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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Verwirrung folgte nun, und in den Revolten Mokannas glaubt Vambery eine
Reaction der Eingeborenen gegen die Unterdrücker zu erkennen, wenngleich zu¬
letzt der Mohammedanismus Sieger blieb.

Als aber die Macht der Chalifen sank, warf Transoxanien ihr entferntes
Joch ab und, wie so oft es in der asiatischen Geschichte sich ereignet, ein
Satrap wurde der unabhängige Herr des Landes. Unter einer Dynastie alt¬
iranischer Abstammung wurde Transoxanien wieder der Mittelpunkt einer
großen Monarchie und das Volk Bocharas erzählt sich heute noch davon,
wie ihre Stadt von Pracht und Luxus strahlte, als sie die Residenz des na¬
tionalen Hauses der Samaniden wurde. Nachdem diese Familie jedoch ein
oder zwei glänzende Herrscher hervorgebracht, verfiel auch sie der im Osten
wie ein Naturgesetz giltigen Regel; sie schwand wie ein Meteor und endigte
mit einem schwächen Fürsten, Muntazir (1004), der unter dem Dolche des
Mörders fiel.

Wir müssen hier rasch über die Zuckungen und Revolutionen Transoxaniens in
den folgenden acht Jahrhunderten wegeilen, die nur insofern für uns von weite¬
ren Interesse sind, als sie die Geschichte Jnnerasiens im allgemeinen beleuchten
oder mit dem Westen in Beziehung stehen. Die türkischen Stämme, die von
den Ebenen und Bergen jenseits des Jaxartes her sich ergossen, wurden im
elften Jahrhundert herrschend und nach dem Falle der Samaniden kamen die
türkischen Geldschulden zur Herrschaft über unser Gebiet. Die Fürsten aus
diesem Hause zeichneten sich als Krieger aus. Es ist aus der allgemeinen
Weltgeschichte bekannt, wie Seldschuk's Enkel, Togrul, vom Oxus herstürmend
die zitternden Chalifen unterwarf, wie Alp Arslan seine Neiterschwärme gegen
das oströmische Reich führte, wie er mit Romanus Diogenes kämpft, und
nachdem er den byzantinischen Kaiser geschlagen, sich siegreich über die arme¬
nischen Hochlande ergoß. Sein Nachfolger Melikschah, "der herrlichste der
Geldschulden", wie Vambery ihn nennt, wurde dann der Gründer jener un¬
geheuern Monarchie, die sich von Chinas Grenzen bis nach Kleinasien erstreckte.
Nach dem Untergange dieses Reiches durch Ursachen, die stets im Oriente
thätig sind, wurde Transoxanien der Sitz einer tatarischen Dynastie und eins
nomadische Steppenrasse, vom Osten des Kaspischen Meeres stammend, herrschte
nun über die fruchtbare Region Bocharas. Der letzte dieser Fürsten erlag
Dschengiz, der an der Spitze seiner mongolischen Horden im 13. Jahrhun¬
dert ganz Centralasien unterwarf, Bochara und Samarcand zerstörte und ein
Reich errichtete, das sich vom Indus bis zur Wolga ausdehnte. Vambery
schildert ausführlich die Thaten Dschengiz', der eine weit geordnetere und re¬
gelmäßigere Kriegsführung kannte, als man in Europa wohl anznehmen ge¬
neigt war. Bochara hat sich niemals von den ihm durch Dschengiz beige-


Verwirrung folgte nun, und in den Revolten Mokannas glaubt Vambery eine
Reaction der Eingeborenen gegen die Unterdrücker zu erkennen, wenngleich zu¬
letzt der Mohammedanismus Sieger blieb.

Als aber die Macht der Chalifen sank, warf Transoxanien ihr entferntes
Joch ab und, wie so oft es in der asiatischen Geschichte sich ereignet, ein
Satrap wurde der unabhängige Herr des Landes. Unter einer Dynastie alt¬
iranischer Abstammung wurde Transoxanien wieder der Mittelpunkt einer
großen Monarchie und das Volk Bocharas erzählt sich heute noch davon,
wie ihre Stadt von Pracht und Luxus strahlte, als sie die Residenz des na¬
tionalen Hauses der Samaniden wurde. Nachdem diese Familie jedoch ein
oder zwei glänzende Herrscher hervorgebracht, verfiel auch sie der im Osten
wie ein Naturgesetz giltigen Regel; sie schwand wie ein Meteor und endigte
mit einem schwächen Fürsten, Muntazir (1004), der unter dem Dolche des
Mörders fiel.

Wir müssen hier rasch über die Zuckungen und Revolutionen Transoxaniens in
den folgenden acht Jahrhunderten wegeilen, die nur insofern für uns von weite¬
ren Interesse sind, als sie die Geschichte Jnnerasiens im allgemeinen beleuchten
oder mit dem Westen in Beziehung stehen. Die türkischen Stämme, die von
den Ebenen und Bergen jenseits des Jaxartes her sich ergossen, wurden im
elften Jahrhundert herrschend und nach dem Falle der Samaniden kamen die
türkischen Geldschulden zur Herrschaft über unser Gebiet. Die Fürsten aus
diesem Hause zeichneten sich als Krieger aus. Es ist aus der allgemeinen
Weltgeschichte bekannt, wie Seldschuk's Enkel, Togrul, vom Oxus herstürmend
die zitternden Chalifen unterwarf, wie Alp Arslan seine Neiterschwärme gegen
das oströmische Reich führte, wie er mit Romanus Diogenes kämpft, und
nachdem er den byzantinischen Kaiser geschlagen, sich siegreich über die arme¬
nischen Hochlande ergoß. Sein Nachfolger Melikschah, „der herrlichste der
Geldschulden", wie Vambery ihn nennt, wurde dann der Gründer jener un¬
geheuern Monarchie, die sich von Chinas Grenzen bis nach Kleinasien erstreckte.
Nach dem Untergange dieses Reiches durch Ursachen, die stets im Oriente
thätig sind, wurde Transoxanien der Sitz einer tatarischen Dynastie und eins
nomadische Steppenrasse, vom Osten des Kaspischen Meeres stammend, herrschte
nun über die fruchtbare Region Bocharas. Der letzte dieser Fürsten erlag
Dschengiz, der an der Spitze seiner mongolischen Horden im 13. Jahrhun¬
dert ganz Centralasien unterwarf, Bochara und Samarcand zerstörte und ein
Reich errichtete, das sich vom Indus bis zur Wolga ausdehnte. Vambery
schildert ausführlich die Thaten Dschengiz', der eine weit geordnetere und re¬
gelmäßigere Kriegsführung kannte, als man in Europa wohl anznehmen ge¬
neigt war. Bochara hat sich niemals von den ihm durch Dschengiz beige-


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[0412] Verwirrung folgte nun, und in den Revolten Mokannas glaubt Vambery eine Reaction der Eingeborenen gegen die Unterdrücker zu erkennen, wenngleich zu¬ letzt der Mohammedanismus Sieger blieb. Als aber die Macht der Chalifen sank, warf Transoxanien ihr entferntes Joch ab und, wie so oft es in der asiatischen Geschichte sich ereignet, ein Satrap wurde der unabhängige Herr des Landes. Unter einer Dynastie alt¬ iranischer Abstammung wurde Transoxanien wieder der Mittelpunkt einer großen Monarchie und das Volk Bocharas erzählt sich heute noch davon, wie ihre Stadt von Pracht und Luxus strahlte, als sie die Residenz des na¬ tionalen Hauses der Samaniden wurde. Nachdem diese Familie jedoch ein oder zwei glänzende Herrscher hervorgebracht, verfiel auch sie der im Osten wie ein Naturgesetz giltigen Regel; sie schwand wie ein Meteor und endigte mit einem schwächen Fürsten, Muntazir (1004), der unter dem Dolche des Mörders fiel. Wir müssen hier rasch über die Zuckungen und Revolutionen Transoxaniens in den folgenden acht Jahrhunderten wegeilen, die nur insofern für uns von weite¬ ren Interesse sind, als sie die Geschichte Jnnerasiens im allgemeinen beleuchten oder mit dem Westen in Beziehung stehen. Die türkischen Stämme, die von den Ebenen und Bergen jenseits des Jaxartes her sich ergossen, wurden im elften Jahrhundert herrschend und nach dem Falle der Samaniden kamen die türkischen Geldschulden zur Herrschaft über unser Gebiet. Die Fürsten aus diesem Hause zeichneten sich als Krieger aus. Es ist aus der allgemeinen Weltgeschichte bekannt, wie Seldschuk's Enkel, Togrul, vom Oxus herstürmend die zitternden Chalifen unterwarf, wie Alp Arslan seine Neiterschwärme gegen das oströmische Reich führte, wie er mit Romanus Diogenes kämpft, und nachdem er den byzantinischen Kaiser geschlagen, sich siegreich über die arme¬ nischen Hochlande ergoß. Sein Nachfolger Melikschah, „der herrlichste der Geldschulden", wie Vambery ihn nennt, wurde dann der Gründer jener un¬ geheuern Monarchie, die sich von Chinas Grenzen bis nach Kleinasien erstreckte. Nach dem Untergange dieses Reiches durch Ursachen, die stets im Oriente thätig sind, wurde Transoxanien der Sitz einer tatarischen Dynastie und eins nomadische Steppenrasse, vom Osten des Kaspischen Meeres stammend, herrschte nun über die fruchtbare Region Bocharas. Der letzte dieser Fürsten erlag Dschengiz, der an der Spitze seiner mongolischen Horden im 13. Jahrhun¬ dert ganz Centralasien unterwarf, Bochara und Samarcand zerstörte und ein Reich errichtete, das sich vom Indus bis zur Wolga ausdehnte. Vambery schildert ausführlich die Thaten Dschengiz', der eine weit geordnetere und re¬ gelmäßigere Kriegsführung kannte, als man in Europa wohl anznehmen ge¬ neigt war. Bochara hat sich niemals von den ihm durch Dschengiz beige-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/412>, abgerufen am 06.02.2025.