Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

haben wohl mehr als sonst irgend etwas den wenn auch nicht ganz zutreffen¬
den Untergrund für die in einer späteren Drohnote Preußens vorkommende
Wendung gegeben, wonach es "einen Heerd sich erneuerter Unruhen inmitten
seiner Provinzen" nicht dulden könne.

Schien auch der Rücktritt des liberalen preußischen Ministeriums im
März 1862 der Sache Hessens nicht günstig zu sein und wurde dadurch der
dort mehrfach schon bemerkliche Mißmuth über die bisherige Erfolglosigkeit
gesteigert, so scheint es fast, als ob Deutschlands größter Staatsmann im
Beginne seiner Ministerlaufbahn den hessischen Agitator besser verstanden habe
als seine Vorgänger und als die Philister der hessischen Hauptstadt, Die
Abweichung vieler hessischen Führer von Oetker's Ansicht üher das eine Zeit
lang zu einer deutschen Frage herangewachsene Wahlgesetz von 1849 trug
viel zu einer laueren Färbung der Bewegung und damit zur Verschleppung
des Resultates bei, aber Oetker wußte mit regster Thätigkeit und vieler
Strenge diese Frage gegen offene und geheime Widersacher durchzuführen und
dem Gewichte von, wie es scheint, Adeligen aus Hessen, auf welche Herr
v, Sydow sich stützte, ein Gegengewicht zu bieten, bis endlich Oesterreich die
Sache um jeden Preis zu erledigen sich entschloß und, nach dem Vorangehen
zweier Würzburger Regierungen , Preußen die Popularität wegzuhaschen suchte.
Immerhin aber hatte, als die kurfürstliche Regierung mit der famosen Zwangs-
Wahlverordnung vom April 1862 ihrem Fasse den Boden ausschlug, im Ge¬
gensatze zu Oetker die Wirksamkeit hessischer Mitstreiter desselben viele Mit¬
schuld an der Unbestimmtheit des die Verfassungsherstellung betreffenden Bun¬
desbeschlusses vom 24. Mai 1862, womit eine neue Quelle der fielen Strei¬
tigkeiten eröffnet war, in denen die hessischen Stände mit ihrer Regierung über
die Bedeutung und die Folgen jenes Beschlusses geriethen. Oetker war denn
auch mit demselben und großen Aeußerungen der Freude, wie sie z. B. von
Seiten des kürzlich verstorbenen Henkel laut wurden, nicht zufrieden. Die
Schauenburger Städte, Schmalkalden, und die Hauptstadt ernannten Anfang Juli
Oetker zum Ehrenbürger. Der sonst so viel Gemiedene war nun der Ge¬
suchte; Manche schienen zu glauben, daß hier auch die Quelle der neuen
Aera sei. Mit welchem Humor mag Oetker wohl die Ministercandidaten,
mochten sie nun aus Kassel, Hamburg oder sonst woher herbeigeeilt sein, be¬
trachtet haben, die sich in seinem Vorzimmer gezeigt haben sollen. DieNas^
wurde diesen vom Kurfürsten gedreht, der lauter Böcke zu Gärtnern im
restaurirten Verfassungsgarten bestellte; es kehrten aber, da das Gewitter
zurückzukehren schien, selbst die eigenwilligsten Schafe, so leicht ihnen auch die
Programme abgegangen waren, für den Augenblick williger zur bisherigen
Leitung zurück. Diese stieß übrigens unerwartet in Betreff der Wahlen zur
Ständeversammlung mehrfach aus Abneigung. Oetker hatte in seinem Blatte


haben wohl mehr als sonst irgend etwas den wenn auch nicht ganz zutreffen¬
den Untergrund für die in einer späteren Drohnote Preußens vorkommende
Wendung gegeben, wonach es „einen Heerd sich erneuerter Unruhen inmitten
seiner Provinzen" nicht dulden könne.

Schien auch der Rücktritt des liberalen preußischen Ministeriums im
März 1862 der Sache Hessens nicht günstig zu sein und wurde dadurch der
dort mehrfach schon bemerkliche Mißmuth über die bisherige Erfolglosigkeit
gesteigert, so scheint es fast, als ob Deutschlands größter Staatsmann im
Beginne seiner Ministerlaufbahn den hessischen Agitator besser verstanden habe
als seine Vorgänger und als die Philister der hessischen Hauptstadt, Die
Abweichung vieler hessischen Führer von Oetker's Ansicht üher das eine Zeit
lang zu einer deutschen Frage herangewachsene Wahlgesetz von 1849 trug
viel zu einer laueren Färbung der Bewegung und damit zur Verschleppung
des Resultates bei, aber Oetker wußte mit regster Thätigkeit und vieler
Strenge diese Frage gegen offene und geheime Widersacher durchzuführen und
dem Gewichte von, wie es scheint, Adeligen aus Hessen, auf welche Herr
v, Sydow sich stützte, ein Gegengewicht zu bieten, bis endlich Oesterreich die
Sache um jeden Preis zu erledigen sich entschloß und, nach dem Vorangehen
zweier Würzburger Regierungen , Preußen die Popularität wegzuhaschen suchte.
Immerhin aber hatte, als die kurfürstliche Regierung mit der famosen Zwangs-
Wahlverordnung vom April 1862 ihrem Fasse den Boden ausschlug, im Ge¬
gensatze zu Oetker die Wirksamkeit hessischer Mitstreiter desselben viele Mit¬
schuld an der Unbestimmtheit des die Verfassungsherstellung betreffenden Bun¬
desbeschlusses vom 24. Mai 1862, womit eine neue Quelle der fielen Strei¬
tigkeiten eröffnet war, in denen die hessischen Stände mit ihrer Regierung über
die Bedeutung und die Folgen jenes Beschlusses geriethen. Oetker war denn
auch mit demselben und großen Aeußerungen der Freude, wie sie z. B. von
Seiten des kürzlich verstorbenen Henkel laut wurden, nicht zufrieden. Die
Schauenburger Städte, Schmalkalden, und die Hauptstadt ernannten Anfang Juli
Oetker zum Ehrenbürger. Der sonst so viel Gemiedene war nun der Ge¬
suchte; Manche schienen zu glauben, daß hier auch die Quelle der neuen
Aera sei. Mit welchem Humor mag Oetker wohl die Ministercandidaten,
mochten sie nun aus Kassel, Hamburg oder sonst woher herbeigeeilt sein, be¬
trachtet haben, die sich in seinem Vorzimmer gezeigt haben sollen. DieNas^
wurde diesen vom Kurfürsten gedreht, der lauter Böcke zu Gärtnern im
restaurirten Verfassungsgarten bestellte; es kehrten aber, da das Gewitter
zurückzukehren schien, selbst die eigenwilligsten Schafe, so leicht ihnen auch die
Programme abgegangen waren, für den Augenblick williger zur bisherigen
Leitung zurück. Diese stieß übrigens unerwartet in Betreff der Wahlen zur
Ständeversammlung mehrfach aus Abneigung. Oetker hatte in seinem Blatte


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0179" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192982"/>
          <p xml:id="ID_550" prev="#ID_549"> haben wohl mehr als sonst irgend etwas den wenn auch nicht ganz zutreffen¬<lb/>
den Untergrund für die in einer späteren Drohnote Preußens vorkommende<lb/>
Wendung gegeben, wonach es &#x201E;einen Heerd sich erneuerter Unruhen inmitten<lb/>
seiner Provinzen" nicht dulden könne.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_551" next="#ID_552"> Schien auch der Rücktritt des liberalen preußischen Ministeriums im<lb/>
März 1862 der Sache Hessens nicht günstig zu sein und wurde dadurch der<lb/>
dort mehrfach schon bemerkliche Mißmuth über die bisherige Erfolglosigkeit<lb/>
gesteigert, so scheint es fast, als ob Deutschlands größter Staatsmann im<lb/>
Beginne seiner Ministerlaufbahn den hessischen Agitator besser verstanden habe<lb/>
als seine Vorgänger und als die Philister der hessischen Hauptstadt, Die<lb/>
Abweichung vieler hessischen Führer von Oetker's Ansicht üher das eine Zeit<lb/>
lang zu einer deutschen Frage herangewachsene Wahlgesetz von 1849 trug<lb/>
viel zu einer laueren Färbung der Bewegung und damit zur Verschleppung<lb/>
des Resultates bei, aber Oetker wußte mit regster Thätigkeit und vieler<lb/>
Strenge diese Frage gegen offene und geheime Widersacher durchzuführen und<lb/>
dem Gewichte von, wie es scheint, Adeligen aus Hessen, auf welche Herr<lb/>
v, Sydow sich stützte, ein Gegengewicht zu bieten, bis endlich Oesterreich die<lb/>
Sache um jeden Preis zu erledigen sich entschloß und, nach dem Vorangehen<lb/>
zweier Würzburger Regierungen , Preußen die Popularität wegzuhaschen suchte.<lb/>
Immerhin aber hatte, als die kurfürstliche Regierung mit der famosen Zwangs-<lb/>
Wahlverordnung vom April 1862 ihrem Fasse den Boden ausschlug, im Ge¬<lb/>
gensatze zu Oetker die Wirksamkeit hessischer Mitstreiter desselben viele Mit¬<lb/>
schuld an der Unbestimmtheit des die Verfassungsherstellung betreffenden Bun¬<lb/>
desbeschlusses vom 24. Mai 1862, womit eine neue Quelle der fielen Strei¬<lb/>
tigkeiten eröffnet war, in denen die hessischen Stände mit ihrer Regierung über<lb/>
die Bedeutung und die Folgen jenes Beschlusses geriethen. Oetker war denn<lb/>
auch mit demselben und großen Aeußerungen der Freude, wie sie z. B. von<lb/>
Seiten des kürzlich verstorbenen Henkel laut wurden, nicht zufrieden. Die<lb/>
Schauenburger Städte, Schmalkalden, und die Hauptstadt ernannten Anfang Juli<lb/>
Oetker zum Ehrenbürger. Der sonst so viel Gemiedene war nun der Ge¬<lb/>
suchte; Manche schienen zu glauben, daß hier auch die Quelle der neuen<lb/>
Aera sei. Mit welchem Humor mag Oetker wohl die Ministercandidaten,<lb/>
mochten sie nun aus Kassel, Hamburg oder sonst woher herbeigeeilt sein, be¬<lb/>
trachtet haben, die sich in seinem Vorzimmer gezeigt haben sollen. DieNas^<lb/>
wurde diesen vom Kurfürsten gedreht, der lauter Böcke zu Gärtnern im<lb/>
restaurirten Verfassungsgarten bestellte; es kehrten aber, da das Gewitter<lb/>
zurückzukehren schien, selbst die eigenwilligsten Schafe, so leicht ihnen auch die<lb/>
Programme abgegangen waren, für den Augenblick williger zur bisherigen<lb/>
Leitung zurück. Diese stieß übrigens unerwartet in Betreff der Wahlen zur<lb/>
Ständeversammlung mehrfach aus Abneigung. Oetker hatte in seinem Blatte</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0179] haben wohl mehr als sonst irgend etwas den wenn auch nicht ganz zutreffen¬ den Untergrund für die in einer späteren Drohnote Preußens vorkommende Wendung gegeben, wonach es „einen Heerd sich erneuerter Unruhen inmitten seiner Provinzen" nicht dulden könne. Schien auch der Rücktritt des liberalen preußischen Ministeriums im März 1862 der Sache Hessens nicht günstig zu sein und wurde dadurch der dort mehrfach schon bemerkliche Mißmuth über die bisherige Erfolglosigkeit gesteigert, so scheint es fast, als ob Deutschlands größter Staatsmann im Beginne seiner Ministerlaufbahn den hessischen Agitator besser verstanden habe als seine Vorgänger und als die Philister der hessischen Hauptstadt, Die Abweichung vieler hessischen Führer von Oetker's Ansicht üher das eine Zeit lang zu einer deutschen Frage herangewachsene Wahlgesetz von 1849 trug viel zu einer laueren Färbung der Bewegung und damit zur Verschleppung des Resultates bei, aber Oetker wußte mit regster Thätigkeit und vieler Strenge diese Frage gegen offene und geheime Widersacher durchzuführen und dem Gewichte von, wie es scheint, Adeligen aus Hessen, auf welche Herr v, Sydow sich stützte, ein Gegengewicht zu bieten, bis endlich Oesterreich die Sache um jeden Preis zu erledigen sich entschloß und, nach dem Vorangehen zweier Würzburger Regierungen , Preußen die Popularität wegzuhaschen suchte. Immerhin aber hatte, als die kurfürstliche Regierung mit der famosen Zwangs- Wahlverordnung vom April 1862 ihrem Fasse den Boden ausschlug, im Ge¬ gensatze zu Oetker die Wirksamkeit hessischer Mitstreiter desselben viele Mit¬ schuld an der Unbestimmtheit des die Verfassungsherstellung betreffenden Bun¬ desbeschlusses vom 24. Mai 1862, womit eine neue Quelle der fielen Strei¬ tigkeiten eröffnet war, in denen die hessischen Stände mit ihrer Regierung über die Bedeutung und die Folgen jenes Beschlusses geriethen. Oetker war denn auch mit demselben und großen Aeußerungen der Freude, wie sie z. B. von Seiten des kürzlich verstorbenen Henkel laut wurden, nicht zufrieden. Die Schauenburger Städte, Schmalkalden, und die Hauptstadt ernannten Anfang Juli Oetker zum Ehrenbürger. Der sonst so viel Gemiedene war nun der Ge¬ suchte; Manche schienen zu glauben, daß hier auch die Quelle der neuen Aera sei. Mit welchem Humor mag Oetker wohl die Ministercandidaten, mochten sie nun aus Kassel, Hamburg oder sonst woher herbeigeeilt sein, be¬ trachtet haben, die sich in seinem Vorzimmer gezeigt haben sollen. DieNas^ wurde diesen vom Kurfürsten gedreht, der lauter Böcke zu Gärtnern im restaurirten Verfassungsgarten bestellte; es kehrten aber, da das Gewitter zurückzukehren schien, selbst die eigenwilligsten Schafe, so leicht ihnen auch die Programme abgegangen waren, für den Augenblick williger zur bisherigen Leitung zurück. Diese stieß übrigens unerwartet in Betreff der Wahlen zur Ständeversammlung mehrfach aus Abneigung. Oetker hatte in seinem Blatte

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/179
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/179>, abgerufen am 06.02.2025.