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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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etwas bänglich zu Muthe werden, wenn wir nirgends auch nur einen freund¬
schaftlichen Händedruck oder auch nur ein herzliches Wort der Theilnahme zu
gewärtigen haben, überall nur geballte Fäuste und rauhes Gekreische. Der
moralische Muth, mit dem wir 1870 ins Feld zogen, stammte zum Theil
aus jener, wie es sich so bald zeigte, unrichtigen Einbildung, daß die Sym¬
pathien der ganzen Welt mit uns zögen, weil wir unschuldig wären. Für eine
künftige ähnliche Sitution wissen wir es besser und dieses Wissen trägt nicht
dazu bei, ihn zu heben.

Wer also will, mag es sich immerhin so zurechtlegen, daß unser mitunter
etwas bedenkliches Haschen nach jedem Wörtchen der Anerkennung und Belobi¬
gung aus fremdem Munde eigentlich nur ein Rechenerempel des politischen
Verstandes sei. Ein Kenner der deutschen Geschichte und Volksart wird sich
mit dieser bequemsten und gemüthlichsten Erklärung nicht abspeisen lassen. Er
wird mit unserer Empfänglichkeit für fremdes und Empfindlichkeit gegen ei¬
genes Lob eine andere notorische und angestammte Eigenthümlichkeit nicht
blos eines sondern aller Stämme der Germanen zusammenbringen: unsere
vielgerühmte und vielgeschmähte Unparteilichkeit oder Gerechtigkeit in der An¬
erkennung jedes fremden Verdienstes und in der Würdigung jeder fremden In¬
dividualität. Darüber ist schwer etwas Neues zu sagen und hier am aller¬
wenigsten der Ort dazu; es könnte vielleicht sogar scheinen, als wenn auch
die vorstehenden Gedankenreihen nicht streng zu dem Gegenstand gehörten oder
zu dem Buche, zu dessen erläuterndem Verständnisse sie doch gemeint sind,
aber sie gehören doch dazu. Denn auch in ihm berührt uns jener specifisch
deutsche Zug, den wir schon genugsam gezeichnet haben. Auch seinem Ver¬
fasser erscheint es als eine ebenso von dem Gewissen wie von dem Verstände
gebotene Aufgabe in einem ganz bestimmten Falle das nach seinem Vedünken
etwas in die Irre gerathene Urtheil seiner Landsleute über eine fremde Na¬
tionalität, über die Franzosen von gestern und heute, zu berichtigen. Er
weist mit Genugthuung zurück auf frühere Versuche gleicher Tendenz, die er
nicht lange nach dem Abschluß des Friedens in einer Reihe öffentlicher Vor¬
trüge, wie es scheint mit Erfolg ausgenommen. Die Frage liegt nahe genug: wel¬
cher Franzose hat damals etwas ähnliches auf seiner Seite gewagt, denn ein
Wagniß auf Leben und Tod wäre es für ihn gewesen, was für den Deut¬
schen keines war. Und warum hat es kein Franzose gewagt? an Muth fehlt
es ihnen ja bekanntlich nicht. Doch sollen uns diese unbeantworteten Fragen
nicht stören in unserer eigenen wieder echt deutschen Anerkennung des Zieles
und der Wege zum Ziel. Auch wir sind der Meinung, daß es vergeblich
wäre, wollten wir warten, bis unsere westlichen Nachbarn anfangen aus ihren
Wuthparorysmen zu einiger Besinnung zurückzukehren. Wir müssen mit gutem
Beispiel vorangehen, selbst auf die Gefahr, daß uns Niemand von der anderen Seite


etwas bänglich zu Muthe werden, wenn wir nirgends auch nur einen freund¬
schaftlichen Händedruck oder auch nur ein herzliches Wort der Theilnahme zu
gewärtigen haben, überall nur geballte Fäuste und rauhes Gekreische. Der
moralische Muth, mit dem wir 1870 ins Feld zogen, stammte zum Theil
aus jener, wie es sich so bald zeigte, unrichtigen Einbildung, daß die Sym¬
pathien der ganzen Welt mit uns zögen, weil wir unschuldig wären. Für eine
künftige ähnliche Sitution wissen wir es besser und dieses Wissen trägt nicht
dazu bei, ihn zu heben.

Wer also will, mag es sich immerhin so zurechtlegen, daß unser mitunter
etwas bedenkliches Haschen nach jedem Wörtchen der Anerkennung und Belobi¬
gung aus fremdem Munde eigentlich nur ein Rechenerempel des politischen
Verstandes sei. Ein Kenner der deutschen Geschichte und Volksart wird sich
mit dieser bequemsten und gemüthlichsten Erklärung nicht abspeisen lassen. Er
wird mit unserer Empfänglichkeit für fremdes und Empfindlichkeit gegen ei¬
genes Lob eine andere notorische und angestammte Eigenthümlichkeit nicht
blos eines sondern aller Stämme der Germanen zusammenbringen: unsere
vielgerühmte und vielgeschmähte Unparteilichkeit oder Gerechtigkeit in der An¬
erkennung jedes fremden Verdienstes und in der Würdigung jeder fremden In¬
dividualität. Darüber ist schwer etwas Neues zu sagen und hier am aller¬
wenigsten der Ort dazu; es könnte vielleicht sogar scheinen, als wenn auch
die vorstehenden Gedankenreihen nicht streng zu dem Gegenstand gehörten oder
zu dem Buche, zu dessen erläuterndem Verständnisse sie doch gemeint sind,
aber sie gehören doch dazu. Denn auch in ihm berührt uns jener specifisch
deutsche Zug, den wir schon genugsam gezeichnet haben. Auch seinem Ver¬
fasser erscheint es als eine ebenso von dem Gewissen wie von dem Verstände
gebotene Aufgabe in einem ganz bestimmten Falle das nach seinem Vedünken
etwas in die Irre gerathene Urtheil seiner Landsleute über eine fremde Na¬
tionalität, über die Franzosen von gestern und heute, zu berichtigen. Er
weist mit Genugthuung zurück auf frühere Versuche gleicher Tendenz, die er
nicht lange nach dem Abschluß des Friedens in einer Reihe öffentlicher Vor¬
trüge, wie es scheint mit Erfolg ausgenommen. Die Frage liegt nahe genug: wel¬
cher Franzose hat damals etwas ähnliches auf seiner Seite gewagt, denn ein
Wagniß auf Leben und Tod wäre es für ihn gewesen, was für den Deut¬
schen keines war. Und warum hat es kein Franzose gewagt? an Muth fehlt
es ihnen ja bekanntlich nicht. Doch sollen uns diese unbeantworteten Fragen
nicht stören in unserer eigenen wieder echt deutschen Anerkennung des Zieles
und der Wege zum Ziel. Auch wir sind der Meinung, daß es vergeblich
wäre, wollten wir warten, bis unsere westlichen Nachbarn anfangen aus ihren
Wuthparorysmen zu einiger Besinnung zurückzukehren. Wir müssen mit gutem
Beispiel vorangehen, selbst auf die Gefahr, daß uns Niemand von der anderen Seite


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/382>, abgerufen am 06.02.2025.