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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Lehrern höherer Unterrichts-Anstalten Oberschlesiens von Witte. Pleß, 1873.
Verlag von A. Krümmer.

Unsere Erwägungen sind theils der Beweisführung des Herrn Witte
entlehnt, theils weitere Ausführung von ihm gemachter Andeutungen. Seine
Schrift will zu gründlichster Prüfung und ausführlichen Meinungsaustausch
über diese wichtige Angelegenheit anregen, nicht beansprucht sie, einen in jeder
Hinsicht unanfechtbaren Vorschlag gemacht zu haben. Darum glauben wir
nicht minder, der Herr Verfasser habe durch die Anregung dieser Frage uns
sich zu Danke verpflichtet, und meinen, man werde im Allgemeinen seinen
Ausführungen kaum widersprechen.

Er zeigt zunächst die Unzulänglichkeiten der allgemeinen Wittwen-Ver-
pflegungsanstalt und die Nothwendigkeit einer Umgestaltung. Einen Ersatz
sür sie vermag er aber weder in dem Beitritt zu einer Lebensversicherungs¬
gesellschaft -- aus oben entwickelten Gründen -- noch in der Bildung von
Privatvereinen -- wie etwa der "Preußische Lehrerverein" in seiner diesjäh¬
rigen Pfingstversammlung zu Elbing die Statuten einer Lehrerwaisenkasse sür
die Provinz Preußen berathen hat -- zu erblicken. Denn einmal ist diese
Sache für alle Beamten von gleicher Wichtigkeit und kann nur gleichzeitig
und gleichmäßig für alle, dann aber auch mit den wenigsten Kosten gelöst
werden; ferner würden Privatvereine das Bestehende weder beseitigen noch
reformiren. Und dringend verlangt er eine Reform. Er meint: "Um die
aus der Einführung von Verbesserungen auf diesem Gebiete entstehenden Kosten
zu decken, würde es sich am meisten empfehlen, daß der Staat von jedem Be¬
amten einen bestimmten Procentsatz seines Gehaltes einzöge, wogegen er im
Todesfalle desselben der Wittwe mindestens 20°/", jedem Kinde bis zu einem
bestimmten Lebensjahre mindestens 5°/g vom letzten Gehalte des Vaters zahlte".
In den Erläuterungen zu diesem Satze sucht er die Forderungen 1) daß alle,
auch die nicht verheirateten Beamten zahlen, 2) daß der Procentsatz nach
dem letzten Gehalte ermessen werde, zu erhärten. Wir sind mit 2 einver¬
standen, desgleichen mit dem Vorschlage, daß zu Gunsten dieser neuen Anstalt
die Bestimmung aufgehoben werden möge, wonach die Wittwe bei etwaiger
Wiederverheirathung immer noch die Hälfte der Pension beziehe. Gegen For¬
derung 1 dürften aber mehr oder minder gerechtfertigte Bedenken nicht aus¬
bleiben, und sie entspringen Erwägungen, denen sich der Verfasser zwar nicht
verschließt, die er aber aus Utilitätsgründen nicht so scharf betont. Um Raum
für diese Erwägungen zu gewinnen, wollen wir mit dem Verfasser nicht rech¬
ten, daß er den Satz von 20°/y zu niedrig gegriffen hat, da wir 30"/o für
nothwendig erachten. Er wünscht, daß der Staat die Sache regete. Nach
unserer Ansicht aber wird auf vielen Seiten die Meinung hervortreten, weil
der Staat die moralische Verpflichtung habe, für die Hinterbliebenen seiner


Lehrern höherer Unterrichts-Anstalten Oberschlesiens von Witte. Pleß, 1873.
Verlag von A. Krümmer.

Unsere Erwägungen sind theils der Beweisführung des Herrn Witte
entlehnt, theils weitere Ausführung von ihm gemachter Andeutungen. Seine
Schrift will zu gründlichster Prüfung und ausführlichen Meinungsaustausch
über diese wichtige Angelegenheit anregen, nicht beansprucht sie, einen in jeder
Hinsicht unanfechtbaren Vorschlag gemacht zu haben. Darum glauben wir
nicht minder, der Herr Verfasser habe durch die Anregung dieser Frage uns
sich zu Danke verpflichtet, und meinen, man werde im Allgemeinen seinen
Ausführungen kaum widersprechen.

Er zeigt zunächst die Unzulänglichkeiten der allgemeinen Wittwen-Ver-
pflegungsanstalt und die Nothwendigkeit einer Umgestaltung. Einen Ersatz
sür sie vermag er aber weder in dem Beitritt zu einer Lebensversicherungs¬
gesellschaft — aus oben entwickelten Gründen — noch in der Bildung von
Privatvereinen — wie etwa der „Preußische Lehrerverein" in seiner diesjäh¬
rigen Pfingstversammlung zu Elbing die Statuten einer Lehrerwaisenkasse sür
die Provinz Preußen berathen hat — zu erblicken. Denn einmal ist diese
Sache für alle Beamten von gleicher Wichtigkeit und kann nur gleichzeitig
und gleichmäßig für alle, dann aber auch mit den wenigsten Kosten gelöst
werden; ferner würden Privatvereine das Bestehende weder beseitigen noch
reformiren. Und dringend verlangt er eine Reform. Er meint: „Um die
aus der Einführung von Verbesserungen auf diesem Gebiete entstehenden Kosten
zu decken, würde es sich am meisten empfehlen, daß der Staat von jedem Be¬
amten einen bestimmten Procentsatz seines Gehaltes einzöge, wogegen er im
Todesfalle desselben der Wittwe mindestens 20°/„, jedem Kinde bis zu einem
bestimmten Lebensjahre mindestens 5°/g vom letzten Gehalte des Vaters zahlte".
In den Erläuterungen zu diesem Satze sucht er die Forderungen 1) daß alle,
auch die nicht verheirateten Beamten zahlen, 2) daß der Procentsatz nach
dem letzten Gehalte ermessen werde, zu erhärten. Wir sind mit 2 einver¬
standen, desgleichen mit dem Vorschlage, daß zu Gunsten dieser neuen Anstalt
die Bestimmung aufgehoben werden möge, wonach die Wittwe bei etwaiger
Wiederverheirathung immer noch die Hälfte der Pension beziehe. Gegen For¬
derung 1 dürften aber mehr oder minder gerechtfertigte Bedenken nicht aus¬
bleiben, und sie entspringen Erwägungen, denen sich der Verfasser zwar nicht
verschließt, die er aber aus Utilitätsgründen nicht so scharf betont. Um Raum
für diese Erwägungen zu gewinnen, wollen wir mit dem Verfasser nicht rech¬
ten, daß er den Satz von 20°/y zu niedrig gegriffen hat, da wir 30«/o für
nothwendig erachten. Er wünscht, daß der Staat die Sache regete. Nach
unserer Ansicht aber wird auf vielen Seiten die Meinung hervortreten, weil
der Staat die moralische Verpflichtung habe, für die Hinterbliebenen seiner


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[0287] Lehrern höherer Unterrichts-Anstalten Oberschlesiens von Witte. Pleß, 1873. Verlag von A. Krümmer. Unsere Erwägungen sind theils der Beweisführung des Herrn Witte entlehnt, theils weitere Ausführung von ihm gemachter Andeutungen. Seine Schrift will zu gründlichster Prüfung und ausführlichen Meinungsaustausch über diese wichtige Angelegenheit anregen, nicht beansprucht sie, einen in jeder Hinsicht unanfechtbaren Vorschlag gemacht zu haben. Darum glauben wir nicht minder, der Herr Verfasser habe durch die Anregung dieser Frage uns sich zu Danke verpflichtet, und meinen, man werde im Allgemeinen seinen Ausführungen kaum widersprechen. Er zeigt zunächst die Unzulänglichkeiten der allgemeinen Wittwen-Ver- pflegungsanstalt und die Nothwendigkeit einer Umgestaltung. Einen Ersatz sür sie vermag er aber weder in dem Beitritt zu einer Lebensversicherungs¬ gesellschaft — aus oben entwickelten Gründen — noch in der Bildung von Privatvereinen — wie etwa der „Preußische Lehrerverein" in seiner diesjäh¬ rigen Pfingstversammlung zu Elbing die Statuten einer Lehrerwaisenkasse sür die Provinz Preußen berathen hat — zu erblicken. Denn einmal ist diese Sache für alle Beamten von gleicher Wichtigkeit und kann nur gleichzeitig und gleichmäßig für alle, dann aber auch mit den wenigsten Kosten gelöst werden; ferner würden Privatvereine das Bestehende weder beseitigen noch reformiren. Und dringend verlangt er eine Reform. Er meint: „Um die aus der Einführung von Verbesserungen auf diesem Gebiete entstehenden Kosten zu decken, würde es sich am meisten empfehlen, daß der Staat von jedem Be¬ amten einen bestimmten Procentsatz seines Gehaltes einzöge, wogegen er im Todesfalle desselben der Wittwe mindestens 20°/„, jedem Kinde bis zu einem bestimmten Lebensjahre mindestens 5°/g vom letzten Gehalte des Vaters zahlte". In den Erläuterungen zu diesem Satze sucht er die Forderungen 1) daß alle, auch die nicht verheirateten Beamten zahlen, 2) daß der Procentsatz nach dem letzten Gehalte ermessen werde, zu erhärten. Wir sind mit 2 einver¬ standen, desgleichen mit dem Vorschlage, daß zu Gunsten dieser neuen Anstalt die Bestimmung aufgehoben werden möge, wonach die Wittwe bei etwaiger Wiederverheirathung immer noch die Hälfte der Pension beziehe. Gegen For¬ derung 1 dürften aber mehr oder minder gerechtfertigte Bedenken nicht aus¬ bleiben, und sie entspringen Erwägungen, denen sich der Verfasser zwar nicht verschließt, die er aber aus Utilitätsgründen nicht so scharf betont. Um Raum für diese Erwägungen zu gewinnen, wollen wir mit dem Verfasser nicht rech¬ ten, daß er den Satz von 20°/y zu niedrig gegriffen hat, da wir 30«/o für nothwendig erachten. Er wünscht, daß der Staat die Sache regete. Nach unserer Ansicht aber wird auf vielen Seiten die Meinung hervortreten, weil der Staat die moralische Verpflichtung habe, für die Hinterbliebenen seiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/287>, abgerufen am 06.02.2025.