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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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schwer wiegenden Berfassungsbestimmung mischte, --- einen Streit, welcher
die Grundlagen unseres ganzen constitutionellen Staatslebens berührt. Sicher¬
lich hat auch die sächsische Regierung, die noch in den Beust'schen Zeiten jede
Betheiligung der Lehrer an politischen Agitationen mit scharfen Repressiv'
maßregeln bedrohte, sich durch jene Adresse nicht bestimmen lassen, M sie
sich endlich doch entschloß, trotz der Abstimmung der II. Kammer das Volksschul¬
gesetz dem König zur Genehmigung zu empfehlen und, nachdem dieselbe erfolgt
war, im Gesetzblatt zu publiciren.

Was aber in dem sächsischen Lehrerstand große Entrüstung hervorrief,
das war die moralische Nöthigung, welche die Dresdner durch ihre umherge¬
schickten Adressen ausgeübt hatten. Denn da z. B. die Seminare ganz von
dem Cultusministerium abhängen, so war es ganz natürlich, daß kein Semi¬
narlehrer, um nicht mißliebig zu werden, sich von der Unterschrift dieser Ber-
trauensadresse glaubte ausschließen zu dürfen. Und -so mag auch an Volks¬
schulen, sobald einmal der Direktor unterschrieben hatte, manche Unterschrift
mit innerem Widerstreben gegeben worden sein. Die Zahl der auf solche
Weise zusammengebrachten Stimmen konnte also nicht in die Wagschale
fallen.

Bon verschiedenen Seiten, namentlich von Leipzig und Chemnitz, wurde
auch alsbald aus Kreisen der Lehrerwelt selbst gegen dieses tactlose Vorgehen
der Dresdner entschiedener Protest erhoben. Diese ließen sich jedoch von dem
eingeschlagenen Weg nicht wieder abbringen. In ihrer "Sächsischen Schul¬
zeitung" warfen sie gerade der liberalen Partei den Fehdehandschuh hin und
forderten alle "treuen Sachsenherzen" des Lehrerstandes auf, bei den
Reichs- und Landtagswahlen in "herzlicher Sachsentreue" für conservative
Männer "zu agitiren". Und was führten sie zur Begründung an? -- der
Lehrerstand habe von dieser Seite mehr zu erwarten! Führwahr, eine naive
Behauptung, an die außer den loyalen Dresdnern nur wenige Lehrer des
Landes glauben werden.

Doch was ist, fragen wir noch einmal, bei all diesen eifrigen Bewerbungen
um die Gunst des hohen Cultusministeriums die eigentliche Absicht? Nun,
diese ist leicht zu errathen, wenn man weiß, daß nach dem neuen Volksschul¬
gesetz an Stelle der Superintendenten, welche bisher die obere Schulaufsicht
führten, etwa 24 Bezirksschulinspectoren mit einem Gehalt von 1800
--1800 Thaler und mit den Rechten der Staatsdiener treten werden, welche
aus dem Kreise "bewährter Fachmänner" genommen werden sollen. Die¬
ser ziemlich unbestimmte Ausdruck des Gesetzes hat offenbar in den Dresdner
Schuldirectoren, die sich doch sicherlich in erster Linie zu den "bewährten
Fachmännern" rechnen, die Hoffnung erweckt, daß ihnen einige dieser
Schulinspectorstellen zufallen werden.


schwer wiegenden Berfassungsbestimmung mischte, —- einen Streit, welcher
die Grundlagen unseres ganzen constitutionellen Staatslebens berührt. Sicher¬
lich hat auch die sächsische Regierung, die noch in den Beust'schen Zeiten jede
Betheiligung der Lehrer an politischen Agitationen mit scharfen Repressiv'
maßregeln bedrohte, sich durch jene Adresse nicht bestimmen lassen, M sie
sich endlich doch entschloß, trotz der Abstimmung der II. Kammer das Volksschul¬
gesetz dem König zur Genehmigung zu empfehlen und, nachdem dieselbe erfolgt
war, im Gesetzblatt zu publiciren.

Was aber in dem sächsischen Lehrerstand große Entrüstung hervorrief,
das war die moralische Nöthigung, welche die Dresdner durch ihre umherge¬
schickten Adressen ausgeübt hatten. Denn da z. B. die Seminare ganz von
dem Cultusministerium abhängen, so war es ganz natürlich, daß kein Semi¬
narlehrer, um nicht mißliebig zu werden, sich von der Unterschrift dieser Ber-
trauensadresse glaubte ausschließen zu dürfen. Und -so mag auch an Volks¬
schulen, sobald einmal der Direktor unterschrieben hatte, manche Unterschrift
mit innerem Widerstreben gegeben worden sein. Die Zahl der auf solche
Weise zusammengebrachten Stimmen konnte also nicht in die Wagschale
fallen.

Bon verschiedenen Seiten, namentlich von Leipzig und Chemnitz, wurde
auch alsbald aus Kreisen der Lehrerwelt selbst gegen dieses tactlose Vorgehen
der Dresdner entschiedener Protest erhoben. Diese ließen sich jedoch von dem
eingeschlagenen Weg nicht wieder abbringen. In ihrer „Sächsischen Schul¬
zeitung" warfen sie gerade der liberalen Partei den Fehdehandschuh hin und
forderten alle „treuen Sachsenherzen" des Lehrerstandes auf, bei den
Reichs- und Landtagswahlen in „herzlicher Sachsentreue" für conservative
Männer „zu agitiren". Und was führten sie zur Begründung an? — der
Lehrerstand habe von dieser Seite mehr zu erwarten! Führwahr, eine naive
Behauptung, an die außer den loyalen Dresdnern nur wenige Lehrer des
Landes glauben werden.

Doch was ist, fragen wir noch einmal, bei all diesen eifrigen Bewerbungen
um die Gunst des hohen Cultusministeriums die eigentliche Absicht? Nun,
diese ist leicht zu errathen, wenn man weiß, daß nach dem neuen Volksschul¬
gesetz an Stelle der Superintendenten, welche bisher die obere Schulaufsicht
führten, etwa 24 Bezirksschulinspectoren mit einem Gehalt von 1800
—1800 Thaler und mit den Rechten der Staatsdiener treten werden, welche
aus dem Kreise „bewährter Fachmänner" genommen werden sollen. Die¬
ser ziemlich unbestimmte Ausdruck des Gesetzes hat offenbar in den Dresdner
Schuldirectoren, die sich doch sicherlich in erster Linie zu den „bewährten
Fachmännern" rechnen, die Hoffnung erweckt, daß ihnen einige dieser
Schulinspectorstellen zufallen werden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/243>, abgerufen am 06.02.2025.