Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.gefolgt sei. Er verhält sich der Edda gegenüber frei schöpferisch, er entlehnt Gerade der Vergleich mit Wagners in ihrer Art so eigenthümlichen und gefolgt sei. Er verhält sich der Edda gegenüber frei schöpferisch, er entlehnt Gerade der Vergleich mit Wagners in ihrer Art so eigenthümlichen und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0418" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193221"/> <p xml:id="ID_1421" prev="#ID_1420"> gefolgt sei. Er verhält sich der Edda gegenüber frei schöpferisch, er entlehnt<lb/> ihr die meisten Züge seiner Dichtung, aber die Einheit und die poetischen<lb/> Bindeglieder sind von ihm gefunden, gleichviel ob wiedergefunden oder zuerst<lb/> gefunden. Zweitens wäre es sehr unrecht, das deutsche Nibelungenlied gegen<lb/> die von Wagner gefundene Verbindung der in der Edda überlieferten Sagen¬<lb/> züge in irgend einer Weise herabzusetzen. Denn wir haben die größte Ur¬<lb/> sache, auf dieses Epos stolz zu sein und es hoch zu halten. Das Nibelungen¬<lb/> lied fiel bald nach seiner Wiederentdeckung ausschließlich in die Hände der<lb/> Philologen, welche an ihm ihre bei den homerischen Gedichten gefundenen De-<lb/> compofitionsmethoden erprobten. Man könnte sich zu der Behauptung ver¬<lb/> sucht fühlen, daß in Folge dieses Schicksals der ästhetische Werth des deut¬<lb/> schen Epos noch nicht genügend gewürdigt, oder daß die Würdigung wenig¬<lb/> stens noch niemals gehörig in einen Brennpunkt gesammelt worden ist.<lb/> Wahr ist ja und bei der späten Zeit, in welche die in dem deutschen Nibe¬<lb/> lungenlied vorliegende künstlerische Redaction des Stoffes fällt, auch sehr<lb/> natürlich, daß ein verhältnißmäßig nur geringer Theil der deutschen Sagen¬<lb/> bildung in dasselbe Aufnahme gefunden hat und nur in einer der künstleri¬<lb/> schen Absicht des Verfassers gemäßen, von der ursprünglichen Gestalt weit<lb/> abliegenden Umformung. Aber diese Umformung hat nicht zu einer Ab<lb/> Schwächung des Stoffes nach fremdartigen Rücksichten, sondern zu einem eigen¬<lb/> thümlichen Werke von hoher Schönheit geführt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1422" next="#ID_1423"> Gerade der Vergleich mit Wagners in ihrer Art so eigenthümlichen und<lb/> poetisch wirksamen Behandlung des Stoffes ladet uns ein, auf die künstleri¬<lb/> sche Absicht des Nibelungenliedes mit wenigen Worten einzugehen. Zwei<lb/> Heldenpaare sind die Hauptpersonen dieses Gedichts, jedes Paar Mann und<lb/> Weib, in jedem Paar Mann gegen Weib entzweit: Siegfried und Brunhilde<lb/> entzweit durch einseitige Liebe; Hagen und Kriemhilde entzweit durch Rache<lb/> von Knemhildes Seite, von Hagens Seite durch ein Motiv, das wir später<lb/> nennen wollen. Es ist aber nicht möglich, in einem poetisch einheitlichen<lb/> Werk zwei Heldenpaare gleichmäßig in den Mittelpunkt der Wirkung zu stel¬<lb/> len. Vielmehr muß des einen Paares Geschichte und Schicksal zum poetischen<lb/> Mittel für die Darstellung des Hauptpaares werden. Das Hauptpaar sind<lb/> im deutschen Nibelungenlied Hagen und Kriemhilde, und von diesen zwei in<lb/> ihrer Feindschaft die ganze umgebende Welt begrabenden Hauptfiguren ist<lb/> wiederum Kriemhilde die poetisch mächtigere, die eigentliche Hauptfigur des<lb/> ganzen Liedes. Nach unserer Meinung, um diese Frage in kürzester Andeu¬<lb/> tung zu berühren, ist der Verfasser des deutschen Nibelungenliedes natürlich<lb/> nicht der Erfinder des gesammten verwendeten Stoffes, so wenig dies etwa<lb/> von Wagner gegenüber seiner Dichtung „Der Ring des Nibelungen" gesagt<lb/> werden will oder in Anspruch genommen wird. Aber der Verfasser des ni-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0418]
gefolgt sei. Er verhält sich der Edda gegenüber frei schöpferisch, er entlehnt
ihr die meisten Züge seiner Dichtung, aber die Einheit und die poetischen
Bindeglieder sind von ihm gefunden, gleichviel ob wiedergefunden oder zuerst
gefunden. Zweitens wäre es sehr unrecht, das deutsche Nibelungenlied gegen
die von Wagner gefundene Verbindung der in der Edda überlieferten Sagen¬
züge in irgend einer Weise herabzusetzen. Denn wir haben die größte Ur¬
sache, auf dieses Epos stolz zu sein und es hoch zu halten. Das Nibelungen¬
lied fiel bald nach seiner Wiederentdeckung ausschließlich in die Hände der
Philologen, welche an ihm ihre bei den homerischen Gedichten gefundenen De-
compofitionsmethoden erprobten. Man könnte sich zu der Behauptung ver¬
sucht fühlen, daß in Folge dieses Schicksals der ästhetische Werth des deut¬
schen Epos noch nicht genügend gewürdigt, oder daß die Würdigung wenig¬
stens noch niemals gehörig in einen Brennpunkt gesammelt worden ist.
Wahr ist ja und bei der späten Zeit, in welche die in dem deutschen Nibe¬
lungenlied vorliegende künstlerische Redaction des Stoffes fällt, auch sehr
natürlich, daß ein verhältnißmäßig nur geringer Theil der deutschen Sagen¬
bildung in dasselbe Aufnahme gefunden hat und nur in einer der künstleri¬
schen Absicht des Verfassers gemäßen, von der ursprünglichen Gestalt weit
abliegenden Umformung. Aber diese Umformung hat nicht zu einer Ab
Schwächung des Stoffes nach fremdartigen Rücksichten, sondern zu einem eigen¬
thümlichen Werke von hoher Schönheit geführt.
Gerade der Vergleich mit Wagners in ihrer Art so eigenthümlichen und
poetisch wirksamen Behandlung des Stoffes ladet uns ein, auf die künstleri¬
sche Absicht des Nibelungenliedes mit wenigen Worten einzugehen. Zwei
Heldenpaare sind die Hauptpersonen dieses Gedichts, jedes Paar Mann und
Weib, in jedem Paar Mann gegen Weib entzweit: Siegfried und Brunhilde
entzweit durch einseitige Liebe; Hagen und Kriemhilde entzweit durch Rache
von Knemhildes Seite, von Hagens Seite durch ein Motiv, das wir später
nennen wollen. Es ist aber nicht möglich, in einem poetisch einheitlichen
Werk zwei Heldenpaare gleichmäßig in den Mittelpunkt der Wirkung zu stel¬
len. Vielmehr muß des einen Paares Geschichte und Schicksal zum poetischen
Mittel für die Darstellung des Hauptpaares werden. Das Hauptpaar sind
im deutschen Nibelungenlied Hagen und Kriemhilde, und von diesen zwei in
ihrer Feindschaft die ganze umgebende Welt begrabenden Hauptfiguren ist
wiederum Kriemhilde die poetisch mächtigere, die eigentliche Hauptfigur des
ganzen Liedes. Nach unserer Meinung, um diese Frage in kürzester Andeu¬
tung zu berühren, ist der Verfasser des deutschen Nibelungenliedes natürlich
nicht der Erfinder des gesammten verwendeten Stoffes, so wenig dies etwa
von Wagner gegenüber seiner Dichtung „Der Ring des Nibelungen" gesagt
werden will oder in Anspruch genommen wird. Aber der Verfasser des ni-
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