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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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eine indirecte Aufforderung zum Beitritt, aber Wenige folgten ihm weiter
auf dieser Bahn. Freilich wurde er in dieser Sache gerichtlich verfolgt, doch
verlief dies Angesichts der späteren Entwicklung im Sande.

Es war schon eine Folge von Oetker's Agitation, daß die 2. Kammer
ihre bisher schon gezeigte Abneigung gegen Legalifirung des Provisoriums er¬
heblich steigerte und im Nov. 1859 für Herstellung der Verfassung von 1831,
nebst Zusätzen aus 1848 und 49 auftrat, namentlich daß sie gegen die Un¬
terstellung sich verwahrte, als habe das Volk durch Vornahme der Wahlen
die provisorische Verfassung anerkannt, ferner, daß dieMgeordneten, welche sich
so lauge auf letztere eingelassen hatten, im Februar 1860 vom Bunde gegen
die Annahme protestirten, als seien sie an die 1867 von ihrer Vorgängerin
vorgeschlagenen Aenderungen der provisorischen Verfassung gebunden; eine
weitere Folge war es aber auch, daß unter den Bundesgliedern die hessische
Sache wieder zur Erörterung kam, daß z. B. Sachsen am 12. November
1860 darauf aufmerksam machte, wie die "Bundeswidrigkeiten" noch nicht ein¬
mal festgestellt seien und daß Preußen für diese Sache die Wahl eines neuen
Bundestagsausschusses an Stelle des berüchtigten Reactionsausschusses durch¬
setzte. Es war eine politische Demonstration der Bürger von Kassel, daß sie
im Dec. 18S9 in allen Abtheilungen einstimmig Oetker in den Stadtrath
wählten. Die Negierung versagte die "Gesetzmäßigkeitserklärung" dieser Wahl,
indem sie sich auf eine nach den bestehenden Normen unrechtmäßige Verord¬
nung stützte, deren Zweck gewesen war, die Kammer gefügiger zu machen.

Die eigentlichen Schwierigkeiten für eine reine Durchkämpfung der hessi¬
schen Sache begannn für Oetker, als Preußens Schwäche zu dem von Oester¬
reich bewirkten Bundesbeschlusse v. 24. Mai 1860 geführt hatte, welcher der
hessischen Regierung den Muth gab, die provisorischen Verfassungszustande
für beendet zu erklären und eine definitive Verfassung zu verkündigen. Da¬
mals würde vielleicht Gefahr gewesen sein, daß man in Hessen die Sache für
abgethan angenommen hätte, allein die Führung des agitirenden Volks¬
manns ließ solche Gedanken nicht auskommen. Sie blieb allein maßgebend,
und mit unbedingtem Vertrauen ließ man überall in Hessen von Oetker die
Wege sich zeigen. Der schlichte Mann war auch nicht im Stande, sich in
den vielen Rechtsfragen des Bundes- und Staatsrechts, den mancherlei Ver¬
wicklungen der formellen Lage der Sache zurecht zu finden, das Wesentliche
herauszugreifen und in dem ganzen Gewirre von Bundeswidrigkeiten, Bun¬
desbeschlüssen, Erklärungen, Entgegnungen, Noten und Nichtswürdigkeiten
den leitenden Faden festzuhalten. Die allmählig in Hessen eintretende löb¬
liche Betheiligung Anderer an der Führung gereichte der Sache nicht immer
zum Bortheil, und wo Mangel an Muth zu offenem Auftreten und Charak¬
terschwäche sich mit Ehrgeiz paarten, da entstanden Verdächtigungen Oetker's,


eine indirecte Aufforderung zum Beitritt, aber Wenige folgten ihm weiter
auf dieser Bahn. Freilich wurde er in dieser Sache gerichtlich verfolgt, doch
verlief dies Angesichts der späteren Entwicklung im Sande.

Es war schon eine Folge von Oetker's Agitation, daß die 2. Kammer
ihre bisher schon gezeigte Abneigung gegen Legalifirung des Provisoriums er¬
heblich steigerte und im Nov. 1859 für Herstellung der Verfassung von 1831,
nebst Zusätzen aus 1848 und 49 auftrat, namentlich daß sie gegen die Un¬
terstellung sich verwahrte, als habe das Volk durch Vornahme der Wahlen
die provisorische Verfassung anerkannt, ferner, daß dieMgeordneten, welche sich
so lauge auf letztere eingelassen hatten, im Februar 1860 vom Bunde gegen
die Annahme protestirten, als seien sie an die 1867 von ihrer Vorgängerin
vorgeschlagenen Aenderungen der provisorischen Verfassung gebunden; eine
weitere Folge war es aber auch, daß unter den Bundesgliedern die hessische
Sache wieder zur Erörterung kam, daß z. B. Sachsen am 12. November
1860 darauf aufmerksam machte, wie die „Bundeswidrigkeiten" noch nicht ein¬
mal festgestellt seien und daß Preußen für diese Sache die Wahl eines neuen
Bundestagsausschusses an Stelle des berüchtigten Reactionsausschusses durch¬
setzte. Es war eine politische Demonstration der Bürger von Kassel, daß sie
im Dec. 18S9 in allen Abtheilungen einstimmig Oetker in den Stadtrath
wählten. Die Negierung versagte die „Gesetzmäßigkeitserklärung" dieser Wahl,
indem sie sich auf eine nach den bestehenden Normen unrechtmäßige Verord¬
nung stützte, deren Zweck gewesen war, die Kammer gefügiger zu machen.

Die eigentlichen Schwierigkeiten für eine reine Durchkämpfung der hessi¬
schen Sache begannn für Oetker, als Preußens Schwäche zu dem von Oester¬
reich bewirkten Bundesbeschlusse v. 24. Mai 1860 geführt hatte, welcher der
hessischen Regierung den Muth gab, die provisorischen Verfassungszustande
für beendet zu erklären und eine definitive Verfassung zu verkündigen. Da¬
mals würde vielleicht Gefahr gewesen sein, daß man in Hessen die Sache für
abgethan angenommen hätte, allein die Führung des agitirenden Volks¬
manns ließ solche Gedanken nicht auskommen. Sie blieb allein maßgebend,
und mit unbedingtem Vertrauen ließ man überall in Hessen von Oetker die
Wege sich zeigen. Der schlichte Mann war auch nicht im Stande, sich in
den vielen Rechtsfragen des Bundes- und Staatsrechts, den mancherlei Ver¬
wicklungen der formellen Lage der Sache zurecht zu finden, das Wesentliche
herauszugreifen und in dem ganzen Gewirre von Bundeswidrigkeiten, Bun¬
desbeschlüssen, Erklärungen, Entgegnungen, Noten und Nichtswürdigkeiten
den leitenden Faden festzuhalten. Die allmählig in Hessen eintretende löb¬
liche Betheiligung Anderer an der Führung gereichte der Sache nicht immer
zum Bortheil, und wo Mangel an Muth zu offenem Auftreten und Charak¬
terschwäche sich mit Ehrgeiz paarten, da entstanden Verdächtigungen Oetker's,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/175>, abgerufen am 06.02.2025.