Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Universitäten, wie viel mehr noch die Volksschulen dienstbar gemacht our^
den. 1794 ward verordnet, daß alle Lehrer sich durch Reverse zur strengen
Befolgung des berüchtigten Religionsedictes zu verpflichten hätten.

Wir erwähnten vorhin die Seminarien. Die ersten Bildungsanstalten
für Lehrer gingen von Privaten aus. Die berühmteste war die von H. A.
Franke, das Waisenhaus zu Halle. Seit Mitte des vorigen Jahrhunderts
finden wir dann solche auf Staatskosten in den meisten Ländern, in Hanno¬
ver seit 1750, in Nassau seit 1778, in Hessen-Kassel seit 1780, in Sachsen
seit 1788, u, s. w. Als besonders gut werden die in Gotha und in Baden ge¬
schildert. Das Seminar zu Karlsruhe unterwies seine Zöglinge außer in Reli¬
gion, Katechisiren und Musik auch in Geometrie, Mechanik, Naturlehre, öko¬
nomischen ^Kenntnissen (besonders im Oculiren), im Briefschreiben, Zeichnen,
Fertigung von Baurissen, Geographie, vaterländischer Geschichte und sogar im
Latein -- fast zuviel des Guten für einen Lehrer, dessen in seinem künftigen
Berufe materiell und social nur eine so beengte Stellung wartete.

Auch der Bischof von Fulda verlangte von allen Lehrern eine Seminar¬
vorbildung, wies ihnen aber auch dafür (in den Städten) den Rang unmit¬
telbar nach den Magistratspersonen an.

Von den Lehrern kommen wir auf die Schulen. Mit dem Schulzwange
fing man es im vorigen Jahrhundert an strenger zu halten. Und zwar
dehnte man denselben weiter aus als heutzutage. Man wollte durch die ex¬
tensive Erweiterung des Unterrichts ersetzen, was demselben an intensivem Ge¬
halt fehlte. Stracks entgegen dem jetzt mehr und mehr durchdringenden pä¬
dagogischen und ärztlichen Grundsatze, nicht zu früh mit dem methodischen
und angestrengten Unterricht zu beginnen, trieb man damals die Kinder zum
Theil schon mit dem fünften Lebensjahr in die Schule. So finden wir es
z. B. vorgeschrieben in einer Anweisung des kurfürstlich sächsischen Kreisamts
Wittenberg an die Dorsgerichte von 1773. Daß dies allgemeiner geschah, geht
auch u. A. hervor aus einem Reglement Friedrich's des Großen für die
deutsch-reformirten Schulen in Cleve und der Mark von 1782, welches Reglement
dadurch besonders interessant ist, daß wir darin bereits eine Hinweisung auf
die Errichtung von -- Kindergärten finden. Es heißt nämlich daselbst: man
solle in der öffentlichen Schule keine Kinder "unter fünf Jahren" aufnehmen.
"Damit es aber", fährt das Reglement fort, "in blühenden, besonders Stadt¬
gemeinden nicht an Gelegenheit fehle, solche "Säuglinge"(!) die ersten, einfach¬
sten Anfangsgründe der Erkenntniß zu lehren, müssen die Consistorien
Sorge tragen, daß für diese zarten Kinder besondere Schulen, (!) wie auch
bereits an mehreren Orten üblich ist, angelegt oder ihnen von einem Haus¬
genossen des Schulmeisters in einem besonderen Zimmer Unterricht ertheilt
werde." In dem Schulreglement von 1763 dagegen heißt es noch, die Kinder


Universitäten, wie viel mehr noch die Volksschulen dienstbar gemacht our^
den. 1794 ward verordnet, daß alle Lehrer sich durch Reverse zur strengen
Befolgung des berüchtigten Religionsedictes zu verpflichten hätten.

Wir erwähnten vorhin die Seminarien. Die ersten Bildungsanstalten
für Lehrer gingen von Privaten aus. Die berühmteste war die von H. A.
Franke, das Waisenhaus zu Halle. Seit Mitte des vorigen Jahrhunderts
finden wir dann solche auf Staatskosten in den meisten Ländern, in Hanno¬
ver seit 1750, in Nassau seit 1778, in Hessen-Kassel seit 1780, in Sachsen
seit 1788, u, s. w. Als besonders gut werden die in Gotha und in Baden ge¬
schildert. Das Seminar zu Karlsruhe unterwies seine Zöglinge außer in Reli¬
gion, Katechisiren und Musik auch in Geometrie, Mechanik, Naturlehre, öko¬
nomischen ^Kenntnissen (besonders im Oculiren), im Briefschreiben, Zeichnen,
Fertigung von Baurissen, Geographie, vaterländischer Geschichte und sogar im
Latein — fast zuviel des Guten für einen Lehrer, dessen in seinem künftigen
Berufe materiell und social nur eine so beengte Stellung wartete.

Auch der Bischof von Fulda verlangte von allen Lehrern eine Seminar¬
vorbildung, wies ihnen aber auch dafür (in den Städten) den Rang unmit¬
telbar nach den Magistratspersonen an.

Von den Lehrern kommen wir auf die Schulen. Mit dem Schulzwange
fing man es im vorigen Jahrhundert an strenger zu halten. Und zwar
dehnte man denselben weiter aus als heutzutage. Man wollte durch die ex¬
tensive Erweiterung des Unterrichts ersetzen, was demselben an intensivem Ge¬
halt fehlte. Stracks entgegen dem jetzt mehr und mehr durchdringenden pä¬
dagogischen und ärztlichen Grundsatze, nicht zu früh mit dem methodischen
und angestrengten Unterricht zu beginnen, trieb man damals die Kinder zum
Theil schon mit dem fünften Lebensjahr in die Schule. So finden wir es
z. B. vorgeschrieben in einer Anweisung des kurfürstlich sächsischen Kreisamts
Wittenberg an die Dorsgerichte von 1773. Daß dies allgemeiner geschah, geht
auch u. A. hervor aus einem Reglement Friedrich's des Großen für die
deutsch-reformirten Schulen in Cleve und der Mark von 1782, welches Reglement
dadurch besonders interessant ist, daß wir darin bereits eine Hinweisung auf
die Errichtung von — Kindergärten finden. Es heißt nämlich daselbst: man
solle in der öffentlichen Schule keine Kinder „unter fünf Jahren" aufnehmen.
„Damit es aber", fährt das Reglement fort, „in blühenden, besonders Stadt¬
gemeinden nicht an Gelegenheit fehle, solche „Säuglinge"(!) die ersten, einfach¬
sten Anfangsgründe der Erkenntniß zu lehren, müssen die Consistorien
Sorge tragen, daß für diese zarten Kinder besondere Schulen, (!) wie auch
bereits an mehreren Orten üblich ist, angelegt oder ihnen von einem Haus¬
genossen des Schulmeisters in einem besonderen Zimmer Unterricht ertheilt
werde." In dem Schulreglement von 1763 dagegen heißt es noch, die Kinder


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0160" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192963"/>
            <p xml:id="ID_489" prev="#ID_488"> Universitäten, wie viel mehr noch die Volksschulen dienstbar gemacht our^<lb/>
den. 1794 ward verordnet, daß alle Lehrer sich durch Reverse zur strengen<lb/>
Befolgung des berüchtigten Religionsedictes zu verpflichten hätten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_490"> Wir erwähnten vorhin die Seminarien. Die ersten Bildungsanstalten<lb/>
für Lehrer gingen von Privaten aus. Die berühmteste war die von H. A.<lb/>
Franke, das Waisenhaus zu Halle. Seit Mitte des vorigen Jahrhunderts<lb/>
finden wir dann solche auf Staatskosten in den meisten Ländern, in Hanno¬<lb/>
ver seit 1750, in Nassau seit 1778, in Hessen-Kassel seit 1780, in Sachsen<lb/>
seit 1788, u, s. w. Als besonders gut werden die in Gotha und in Baden ge¬<lb/>
schildert. Das Seminar zu Karlsruhe unterwies seine Zöglinge außer in Reli¬<lb/>
gion, Katechisiren und Musik auch in Geometrie, Mechanik, Naturlehre, öko¬<lb/>
nomischen ^Kenntnissen (besonders im Oculiren), im Briefschreiben, Zeichnen,<lb/>
Fertigung von Baurissen, Geographie, vaterländischer Geschichte und sogar im<lb/>
Latein &#x2014; fast zuviel des Guten für einen Lehrer, dessen in seinem künftigen<lb/>
Berufe materiell und social nur eine so beengte Stellung wartete.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_491"> Auch der Bischof von Fulda verlangte von allen Lehrern eine Seminar¬<lb/>
vorbildung, wies ihnen aber auch dafür (in den Städten) den Rang unmit¬<lb/>
telbar nach den Magistratspersonen an.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_492" next="#ID_493"> Von den Lehrern kommen wir auf die Schulen. Mit dem Schulzwange<lb/>
fing man es im vorigen Jahrhundert an strenger zu halten. Und zwar<lb/>
dehnte man denselben weiter aus als heutzutage. Man wollte durch die ex¬<lb/>
tensive Erweiterung des Unterrichts ersetzen, was demselben an intensivem Ge¬<lb/>
halt fehlte. Stracks entgegen dem jetzt mehr und mehr durchdringenden pä¬<lb/>
dagogischen und ärztlichen Grundsatze, nicht zu früh mit dem methodischen<lb/>
und angestrengten Unterricht zu beginnen, trieb man damals die Kinder zum<lb/>
Theil schon mit dem fünften Lebensjahr in die Schule. So finden wir es<lb/>
z. B. vorgeschrieben in einer Anweisung des kurfürstlich sächsischen Kreisamts<lb/>
Wittenberg an die Dorsgerichte von 1773. Daß dies allgemeiner geschah, geht<lb/>
auch u. A. hervor aus einem Reglement Friedrich's des Großen für die<lb/>
deutsch-reformirten Schulen in Cleve und der Mark von 1782, welches Reglement<lb/>
dadurch besonders interessant ist, daß wir darin bereits eine Hinweisung auf<lb/>
die Errichtung von &#x2014; Kindergärten finden. Es heißt nämlich daselbst: man<lb/>
solle in der öffentlichen Schule keine Kinder &#x201E;unter fünf Jahren" aufnehmen.<lb/>
&#x201E;Damit es aber", fährt das Reglement fort, &#x201E;in blühenden, besonders Stadt¬<lb/>
gemeinden nicht an Gelegenheit fehle, solche &#x201E;Säuglinge"(!) die ersten, einfach¬<lb/>
sten Anfangsgründe der Erkenntniß zu lehren, müssen die Consistorien<lb/>
Sorge tragen, daß für diese zarten Kinder besondere Schulen, (!) wie auch<lb/>
bereits an mehreren Orten üblich ist, angelegt oder ihnen von einem Haus¬<lb/>
genossen des Schulmeisters in einem besonderen Zimmer Unterricht ertheilt<lb/>
werde." In dem Schulreglement von 1763 dagegen heißt es noch, die Kinder</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0160] Universitäten, wie viel mehr noch die Volksschulen dienstbar gemacht our^ den. 1794 ward verordnet, daß alle Lehrer sich durch Reverse zur strengen Befolgung des berüchtigten Religionsedictes zu verpflichten hätten. Wir erwähnten vorhin die Seminarien. Die ersten Bildungsanstalten für Lehrer gingen von Privaten aus. Die berühmteste war die von H. A. Franke, das Waisenhaus zu Halle. Seit Mitte des vorigen Jahrhunderts finden wir dann solche auf Staatskosten in den meisten Ländern, in Hanno¬ ver seit 1750, in Nassau seit 1778, in Hessen-Kassel seit 1780, in Sachsen seit 1788, u, s. w. Als besonders gut werden die in Gotha und in Baden ge¬ schildert. Das Seminar zu Karlsruhe unterwies seine Zöglinge außer in Reli¬ gion, Katechisiren und Musik auch in Geometrie, Mechanik, Naturlehre, öko¬ nomischen ^Kenntnissen (besonders im Oculiren), im Briefschreiben, Zeichnen, Fertigung von Baurissen, Geographie, vaterländischer Geschichte und sogar im Latein — fast zuviel des Guten für einen Lehrer, dessen in seinem künftigen Berufe materiell und social nur eine so beengte Stellung wartete. Auch der Bischof von Fulda verlangte von allen Lehrern eine Seminar¬ vorbildung, wies ihnen aber auch dafür (in den Städten) den Rang unmit¬ telbar nach den Magistratspersonen an. Von den Lehrern kommen wir auf die Schulen. Mit dem Schulzwange fing man es im vorigen Jahrhundert an strenger zu halten. Und zwar dehnte man denselben weiter aus als heutzutage. Man wollte durch die ex¬ tensive Erweiterung des Unterrichts ersetzen, was demselben an intensivem Ge¬ halt fehlte. Stracks entgegen dem jetzt mehr und mehr durchdringenden pä¬ dagogischen und ärztlichen Grundsatze, nicht zu früh mit dem methodischen und angestrengten Unterricht zu beginnen, trieb man damals die Kinder zum Theil schon mit dem fünften Lebensjahr in die Schule. So finden wir es z. B. vorgeschrieben in einer Anweisung des kurfürstlich sächsischen Kreisamts Wittenberg an die Dorsgerichte von 1773. Daß dies allgemeiner geschah, geht auch u. A. hervor aus einem Reglement Friedrich's des Großen für die deutsch-reformirten Schulen in Cleve und der Mark von 1782, welches Reglement dadurch besonders interessant ist, daß wir darin bereits eine Hinweisung auf die Errichtung von — Kindergärten finden. Es heißt nämlich daselbst: man solle in der öffentlichen Schule keine Kinder „unter fünf Jahren" aufnehmen. „Damit es aber", fährt das Reglement fort, „in blühenden, besonders Stadt¬ gemeinden nicht an Gelegenheit fehle, solche „Säuglinge"(!) die ersten, einfach¬ sten Anfangsgründe der Erkenntniß zu lehren, müssen die Consistorien Sorge tragen, daß für diese zarten Kinder besondere Schulen, (!) wie auch bereits an mehreren Orten üblich ist, angelegt oder ihnen von einem Haus¬ genossen des Schulmeisters in einem besonderen Zimmer Unterricht ertheilt werde." In dem Schulreglement von 1763 dagegen heißt es noch, die Kinder

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/160
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/160>, abgerufen am 06.02.2025.