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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Die neuere Forschung hat uns über die Methode, nach welcher die Ae-
gypter verfuhren, genaue Aufklärung gegeben; ihre Ergebnisse erscheinen so
interessant, daß wir aus der Fülle des von Wuttke beigebrachten Materials
einige Beispiele hier folgen lassen. Charakteristisch ist die Thatsache, daß die
Nubischen Schrifterfinder für Vokale keine Zeichen angaben, vielmehr nur
die Bezeichnung der Konsonanten für erforderlich erachteten und aus diesen
die Worte bildlich darstellten. Die Steinsäule (Obelisk) z. B. hieß "aein;
woraus sich die Konsonanten in, u ergaben. Danach wurde das Bild des
Obelisken zur Bezeichnung des Gottes ^in un benutzt, dessen Namen dieselben
Konsonanten enthält. Aehnlich verfuhr man mit anderen Konsonanten. Das
Wort Jaime (Löwenklaue) gab die Konsonanten K in ; das Bild der Löwen¬
klaue konnte deshalb für alle gleichkonsonantischen Wörter verwendet werden,
so für (Aegypten), Icon (Macht) und Koins. (Höhe). Freilich mußte da¬

bei vorausgesetzt werden, daß der Lesende sich die Vokale aus dem Zusammen¬
hange ergänzen werde. Zum Schreiben von Wörtern mit drei Konsonanten
wurden gewöhnlich zwei Bilder benutzt. Im Laufe der Zeit traten den ersten
Bildern neue hinzu, so daß die Zahl bald auf vierhundert gestiegen war.
So lange der Fluß des Aegyptischen Lebens, das sich anfänglich durch große
Schaffenskraft auszeichnete, nicht in Erstarrung überging, fand kein eigent¬
licher Abschluß in der Zahl und in dem Gebrauche der Bilder statt, denen
schließlich auch Vokalhieroglyphen hinzutraten. Um die Zeit der XII. Dy¬
nastie (2300 v. Chr.) mag die Hieroglyphik zu derjenigen bestimmten Gestalt
ausgebildet gewesen sein, die sie mit geringen Veränderungen schließlich be¬
hauptete.

Anfangs wurde von der Schrift in Aegypten nur ein spärlicher Gebrauch
gemacht; sie wurde fast ausschließlich im Dienste der Religion verwendet und
war eine vorwiegend monumentale. Tempel, Paläste und Bildsäulen wurden
mit Lobpreisungen der Götter beschrieben; die Schriftbilder arbeitete man ge¬
wöhnlich aus dem harten Stein heraus in Relief oder in vertiefter Darstel¬
lung. Diese oft mit Kalk gefüllten oder mit buntem Email ausgelegten
Bilder belebten das Eintönige der großen Massen, aus denen die Aegyptischen
Bauwerke bestehen. König Mesfres (1822 -- 1809 v. Chr.) in On ließ zu¬
erst Obelisken herstellen, welche benutzt wurden. Im Laufe der Zeit nahm der
Schriftgebrauch erheblich zu. An Felsen und Grotten, auf den Stein der
Särge und das Holz der Mumienkasten wurden Inschriften gesetzt, welche ent¬
weder vertieft oder erhaben waren und häufig Verzierungen in Goldsirniß er¬
hielten; selbst das von den Phöniziern eingeführte Glas wurde mit Hiero¬
glyphen bedeckt, und in edle .Steine grub man Siegel zur Beurkundung
Königlicher Erlasse ein- Solche Siegel vertraten meist die Unterschrift, denn
als Joseph zum Landesverweser in Aegypten ernannt wurde, übergab ihm


Die neuere Forschung hat uns über die Methode, nach welcher die Ae-
gypter verfuhren, genaue Aufklärung gegeben; ihre Ergebnisse erscheinen so
interessant, daß wir aus der Fülle des von Wuttke beigebrachten Materials
einige Beispiele hier folgen lassen. Charakteristisch ist die Thatsache, daß die
Nubischen Schrifterfinder für Vokale keine Zeichen angaben, vielmehr nur
die Bezeichnung der Konsonanten für erforderlich erachteten und aus diesen
die Worte bildlich darstellten. Die Steinsäule (Obelisk) z. B. hieß »aein;
woraus sich die Konsonanten in, u ergaben. Danach wurde das Bild des
Obelisken zur Bezeichnung des Gottes ^in un benutzt, dessen Namen dieselben
Konsonanten enthält. Aehnlich verfuhr man mit anderen Konsonanten. Das
Wort Jaime (Löwenklaue) gab die Konsonanten K in ; das Bild der Löwen¬
klaue konnte deshalb für alle gleichkonsonantischen Wörter verwendet werden,
so für (Aegypten), Icon (Macht) und Koins. (Höhe). Freilich mußte da¬

bei vorausgesetzt werden, daß der Lesende sich die Vokale aus dem Zusammen¬
hange ergänzen werde. Zum Schreiben von Wörtern mit drei Konsonanten
wurden gewöhnlich zwei Bilder benutzt. Im Laufe der Zeit traten den ersten
Bildern neue hinzu, so daß die Zahl bald auf vierhundert gestiegen war.
So lange der Fluß des Aegyptischen Lebens, das sich anfänglich durch große
Schaffenskraft auszeichnete, nicht in Erstarrung überging, fand kein eigent¬
licher Abschluß in der Zahl und in dem Gebrauche der Bilder statt, denen
schließlich auch Vokalhieroglyphen hinzutraten. Um die Zeit der XII. Dy¬
nastie (2300 v. Chr.) mag die Hieroglyphik zu derjenigen bestimmten Gestalt
ausgebildet gewesen sein, die sie mit geringen Veränderungen schließlich be¬
hauptete.

Anfangs wurde von der Schrift in Aegypten nur ein spärlicher Gebrauch
gemacht; sie wurde fast ausschließlich im Dienste der Religion verwendet und
war eine vorwiegend monumentale. Tempel, Paläste und Bildsäulen wurden
mit Lobpreisungen der Götter beschrieben; die Schriftbilder arbeitete man ge¬
wöhnlich aus dem harten Stein heraus in Relief oder in vertiefter Darstel¬
lung. Diese oft mit Kalk gefüllten oder mit buntem Email ausgelegten
Bilder belebten das Eintönige der großen Massen, aus denen die Aegyptischen
Bauwerke bestehen. König Mesfres (1822 — 1809 v. Chr.) in On ließ zu¬
erst Obelisken herstellen, welche benutzt wurden. Im Laufe der Zeit nahm der
Schriftgebrauch erheblich zu. An Felsen und Grotten, auf den Stein der
Särge und das Holz der Mumienkasten wurden Inschriften gesetzt, welche ent¬
weder vertieft oder erhaben waren und häufig Verzierungen in Goldsirniß er¬
hielten; selbst das von den Phöniziern eingeführte Glas wurde mit Hiero¬
glyphen bedeckt, und in edle .Steine grub man Siegel zur Beurkundung
Königlicher Erlasse ein- Solche Siegel vertraten meist die Unterschrift, denn
als Joseph zum Landesverweser in Aegypten ernannt wurde, übergab ihm


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[0372] Die neuere Forschung hat uns über die Methode, nach welcher die Ae- gypter verfuhren, genaue Aufklärung gegeben; ihre Ergebnisse erscheinen so interessant, daß wir aus der Fülle des von Wuttke beigebrachten Materials einige Beispiele hier folgen lassen. Charakteristisch ist die Thatsache, daß die Nubischen Schrifterfinder für Vokale keine Zeichen angaben, vielmehr nur die Bezeichnung der Konsonanten für erforderlich erachteten und aus diesen die Worte bildlich darstellten. Die Steinsäule (Obelisk) z. B. hieß »aein; woraus sich die Konsonanten in, u ergaben. Danach wurde das Bild des Obelisken zur Bezeichnung des Gottes ^in un benutzt, dessen Namen dieselben Konsonanten enthält. Aehnlich verfuhr man mit anderen Konsonanten. Das Wort Jaime (Löwenklaue) gab die Konsonanten K in ; das Bild der Löwen¬ klaue konnte deshalb für alle gleichkonsonantischen Wörter verwendet werden, so für (Aegypten), Icon (Macht) und Koins. (Höhe). Freilich mußte da¬ bei vorausgesetzt werden, daß der Lesende sich die Vokale aus dem Zusammen¬ hange ergänzen werde. Zum Schreiben von Wörtern mit drei Konsonanten wurden gewöhnlich zwei Bilder benutzt. Im Laufe der Zeit traten den ersten Bildern neue hinzu, so daß die Zahl bald auf vierhundert gestiegen war. So lange der Fluß des Aegyptischen Lebens, das sich anfänglich durch große Schaffenskraft auszeichnete, nicht in Erstarrung überging, fand kein eigent¬ licher Abschluß in der Zahl und in dem Gebrauche der Bilder statt, denen schließlich auch Vokalhieroglyphen hinzutraten. Um die Zeit der XII. Dy¬ nastie (2300 v. Chr.) mag die Hieroglyphik zu derjenigen bestimmten Gestalt ausgebildet gewesen sein, die sie mit geringen Veränderungen schließlich be¬ hauptete. Anfangs wurde von der Schrift in Aegypten nur ein spärlicher Gebrauch gemacht; sie wurde fast ausschließlich im Dienste der Religion verwendet und war eine vorwiegend monumentale. Tempel, Paläste und Bildsäulen wurden mit Lobpreisungen der Götter beschrieben; die Schriftbilder arbeitete man ge¬ wöhnlich aus dem harten Stein heraus in Relief oder in vertiefter Darstel¬ lung. Diese oft mit Kalk gefüllten oder mit buntem Email ausgelegten Bilder belebten das Eintönige der großen Massen, aus denen die Aegyptischen Bauwerke bestehen. König Mesfres (1822 — 1809 v. Chr.) in On ließ zu¬ erst Obelisken herstellen, welche benutzt wurden. Im Laufe der Zeit nahm der Schriftgebrauch erheblich zu. An Felsen und Grotten, auf den Stein der Särge und das Holz der Mumienkasten wurden Inschriften gesetzt, welche ent¬ weder vertieft oder erhaben waren und häufig Verzierungen in Goldsirniß er¬ hielten; selbst das von den Phöniziern eingeführte Glas wurde mit Hiero¬ glyphen bedeckt, und in edle .Steine grub man Siegel zur Beurkundung Königlicher Erlasse ein- Solche Siegel vertraten meist die Unterschrift, denn als Joseph zum Landesverweser in Aegypten ernannt wurde, übergab ihm

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/372>, abgerufen am 06.02.2025.