Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

beiden Seiten ein Stück gefördert; sie sind im Erdgeschoß aus plattbehauenm
Sandsteinen, im ersten Stock aus Backsteinen aufgeführt. Sonst liegen nur
erst in flachgeschwungenen Bogen die Fundamente der Sitzreihen des Parterre
im Boden. Für 1600 Personen soll der Zuschauerraum Sitzplätze bieten,
doch wird er jedenfalls mehr fassen. Das Brettergerüst des Bühnenraumes
steht aber vollständig fertig da, und das Bäumchen, das oben auf dem Giebel¬
dache dieses wahrhaft Sinn- und augenverwirrenden Balkennetzes befestigt ist,
deutet an, daß der Bau vor Kurzem -- am 2. August -- "gehoben" ist.
Dieser Bühnenraum ist, namentlich was Höhe und Tiefe betrifft, von impo¬
santen Dimensionen. Die eigentliche Bühne allein ist 42 Fuß, die darüber
befindlichen Räume bis an den Schnürboden 58 Fuß hoch, die Versenkung
35 Fuß tief. Den merkwürdigsten Platz des ganzen Theaters wird aber jeden¬
falls das Orchester einnehmen. Dies befindet sich zwar an derselben Stelle,
wie in jedem andern Theater, nämlich zwischen Parquet und Bühne, aber in
einer fünfzehn Fuß tiefen kreissegmentförmigen Cavea, sodaß es den Au¬
gen des Publikums vollständig entzogen sein wird. Was das für eine aku¬
stische Wirkung haben wird, das wissen die Götter. Soviel ist sicher, daß der
Erbauer des Theaters, Architekt Bruckwald aus Leipzig, die gesteigerten An¬
forderungen an ein modernes Opernhaus mit den außergewöhnlichen Ideen
seines Auftraggebers und den eigenthümlich schwierigen Bedingungen des Ter¬
rains in geistvoller Weise zu vereinigen gewußt hat. Daß dieser schöne und
kostspielige Bau -- er ist wirklich schön und sieht nicht so verschroben und
kastenmäßig aus wie in der Abbildung, die die "Gartenlaube" kürzlich brachte
-- nur dazu dienen sollte, um eine ein- oder zweimalige Vorstellung von
Wagner's Nibelungentrilogie zu ermöglichen und dann wieder abgebrochen zu
werden, das wäre ohne Zweifel ein Gedanke, der Wagner's würdig wäre und
jedenfalls Puschmann einen willkommenen Beitrag zu seinen psychiatrischen
Studien liefern würde. Indeß steht zu hoffen, daß wol die nothwendigen
Rücksichten auf den Kostenpunkt ein solche Tollheit verbieten werden. Wenn
die Patronatsscheininhaber ihre Vorstellung für 300 Thlr. abgesessen haben
werden, dann werden wol auch andre Sterbliche um einen menschlichen Preis
sich hier in das "Kunstwerk der Zukunft" einweihen lassen dürfen. Inzwischen
wird aber sicher der Sommer 1875 herankommen, obgleich zur Zeit gegen
170 Arbeiter ununterbrochen am Bau thätig sind. Bayreuth selbst ist natür¬
lich schon heute ganz verwagnert; nächst Jean Paul, der Markgräfin Wtlhel-
mine und der "weißen Frau" ist Richard Wagner jedenfalls für die Bayreuther
der populärste Mensch geworden. Jeder Kutscher, jeder Kühjunge, jedes Gänse¬
mädchen weiß vom "Wongnertheater" zu erzählen, und an den Schaufenstern
der Buchhandlungen strahlen außer den üblichen Fichtelgebirgsführern
und der bekannten, gewöhnlich von Ernst in Quedlinburg bezognen Sorte


beiden Seiten ein Stück gefördert; sie sind im Erdgeschoß aus plattbehauenm
Sandsteinen, im ersten Stock aus Backsteinen aufgeführt. Sonst liegen nur
erst in flachgeschwungenen Bogen die Fundamente der Sitzreihen des Parterre
im Boden. Für 1600 Personen soll der Zuschauerraum Sitzplätze bieten,
doch wird er jedenfalls mehr fassen. Das Brettergerüst des Bühnenraumes
steht aber vollständig fertig da, und das Bäumchen, das oben auf dem Giebel¬
dache dieses wahrhaft Sinn- und augenverwirrenden Balkennetzes befestigt ist,
deutet an, daß der Bau vor Kurzem — am 2. August — „gehoben" ist.
Dieser Bühnenraum ist, namentlich was Höhe und Tiefe betrifft, von impo¬
santen Dimensionen. Die eigentliche Bühne allein ist 42 Fuß, die darüber
befindlichen Räume bis an den Schnürboden 58 Fuß hoch, die Versenkung
35 Fuß tief. Den merkwürdigsten Platz des ganzen Theaters wird aber jeden¬
falls das Orchester einnehmen. Dies befindet sich zwar an derselben Stelle,
wie in jedem andern Theater, nämlich zwischen Parquet und Bühne, aber in
einer fünfzehn Fuß tiefen kreissegmentförmigen Cavea, sodaß es den Au¬
gen des Publikums vollständig entzogen sein wird. Was das für eine aku¬
stische Wirkung haben wird, das wissen die Götter. Soviel ist sicher, daß der
Erbauer des Theaters, Architekt Bruckwald aus Leipzig, die gesteigerten An¬
forderungen an ein modernes Opernhaus mit den außergewöhnlichen Ideen
seines Auftraggebers und den eigenthümlich schwierigen Bedingungen des Ter¬
rains in geistvoller Weise zu vereinigen gewußt hat. Daß dieser schöne und
kostspielige Bau — er ist wirklich schön und sieht nicht so verschroben und
kastenmäßig aus wie in der Abbildung, die die „Gartenlaube" kürzlich brachte
— nur dazu dienen sollte, um eine ein- oder zweimalige Vorstellung von
Wagner's Nibelungentrilogie zu ermöglichen und dann wieder abgebrochen zu
werden, das wäre ohne Zweifel ein Gedanke, der Wagner's würdig wäre und
jedenfalls Puschmann einen willkommenen Beitrag zu seinen psychiatrischen
Studien liefern würde. Indeß steht zu hoffen, daß wol die nothwendigen
Rücksichten auf den Kostenpunkt ein solche Tollheit verbieten werden. Wenn
die Patronatsscheininhaber ihre Vorstellung für 300 Thlr. abgesessen haben
werden, dann werden wol auch andre Sterbliche um einen menschlichen Preis
sich hier in das „Kunstwerk der Zukunft" einweihen lassen dürfen. Inzwischen
wird aber sicher der Sommer 1875 herankommen, obgleich zur Zeit gegen
170 Arbeiter ununterbrochen am Bau thätig sind. Bayreuth selbst ist natür¬
lich schon heute ganz verwagnert; nächst Jean Paul, der Markgräfin Wtlhel-
mine und der „weißen Frau" ist Richard Wagner jedenfalls für die Bayreuther
der populärste Mensch geworden. Jeder Kutscher, jeder Kühjunge, jedes Gänse¬
mädchen weiß vom „Wongnertheater" zu erzählen, und an den Schaufenstern
der Buchhandlungen strahlen außer den üblichen Fichtelgebirgsführern
und der bekannten, gewöhnlich von Ernst in Quedlinburg bezognen Sorte


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0367" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193170"/>
          <p xml:id="ID_1264" prev="#ID_1263" next="#ID_1265"> beiden Seiten ein Stück gefördert; sie sind im Erdgeschoß aus plattbehauenm<lb/>
Sandsteinen, im ersten Stock aus Backsteinen aufgeführt. Sonst liegen nur<lb/>
erst in flachgeschwungenen Bogen die Fundamente der Sitzreihen des Parterre<lb/>
im Boden. Für 1600 Personen soll der Zuschauerraum Sitzplätze bieten,<lb/>
doch wird er jedenfalls mehr fassen. Das Brettergerüst des Bühnenraumes<lb/>
steht aber vollständig fertig da, und das Bäumchen, das oben auf dem Giebel¬<lb/>
dache dieses wahrhaft Sinn- und augenverwirrenden Balkennetzes befestigt ist,<lb/>
deutet an, daß der Bau vor Kurzem &#x2014; am 2. August &#x2014; &#x201E;gehoben" ist.<lb/>
Dieser Bühnenraum ist, namentlich was Höhe und Tiefe betrifft, von impo¬<lb/>
santen Dimensionen. Die eigentliche Bühne allein ist 42 Fuß, die darüber<lb/>
befindlichen Räume bis an den Schnürboden 58 Fuß hoch, die Versenkung<lb/>
35 Fuß tief. Den merkwürdigsten Platz des ganzen Theaters wird aber jeden¬<lb/>
falls das Orchester einnehmen. Dies befindet sich zwar an derselben Stelle,<lb/>
wie in jedem andern Theater, nämlich zwischen Parquet und Bühne, aber in<lb/>
einer fünfzehn Fuß tiefen kreissegmentförmigen Cavea, sodaß es den Au¬<lb/>
gen des Publikums vollständig entzogen sein wird. Was das für eine aku¬<lb/>
stische Wirkung haben wird, das wissen die Götter. Soviel ist sicher, daß der<lb/>
Erbauer des Theaters, Architekt Bruckwald aus Leipzig, die gesteigerten An¬<lb/>
forderungen an ein modernes Opernhaus mit den außergewöhnlichen Ideen<lb/>
seines Auftraggebers und den eigenthümlich schwierigen Bedingungen des Ter¬<lb/>
rains in geistvoller Weise zu vereinigen gewußt hat. Daß dieser schöne und<lb/>
kostspielige Bau &#x2014; er ist wirklich schön und sieht nicht so verschroben und<lb/>
kastenmäßig aus wie in der Abbildung, die die &#x201E;Gartenlaube" kürzlich brachte<lb/>
&#x2014; nur dazu dienen sollte, um eine ein- oder zweimalige Vorstellung von<lb/>
Wagner's Nibelungentrilogie zu ermöglichen und dann wieder abgebrochen zu<lb/>
werden, das wäre ohne Zweifel ein Gedanke, der Wagner's würdig wäre und<lb/>
jedenfalls Puschmann einen willkommenen Beitrag zu seinen psychiatrischen<lb/>
Studien liefern würde. Indeß steht zu hoffen, daß wol die nothwendigen<lb/>
Rücksichten auf den Kostenpunkt ein solche Tollheit verbieten werden. Wenn<lb/>
die Patronatsscheininhaber ihre Vorstellung für 300 Thlr. abgesessen haben<lb/>
werden, dann werden wol auch andre Sterbliche um einen menschlichen Preis<lb/>
sich hier in das &#x201E;Kunstwerk der Zukunft" einweihen lassen dürfen. Inzwischen<lb/>
wird aber sicher der Sommer 1875 herankommen, obgleich zur Zeit gegen<lb/>
170 Arbeiter ununterbrochen am Bau thätig sind. Bayreuth selbst ist natür¬<lb/>
lich schon heute ganz verwagnert; nächst Jean Paul, der Markgräfin Wtlhel-<lb/>
mine und der &#x201E;weißen Frau" ist Richard Wagner jedenfalls für die Bayreuther<lb/>
der populärste Mensch geworden. Jeder Kutscher, jeder Kühjunge, jedes Gänse¬<lb/>
mädchen weiß vom &#x201E;Wongnertheater" zu erzählen, und an den Schaufenstern<lb/>
der Buchhandlungen strahlen außer den üblichen Fichtelgebirgsführern<lb/>
und der bekannten, gewöhnlich von Ernst in Quedlinburg bezognen Sorte</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0367] beiden Seiten ein Stück gefördert; sie sind im Erdgeschoß aus plattbehauenm Sandsteinen, im ersten Stock aus Backsteinen aufgeführt. Sonst liegen nur erst in flachgeschwungenen Bogen die Fundamente der Sitzreihen des Parterre im Boden. Für 1600 Personen soll der Zuschauerraum Sitzplätze bieten, doch wird er jedenfalls mehr fassen. Das Brettergerüst des Bühnenraumes steht aber vollständig fertig da, und das Bäumchen, das oben auf dem Giebel¬ dache dieses wahrhaft Sinn- und augenverwirrenden Balkennetzes befestigt ist, deutet an, daß der Bau vor Kurzem — am 2. August — „gehoben" ist. Dieser Bühnenraum ist, namentlich was Höhe und Tiefe betrifft, von impo¬ santen Dimensionen. Die eigentliche Bühne allein ist 42 Fuß, die darüber befindlichen Räume bis an den Schnürboden 58 Fuß hoch, die Versenkung 35 Fuß tief. Den merkwürdigsten Platz des ganzen Theaters wird aber jeden¬ falls das Orchester einnehmen. Dies befindet sich zwar an derselben Stelle, wie in jedem andern Theater, nämlich zwischen Parquet und Bühne, aber in einer fünfzehn Fuß tiefen kreissegmentförmigen Cavea, sodaß es den Au¬ gen des Publikums vollständig entzogen sein wird. Was das für eine aku¬ stische Wirkung haben wird, das wissen die Götter. Soviel ist sicher, daß der Erbauer des Theaters, Architekt Bruckwald aus Leipzig, die gesteigerten An¬ forderungen an ein modernes Opernhaus mit den außergewöhnlichen Ideen seines Auftraggebers und den eigenthümlich schwierigen Bedingungen des Ter¬ rains in geistvoller Weise zu vereinigen gewußt hat. Daß dieser schöne und kostspielige Bau — er ist wirklich schön und sieht nicht so verschroben und kastenmäßig aus wie in der Abbildung, die die „Gartenlaube" kürzlich brachte — nur dazu dienen sollte, um eine ein- oder zweimalige Vorstellung von Wagner's Nibelungentrilogie zu ermöglichen und dann wieder abgebrochen zu werden, das wäre ohne Zweifel ein Gedanke, der Wagner's würdig wäre und jedenfalls Puschmann einen willkommenen Beitrag zu seinen psychiatrischen Studien liefern würde. Indeß steht zu hoffen, daß wol die nothwendigen Rücksichten auf den Kostenpunkt ein solche Tollheit verbieten werden. Wenn die Patronatsscheininhaber ihre Vorstellung für 300 Thlr. abgesessen haben werden, dann werden wol auch andre Sterbliche um einen menschlichen Preis sich hier in das „Kunstwerk der Zukunft" einweihen lassen dürfen. Inzwischen wird aber sicher der Sommer 1875 herankommen, obgleich zur Zeit gegen 170 Arbeiter ununterbrochen am Bau thätig sind. Bayreuth selbst ist natür¬ lich schon heute ganz verwagnert; nächst Jean Paul, der Markgräfin Wtlhel- mine und der „weißen Frau" ist Richard Wagner jedenfalls für die Bayreuther der populärste Mensch geworden. Jeder Kutscher, jeder Kühjunge, jedes Gänse¬ mädchen weiß vom „Wongnertheater" zu erzählen, und an den Schaufenstern der Buchhandlungen strahlen außer den üblichen Fichtelgebirgsführern und der bekannten, gewöhnlich von Ernst in Quedlinburg bezognen Sorte

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/367
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/367>, abgerufen am 06.02.2025.