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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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die übrigen bleiben deshalb nicht unbehelligt. An Clauren, Houwald, Rau¬
pach oder Raupel, wie er hier heißt, an Heine, u. A. kühlt Platen an unzähligen
Stellen sein Müthchen. Und wie den Inhalt, so unterzieht er auch die Form
der Producte jener entarteten Romantiker einer zersetzenden Analyse. So
klagt die Sphinx bitter darüber, daß sie immer nur schlechte Verse zu Hören
bekommt: ein fehlerfreies Distichon liefert keiner aus der stolzen Schaar der
Sänger am Hofe der Jokaste. Der Koryphäus Kind hatte es sogar fertig
gebracht einen "Holzklotzpflock" als Daktylus (-^) zu produciren. Da
war der Dichter im Rechte, wenn er sie auch dieser Schwächen wegen geißelte.
Denn nur zu wahr bemerkt die Sphinx:


Zwar scheint ein schlechter Vers ein kleines Wehe,
Und doch erzeugt er eine Menge Sünden.

Ein Publikum aber, das sich solche Verse und solche Poesie bieten ließ
und sie mit ungeheurem Beifall aufnahm, verdiente gleichfalls gezüchtigt zu
werden; man kann es also nur billigen, wenn Platen Dresden und Berlin,
die Städte, in denen Clauren, Raupach und die anderen verwandten Geister
die allgemeinen Lieblinge, ja die Helden des Tages waren, mit unaufhörlichen
Schlägen tractirte.

Wenn Buchwald die Behauptung aufstellt, daß der Aristophaneische Euri-
pides durch die bloße Erdichtung einer Fabel im Euripideischen Sinne sicher¬
lich nicht hätte so lächerlich gemacht werden können, als dieß durch die directe
Einführung seiner Person geschieht, und daß Platens Angriffe auf die Schick¬
salstragödie und auf die verkommene Romantik viel wirksamer gewesen sein
würden, wenn er mit den Personen selbst operirt hätte, statt bloß, im großen
und ganzen wenigstens, ihre Producte zu parodiren, so kann man ihm unbe¬
dingt beistimmen; wenn er aber so weit geht zu sagen, die Verhängnißvolle
Gabel und der Romantische Oedipus, letzterer mit Ausnahme des ersten und
fünften Aktes, in denen Immermann selbst auftritt, hätten nicht sowol Aehn-
lichkeit mit der alten als mit der mittleren attischen Komödie, so schießt er
damit über das Ziel hinaus. Allerdings sind parodirende Benutzung vorhan¬
dener Mythen, lächerliche Einflechtung berühmter Verse, travestirende Anwen¬
dung hochklingender poetischer Phrasen u. s. w., komische Mittel, die auch die
mittlere Komödie anwendet, aber eine so erbitterte und zähe Kriegführung,
wie sie sich in den Platenschen Stücken findet, und ein so oppositioneller Geist
wie er sie erfüllt, ist doch himmelweit von der Natur der mittleren Komödie
verschieden, da sich diese fast ganz des persönlichen Spottes enthält, und wenn
sie Philosophen, Sophisten und Dichter einer Besprechung unterzieht, wol deren
äußerliches Wesen und Gebahren, ihre Spitzfindigkeiten und Ausdrücke tadelt,
niemals aber ihre Gemeinschädlichkeit brandmarkt. Wollte Buchwald eine
Aehnlichkeit zwischen der Platenschen und der mittleren attischen Komödie


die übrigen bleiben deshalb nicht unbehelligt. An Clauren, Houwald, Rau¬
pach oder Raupel, wie er hier heißt, an Heine, u. A. kühlt Platen an unzähligen
Stellen sein Müthchen. Und wie den Inhalt, so unterzieht er auch die Form
der Producte jener entarteten Romantiker einer zersetzenden Analyse. So
klagt die Sphinx bitter darüber, daß sie immer nur schlechte Verse zu Hören
bekommt: ein fehlerfreies Distichon liefert keiner aus der stolzen Schaar der
Sänger am Hofe der Jokaste. Der Koryphäus Kind hatte es sogar fertig
gebracht einen „Holzklotzpflock" als Daktylus (-^) zu produciren. Da
war der Dichter im Rechte, wenn er sie auch dieser Schwächen wegen geißelte.
Denn nur zu wahr bemerkt die Sphinx:


Zwar scheint ein schlechter Vers ein kleines Wehe,
Und doch erzeugt er eine Menge Sünden.

Ein Publikum aber, das sich solche Verse und solche Poesie bieten ließ
und sie mit ungeheurem Beifall aufnahm, verdiente gleichfalls gezüchtigt zu
werden; man kann es also nur billigen, wenn Platen Dresden und Berlin,
die Städte, in denen Clauren, Raupach und die anderen verwandten Geister
die allgemeinen Lieblinge, ja die Helden des Tages waren, mit unaufhörlichen
Schlägen tractirte.

Wenn Buchwald die Behauptung aufstellt, daß der Aristophaneische Euri-
pides durch die bloße Erdichtung einer Fabel im Euripideischen Sinne sicher¬
lich nicht hätte so lächerlich gemacht werden können, als dieß durch die directe
Einführung seiner Person geschieht, und daß Platens Angriffe auf die Schick¬
salstragödie und auf die verkommene Romantik viel wirksamer gewesen sein
würden, wenn er mit den Personen selbst operirt hätte, statt bloß, im großen
und ganzen wenigstens, ihre Producte zu parodiren, so kann man ihm unbe¬
dingt beistimmen; wenn er aber so weit geht zu sagen, die Verhängnißvolle
Gabel und der Romantische Oedipus, letzterer mit Ausnahme des ersten und
fünften Aktes, in denen Immermann selbst auftritt, hätten nicht sowol Aehn-
lichkeit mit der alten als mit der mittleren attischen Komödie, so schießt er
damit über das Ziel hinaus. Allerdings sind parodirende Benutzung vorhan¬
dener Mythen, lächerliche Einflechtung berühmter Verse, travestirende Anwen¬
dung hochklingender poetischer Phrasen u. s. w., komische Mittel, die auch die
mittlere Komödie anwendet, aber eine so erbitterte und zähe Kriegführung,
wie sie sich in den Platenschen Stücken findet, und ein so oppositioneller Geist
wie er sie erfüllt, ist doch himmelweit von der Natur der mittleren Komödie
verschieden, da sich diese fast ganz des persönlichen Spottes enthält, und wenn
sie Philosophen, Sophisten und Dichter einer Besprechung unterzieht, wol deren
äußerliches Wesen und Gebahren, ihre Spitzfindigkeiten und Ausdrücke tadelt,
niemals aber ihre Gemeinschädlichkeit brandmarkt. Wollte Buchwald eine
Aehnlichkeit zwischen der Platenschen und der mittleren attischen Komödie


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[0220] die übrigen bleiben deshalb nicht unbehelligt. An Clauren, Houwald, Rau¬ pach oder Raupel, wie er hier heißt, an Heine, u. A. kühlt Platen an unzähligen Stellen sein Müthchen. Und wie den Inhalt, so unterzieht er auch die Form der Producte jener entarteten Romantiker einer zersetzenden Analyse. So klagt die Sphinx bitter darüber, daß sie immer nur schlechte Verse zu Hören bekommt: ein fehlerfreies Distichon liefert keiner aus der stolzen Schaar der Sänger am Hofe der Jokaste. Der Koryphäus Kind hatte es sogar fertig gebracht einen „Holzklotzpflock" als Daktylus (-^) zu produciren. Da war der Dichter im Rechte, wenn er sie auch dieser Schwächen wegen geißelte. Denn nur zu wahr bemerkt die Sphinx: Zwar scheint ein schlechter Vers ein kleines Wehe, Und doch erzeugt er eine Menge Sünden. Ein Publikum aber, das sich solche Verse und solche Poesie bieten ließ und sie mit ungeheurem Beifall aufnahm, verdiente gleichfalls gezüchtigt zu werden; man kann es also nur billigen, wenn Platen Dresden und Berlin, die Städte, in denen Clauren, Raupach und die anderen verwandten Geister die allgemeinen Lieblinge, ja die Helden des Tages waren, mit unaufhörlichen Schlägen tractirte. Wenn Buchwald die Behauptung aufstellt, daß der Aristophaneische Euri- pides durch die bloße Erdichtung einer Fabel im Euripideischen Sinne sicher¬ lich nicht hätte so lächerlich gemacht werden können, als dieß durch die directe Einführung seiner Person geschieht, und daß Platens Angriffe auf die Schick¬ salstragödie und auf die verkommene Romantik viel wirksamer gewesen sein würden, wenn er mit den Personen selbst operirt hätte, statt bloß, im großen und ganzen wenigstens, ihre Producte zu parodiren, so kann man ihm unbe¬ dingt beistimmen; wenn er aber so weit geht zu sagen, die Verhängnißvolle Gabel und der Romantische Oedipus, letzterer mit Ausnahme des ersten und fünften Aktes, in denen Immermann selbst auftritt, hätten nicht sowol Aehn- lichkeit mit der alten als mit der mittleren attischen Komödie, so schießt er damit über das Ziel hinaus. Allerdings sind parodirende Benutzung vorhan¬ dener Mythen, lächerliche Einflechtung berühmter Verse, travestirende Anwen¬ dung hochklingender poetischer Phrasen u. s. w., komische Mittel, die auch die mittlere Komödie anwendet, aber eine so erbitterte und zähe Kriegführung, wie sie sich in den Platenschen Stücken findet, und ein so oppositioneller Geist wie er sie erfüllt, ist doch himmelweit von der Natur der mittleren Komödie verschieden, da sich diese fast ganz des persönlichen Spottes enthält, und wenn sie Philosophen, Sophisten und Dichter einer Besprechung unterzieht, wol deren äußerliches Wesen und Gebahren, ihre Spitzfindigkeiten und Ausdrücke tadelt, niemals aber ihre Gemeinschädlichkeit brandmarkt. Wollte Buchwald eine Aehnlichkeit zwischen der Platenschen und der mittleren attischen Komödie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/220>, abgerufen am 06.02.2025.