ursprung und Ende zum Mittelpunkt hatte. Aber dieses Gedicht hat gleichwohl dem Siegfried die bezaubernden Züge seiner Helden- traft und die noch mehr bezaubernde Unschuld und Reinheit seines Wesens gelassen. Damit ist erreicht, was für den Zweck dieser Dichtung zu erreichen war: Kriemhildes Verwilderung und Rache, sowie die dämonische Größe, in welcher sich aus dem natürlichen Liebreiz dieser Natur der Haß aufrichtet, sind ausreichend motivirt durch die grausame Zerstörung des schönsten, rein¬ sten Glückes ihrer Hingebung an einen Heldencharakter, unvergleichlich durch Unschuld, Macht und Adel. Wir wissen übrigens sehr gut, daß schon die Edda in ihrer Gudrun die Gestalt der deutschen Kriemhilde vorzeichnet, die aber freilich nicht zur Räche¬ rin ihres Gemahls, sondern zur Rächerin ihrer Brüder an ihrem zweiten Gemahl wird. Mag die Umbildung dieser Gestalt nach und nach vor sich gegangen sein aus der Rächerin der Nibelungen an Atli zu der Rächerin Siegfrieds an den Nibelungen . durch Etzel- die wunderbare Ausführung der Gestalt Kriemhildes und die einheitlich großartige Composition des Nibe¬ lungenliedes verrathen eine einzige Künstlerhand. Die Schönheit des Nibelungenliedes, auf die wir nur allzu flüchtig hin¬ deuten konnten, außer Zweifel, so wäre wohl ohne das deutsche Nibelungen¬ lied das poetische Interesse an der ursprünglichen Gestalt der Siegfriedssage, von der man ja gern zugeben kann, daß sie großartiger und bedeutungsvoller ist, als die in das deutsche Nibelungenlied aufgenommenen, halb verwischten Züge, niemals erwacht. Wir sprechen von dem poetischen Interesse, nicht von dem wissenschaftlichen. Wenn nun Wagner behauptet, er sei der Erste gewe¬ sen, welcher durch feine im Jahre 1833 für engere Kreise veröffentlichte Dich¬ tung vom „Ring des Nibelungen" die poetische Fruchtbarkeit des Nibelungen¬ stoffes zur Anschauung gebracht habe, so befindet er sich im Irrthum. Wag¬ ner meint, vor ihm habe das nur Raupach, aber in ganz unzulänglicher Weise unternommen. Allein, allerdings nach Raupach, aber fast zehn Jahre vor Wagner, im Jahre 1844 schlug Frd. Th. Bischer, der bekannte Aesthe¬ tiker, das Nibelungenlied zu einer Oper vor in einem Band seiner „kritischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/420>, abgerufen am 06.02.2025.