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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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schönen Gaben hat er dazu verwendet, edle patriotische Zwecke zu verfolgen
und zu gleicher Zeit den erhabensten Anforderungen der Kunst Genüge zu
leisten. Seine Komödie, ein Prachtbau für alle Zeiten, stößt Tyrannen in
allerlei Ungeschmack, Sittenlosigkeit und Gemeinheit von ihrem Thron. "Sie
gleicht darin", sagt Klein in seiner kräftigen Sprache, "dem Adler, der vom
Leichnam des Rindes, das er mit Flügelschlägen, unabwendbar wie Schick¬
salsschläge, in den Abgrund geschleudert und zerfleischt, sich aufschwingt zur
Sonne oder zum Wolkensitze des Donnerers, um den dreizackigen Blitzstrahl
mit den mächtigen Fängen zu ergreifen, die noch von dem Blute seines
Opfers triefen, Haupt und Schnabel so tief wie eben in das Herz seiner Beute
tauchend in Ambrosia und Nektar, in die Himmelskost hehrer Poesie."

Dagegen ist Platen beschränkt in seinen Stoffen, mehr finster als heiter,
mehr Satiriker als Humorist, mehr kleinlich als hochherzig, mehr formenge¬
wandt als gedankenreich. Ein Aristophanes ist Platen nicht. Nun, zu der
Arroganz hat er sich auch nie verstiegen, seinem großen Vorbilde etwa gleich¬
kommen zu wollen: er nimmt nur die Ehre für sich in Anspruch, die Ari¬
stophanische Komödie vollkommen modificirt zu haben. Dagegen ließe sich
schließlich nichts einwenden; für eine Modifikation der Aristophaneischen Ko¬
mödie, wenn auch für keine vollkommene, kann die seine immerhin gelten.
Aber nichts als Verkennung seiner selbst und maßlose Ueberhebung ist es,
wenn er den großen Abstand seiner Dichtungen von denen des Aristophanes
nur auf die eines Aristophanes unwürdigen Zeiten schiebt, wenn er also thut,
als hätte er wie Aristophanes dichten können, wenn er nur würdige Zuhörer
gefunden hätte. Und dieses stolze Wort findet sich nicht etwa im Romantischen
Oedipus, ist also nicht zu einer Zeit geschrieben, wo ihm außer dem ersten
Versuch auch schon eine Fortsetzung gelungen war, in welchem Falle man
eher geneigt sein könnte, dem auf seine Erfolge stolzen Dichter die Aeußerung zu
gute zu halten, sondern sie steht bereits in dem ersten Stücke, in der Ver-
hängnißvollen Gabel, und zwar ist es schaust, der als Chorus u. a. sagt:


Groß'res wollt' er wol vollenden-, doch die Zeiten hindern es.
Nur ein freies Volk ist würdig eines Aristophanes.

Ein freies Volk ist nicht blos würdig eines Aristophanes, es bringt ihn
auch allein hervor, oder vielmehr, es hat ihn allein hervorgebracht. Denn
wie es nur ein Athen gegeben hat, so hat es auch nur eine alte Komödie
nur einen Aristophanes gegeben, und so wenig es Platen gelungen ist, ihn in
sich wieder aufleben zu lassen, so wenig wird es jemals einem Andern gelingen.
Das darf uns aber gegen Platen nicht ungerecht machen. Sind es auch keine
Aristophaneischen Komödien, die er uns bietet, so kommen sie ihnen doch in
manch.en Stücken nahe. Wer nicht mit Vorurtheil an sie herantritt, wird sie


schönen Gaben hat er dazu verwendet, edle patriotische Zwecke zu verfolgen
und zu gleicher Zeit den erhabensten Anforderungen der Kunst Genüge zu
leisten. Seine Komödie, ein Prachtbau für alle Zeiten, stößt Tyrannen in
allerlei Ungeschmack, Sittenlosigkeit und Gemeinheit von ihrem Thron. „Sie
gleicht darin", sagt Klein in seiner kräftigen Sprache, „dem Adler, der vom
Leichnam des Rindes, das er mit Flügelschlägen, unabwendbar wie Schick¬
salsschläge, in den Abgrund geschleudert und zerfleischt, sich aufschwingt zur
Sonne oder zum Wolkensitze des Donnerers, um den dreizackigen Blitzstrahl
mit den mächtigen Fängen zu ergreifen, die noch von dem Blute seines
Opfers triefen, Haupt und Schnabel so tief wie eben in das Herz seiner Beute
tauchend in Ambrosia und Nektar, in die Himmelskost hehrer Poesie."

Dagegen ist Platen beschränkt in seinen Stoffen, mehr finster als heiter,
mehr Satiriker als Humorist, mehr kleinlich als hochherzig, mehr formenge¬
wandt als gedankenreich. Ein Aristophanes ist Platen nicht. Nun, zu der
Arroganz hat er sich auch nie verstiegen, seinem großen Vorbilde etwa gleich¬
kommen zu wollen: er nimmt nur die Ehre für sich in Anspruch, die Ari¬
stophanische Komödie vollkommen modificirt zu haben. Dagegen ließe sich
schließlich nichts einwenden; für eine Modifikation der Aristophaneischen Ko¬
mödie, wenn auch für keine vollkommene, kann die seine immerhin gelten.
Aber nichts als Verkennung seiner selbst und maßlose Ueberhebung ist es,
wenn er den großen Abstand seiner Dichtungen von denen des Aristophanes
nur auf die eines Aristophanes unwürdigen Zeiten schiebt, wenn er also thut,
als hätte er wie Aristophanes dichten können, wenn er nur würdige Zuhörer
gefunden hätte. Und dieses stolze Wort findet sich nicht etwa im Romantischen
Oedipus, ist also nicht zu einer Zeit geschrieben, wo ihm außer dem ersten
Versuch auch schon eine Fortsetzung gelungen war, in welchem Falle man
eher geneigt sein könnte, dem auf seine Erfolge stolzen Dichter die Aeußerung zu
gute zu halten, sondern sie steht bereits in dem ersten Stücke, in der Ver-
hängnißvollen Gabel, und zwar ist es schaust, der als Chorus u. a. sagt:


Groß'res wollt' er wol vollenden-, doch die Zeiten hindern es.
Nur ein freies Volk ist würdig eines Aristophanes.

Ein freies Volk ist nicht blos würdig eines Aristophanes, es bringt ihn
auch allein hervor, oder vielmehr, es hat ihn allein hervorgebracht. Denn
wie es nur ein Athen gegeben hat, so hat es auch nur eine alte Komödie
nur einen Aristophanes gegeben, und so wenig es Platen gelungen ist, ihn in
sich wieder aufleben zu lassen, so wenig wird es jemals einem Andern gelingen.
Das darf uns aber gegen Platen nicht ungerecht machen. Sind es auch keine
Aristophaneischen Komödien, die er uns bietet, so kommen sie ihnen doch in
manch.en Stücken nahe. Wer nicht mit Vorurtheil an sie herantritt, wird sie


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[0228] schönen Gaben hat er dazu verwendet, edle patriotische Zwecke zu verfolgen und zu gleicher Zeit den erhabensten Anforderungen der Kunst Genüge zu leisten. Seine Komödie, ein Prachtbau für alle Zeiten, stößt Tyrannen in allerlei Ungeschmack, Sittenlosigkeit und Gemeinheit von ihrem Thron. „Sie gleicht darin", sagt Klein in seiner kräftigen Sprache, „dem Adler, der vom Leichnam des Rindes, das er mit Flügelschlägen, unabwendbar wie Schick¬ salsschläge, in den Abgrund geschleudert und zerfleischt, sich aufschwingt zur Sonne oder zum Wolkensitze des Donnerers, um den dreizackigen Blitzstrahl mit den mächtigen Fängen zu ergreifen, die noch von dem Blute seines Opfers triefen, Haupt und Schnabel so tief wie eben in das Herz seiner Beute tauchend in Ambrosia und Nektar, in die Himmelskost hehrer Poesie." Dagegen ist Platen beschränkt in seinen Stoffen, mehr finster als heiter, mehr Satiriker als Humorist, mehr kleinlich als hochherzig, mehr formenge¬ wandt als gedankenreich. Ein Aristophanes ist Platen nicht. Nun, zu der Arroganz hat er sich auch nie verstiegen, seinem großen Vorbilde etwa gleich¬ kommen zu wollen: er nimmt nur die Ehre für sich in Anspruch, die Ari¬ stophanische Komödie vollkommen modificirt zu haben. Dagegen ließe sich schließlich nichts einwenden; für eine Modifikation der Aristophaneischen Ko¬ mödie, wenn auch für keine vollkommene, kann die seine immerhin gelten. Aber nichts als Verkennung seiner selbst und maßlose Ueberhebung ist es, wenn er den großen Abstand seiner Dichtungen von denen des Aristophanes nur auf die eines Aristophanes unwürdigen Zeiten schiebt, wenn er also thut, als hätte er wie Aristophanes dichten können, wenn er nur würdige Zuhörer gefunden hätte. Und dieses stolze Wort findet sich nicht etwa im Romantischen Oedipus, ist also nicht zu einer Zeit geschrieben, wo ihm außer dem ersten Versuch auch schon eine Fortsetzung gelungen war, in welchem Falle man eher geneigt sein könnte, dem auf seine Erfolge stolzen Dichter die Aeußerung zu gute zu halten, sondern sie steht bereits in dem ersten Stücke, in der Ver- hängnißvollen Gabel, und zwar ist es schaust, der als Chorus u. a. sagt: Groß'res wollt' er wol vollenden-, doch die Zeiten hindern es. Nur ein freies Volk ist würdig eines Aristophanes. Ein freies Volk ist nicht blos würdig eines Aristophanes, es bringt ihn auch allein hervor, oder vielmehr, es hat ihn allein hervorgebracht. Denn wie es nur ein Athen gegeben hat, so hat es auch nur eine alte Komödie nur einen Aristophanes gegeben, und so wenig es Platen gelungen ist, ihn in sich wieder aufleben zu lassen, so wenig wird es jemals einem Andern gelingen. Das darf uns aber gegen Platen nicht ungerecht machen. Sind es auch keine Aristophaneischen Komödien, die er uns bietet, so kommen sie ihnen doch in manch.en Stücken nahe. Wer nicht mit Vorurtheil an sie herantritt, wird sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/228>, abgerufen am 06.02.2025.