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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Scher stellt beitragen mochten, und begab sich, nachdem die feste Haltung des
Landes für den Weiterverlauf der Dinge gesichert, auch seine zur Demonstra¬
tion erfolgte Wahl in den Bürgerausschuß zu Kassel die dauernde Anhäng¬
lichkeit der Bürger der Hauptstadt an seine Führung bekundet zu haben schien,
lediglich aus Gesundheitsgründen zu Anfang Octobers 1861 behufs längeren
Aufenthalts nach Verner am Genfer See, behielt aber auch hier die Haupt¬
faden in der Hand, scheint durch fortgesetzte Verbindungen mit einflußreichen
Stellen die gute Sache im Stillen um Vieles gefördert zu haben und sorgte
von dort her sogar für das Wachsen des Gemeinsinns und die andauernde
Lebendigkeit der Bewegung, während seine Zeitung in Kassel fortwährend
den Mittelpunkt der Verfasfungs-Agitutionen bildete, in gewisser Weise zu¬
gleich eine politische Auskunftsstelle für die Gesinnungsgenossen und das Cen¬
trum der Bewegungen für die nachfolgenden Wahlen zu den Landtagen ge¬
wesen zu sein scheint, wie auch Preußens vertrauliche Agenten früher dort
als sonstwo in Hessen erschienen sein sollen.

Bekanntlich war Preußens fortgesetzte Unentschiedenheit auch nach der im
Juni 1861 stattgehabten 2. Jneompetenzerklärung einer neuen 2. Kammer
der Hauptgrund, warum die Angelegenheit Kurhesseus, so nahe Ihrem Ziele,
sich doch noch unverhältnißmäßig in die Länge zog. Insbesondere spielten
incorrecte Lösungsversuche eine Rolle, welche sowohl am Bunde als auch im
eigenen Lager der hessischen Verfassungsfreunde entstanden. Letztere waren
offenbar die gefährlicheren, zumal sie von der konservativen Strömung am
berliner Hofe über die Maßen benutzt wurden, eine Unentschiedenheit und
Abneigung zu beschönigen, welche mit der Tendenz der Politik von Olmütz
nahe verwandt war. Suchte man doch diejenigen Bestimmungen der hessischen
Verfassung von 183l, um die es sich grade drehte, sehr ohne Grund als
dem monarchischen Principe widerstreitend darzustellen und sah hierbei auf
kaum mehr als die Entstehungszeit derselben, die Jahre der deutschen Bewe¬
gung. Gegen alle diese Lösungsversuche trat Oetker mit aller Entschiedenheit
auf. Es war klar, daß in dem hauptsächlich wieder durch die Rivalität der deut¬
schen Mächte immer verworrener werdenden Labyrinthe dieser Berfassungs-
sache schließlich das Verhalten Hessens selbst, wofern es entschieden und ein-
müthig blieb, den Ausschlag geben mußte. Früh genug offenbarte sich, daß
es den deutschen Machten im Grunde mehr auf andere Dinge als auf die
Eigenschaften gewisser Gesetze und Verfassungsparagraphen Hessens ankam.
Mochte es Oetker als einzelnem Manne, so sehr an einflußreichen Stellen
in Berlin sein Ansetzn allezeit das anderer Männer aus Hessen überwogen zu
haben scheint, schwer werden, den Rechtsstandpunkt gegenüber den Bestre¬
bungen der Würzburger Regierungen und den Halbheiten Preußens immer
an den rechten Stellen geltend zu machen, so war sein Streben um so mehr


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Scher stellt beitragen mochten, und begab sich, nachdem die feste Haltung des
Landes für den Weiterverlauf der Dinge gesichert, auch seine zur Demonstra¬
tion erfolgte Wahl in den Bürgerausschuß zu Kassel die dauernde Anhäng¬
lichkeit der Bürger der Hauptstadt an seine Führung bekundet zu haben schien,
lediglich aus Gesundheitsgründen zu Anfang Octobers 1861 behufs längeren
Aufenthalts nach Verner am Genfer See, behielt aber auch hier die Haupt¬
faden in der Hand, scheint durch fortgesetzte Verbindungen mit einflußreichen
Stellen die gute Sache im Stillen um Vieles gefördert zu haben und sorgte
von dort her sogar für das Wachsen des Gemeinsinns und die andauernde
Lebendigkeit der Bewegung, während seine Zeitung in Kassel fortwährend
den Mittelpunkt der Verfasfungs-Agitutionen bildete, in gewisser Weise zu¬
gleich eine politische Auskunftsstelle für die Gesinnungsgenossen und das Cen¬
trum der Bewegungen für die nachfolgenden Wahlen zu den Landtagen ge¬
wesen zu sein scheint, wie auch Preußens vertrauliche Agenten früher dort
als sonstwo in Hessen erschienen sein sollen.

Bekanntlich war Preußens fortgesetzte Unentschiedenheit auch nach der im
Juni 1861 stattgehabten 2. Jneompetenzerklärung einer neuen 2. Kammer
der Hauptgrund, warum die Angelegenheit Kurhesseus, so nahe Ihrem Ziele,
sich doch noch unverhältnißmäßig in die Länge zog. Insbesondere spielten
incorrecte Lösungsversuche eine Rolle, welche sowohl am Bunde als auch im
eigenen Lager der hessischen Verfassungsfreunde entstanden. Letztere waren
offenbar die gefährlicheren, zumal sie von der konservativen Strömung am
berliner Hofe über die Maßen benutzt wurden, eine Unentschiedenheit und
Abneigung zu beschönigen, welche mit der Tendenz der Politik von Olmütz
nahe verwandt war. Suchte man doch diejenigen Bestimmungen der hessischen
Verfassung von 183l, um die es sich grade drehte, sehr ohne Grund als
dem monarchischen Principe widerstreitend darzustellen und sah hierbei auf
kaum mehr als die Entstehungszeit derselben, die Jahre der deutschen Bewe¬
gung. Gegen alle diese Lösungsversuche trat Oetker mit aller Entschiedenheit
auf. Es war klar, daß in dem hauptsächlich wieder durch die Rivalität der deut¬
schen Mächte immer verworrener werdenden Labyrinthe dieser Berfassungs-
sache schließlich das Verhalten Hessens selbst, wofern es entschieden und ein-
müthig blieb, den Ausschlag geben mußte. Früh genug offenbarte sich, daß
es den deutschen Machten im Grunde mehr auf andere Dinge als auf die
Eigenschaften gewisser Gesetze und Verfassungsparagraphen Hessens ankam.
Mochte es Oetker als einzelnem Manne, so sehr an einflußreichen Stellen
in Berlin sein Ansetzn allezeit das anderer Männer aus Hessen überwogen zu
haben scheint, schwer werden, den Rechtsstandpunkt gegenüber den Bestre¬
bungen der Würzburger Regierungen und den Halbheiten Preußens immer
an den rechten Stellen geltend zu machen, so war sein Streben um so mehr


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[0177] Scher stellt beitragen mochten, und begab sich, nachdem die feste Haltung des Landes für den Weiterverlauf der Dinge gesichert, auch seine zur Demonstra¬ tion erfolgte Wahl in den Bürgerausschuß zu Kassel die dauernde Anhäng¬ lichkeit der Bürger der Hauptstadt an seine Führung bekundet zu haben schien, lediglich aus Gesundheitsgründen zu Anfang Octobers 1861 behufs längeren Aufenthalts nach Verner am Genfer See, behielt aber auch hier die Haupt¬ faden in der Hand, scheint durch fortgesetzte Verbindungen mit einflußreichen Stellen die gute Sache im Stillen um Vieles gefördert zu haben und sorgte von dort her sogar für das Wachsen des Gemeinsinns und die andauernde Lebendigkeit der Bewegung, während seine Zeitung in Kassel fortwährend den Mittelpunkt der Verfasfungs-Agitutionen bildete, in gewisser Weise zu¬ gleich eine politische Auskunftsstelle für die Gesinnungsgenossen und das Cen¬ trum der Bewegungen für die nachfolgenden Wahlen zu den Landtagen ge¬ wesen zu sein scheint, wie auch Preußens vertrauliche Agenten früher dort als sonstwo in Hessen erschienen sein sollen. Bekanntlich war Preußens fortgesetzte Unentschiedenheit auch nach der im Juni 1861 stattgehabten 2. Jneompetenzerklärung einer neuen 2. Kammer der Hauptgrund, warum die Angelegenheit Kurhesseus, so nahe Ihrem Ziele, sich doch noch unverhältnißmäßig in die Länge zog. Insbesondere spielten incorrecte Lösungsversuche eine Rolle, welche sowohl am Bunde als auch im eigenen Lager der hessischen Verfassungsfreunde entstanden. Letztere waren offenbar die gefährlicheren, zumal sie von der konservativen Strömung am berliner Hofe über die Maßen benutzt wurden, eine Unentschiedenheit und Abneigung zu beschönigen, welche mit der Tendenz der Politik von Olmütz nahe verwandt war. Suchte man doch diejenigen Bestimmungen der hessischen Verfassung von 183l, um die es sich grade drehte, sehr ohne Grund als dem monarchischen Principe widerstreitend darzustellen und sah hierbei auf kaum mehr als die Entstehungszeit derselben, die Jahre der deutschen Bewe¬ gung. Gegen alle diese Lösungsversuche trat Oetker mit aller Entschiedenheit auf. Es war klar, daß in dem hauptsächlich wieder durch die Rivalität der deut¬ schen Mächte immer verworrener werdenden Labyrinthe dieser Berfassungs- sache schließlich das Verhalten Hessens selbst, wofern es entschieden und ein- müthig blieb, den Ausschlag geben mußte. Früh genug offenbarte sich, daß es den deutschen Machten im Grunde mehr auf andere Dinge als auf die Eigenschaften gewisser Gesetze und Verfassungsparagraphen Hessens ankam. Mochte es Oetker als einzelnem Manne, so sehr an einflußreichen Stellen in Berlin sein Ansetzn allezeit das anderer Männer aus Hessen überwogen zu haben scheint, schwer werden, den Rechtsstandpunkt gegenüber den Bestre¬ bungen der Würzburger Regierungen und den Halbheiten Preußens immer an den rechten Stellen geltend zu machen, so war sein Streben um so mehr GlMjboten lit. >87ü. 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/177>, abgerufen am 06.02.2025.