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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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katholischer Unterthanen in protestantischen Ländern zu stellen. Man hätte
damit nur ein desto direkteres und überdies heimliches Verhältniß zu Rom
auf Seiten zahlreicher und wichtiger Bevölkcrungselemente begründet. An¬
statt vom Staat eingesetzter oder miteingcsetzter und controllirter Bischöfe hätte
man päpstliche Vikare, eine nicht unsichtbare, aber anonyme Loge bekommen,
deren Mitglieder nach Millionen zählten. Es gab einen dritten Weg; ihn
hatte Wessenbcrg auf dem wiener Congreß empfohlen: die Gründung einer
katholisch-deutschen Nationalkirche mit einem deutschen Primas an der Spitze.
Wessenberg verfolgte diese Ideen auch nach dem Schluß des wiener Congresses
namentlich in Frankfurt vor dem Zusammentritt des Bundestages. Er regte
den Plan unter Anderem bei Wilhelm v. Humboldt an. Die preußischen
Staatsmänner faßten kein Herz dazu. Einige meinten, ein deutscher Primas
könne schlimmer werden als der Papst. In der That konnte man die Ent¬
wicklung des Papstthums, wie natürlich sie uns jetzt scheinen mag, damals
nicht voraussehen. Man konnte annehmen, das Papstthum, das eben erst
durch Preußens diplomatische Unterstützung zu seinem alten weltlichen Besitz
gelangt war, werde noch manche Bedrängniß zu bestehen haben, die es einer
deutschen und protestantischen, aber übrigens wohlwollenden Macht gegenüber
billig oder geschmeidig machen müsse. Der Hauptgrund' aber, warum Preu¬
ßen auf solche Pläne nicht eingehen konnte, die überhaupt nur Aussicht auf
Gelingen hatten, wenn es sich zu ihrem Hauptverfechter machte, war folgen¬
der. Preußen konnte und durfte niemals angeblich deutsche Gewalten in
seinen Grenzen zulassen, die nicht völlig innerhalb derselben lagen, so lange
es nicht selbst die Exekutive Deutschlands inne hatte. Mit anderen Worten,
Preußen konnte und kann erst von dem Augenblick an deutsch sein, wo es
an der Spitze Deutschlands steht. Auf dem anderen Wege hätte es seine
eigene Mediatisirung herbeigeführt zur eignen Unehre und zu des deutschen
Volkes nicht wieder gut zu machenden Unheil. Die Abwendung der Media¬
tisirung Preußens durch einen östreichisch-mittelstaatlichen Bund war etwas
anderes, als der gewöhnliche egoistische Partikularismus. Denn auf jenem
Wege konnte die politische Nationalität Deutschlands nie gegründet werden,
weil die stärksten Faktoren eines östreichisch-mittelstaatlichen Bundes antina¬
tionaler, außerdeutschcr, jesuitisch-romanischer und feudal slavischer Natur
waren, verbunden mit der dynastischen Engherzigkeit des Klcinstaatenthums.
Erst seitdem Preußen die Reichski'one trägt, kann es Elementen, die nicht
an sich antinational sind, Einfluß auch auf die Umwandlung des eignen
Staatsbaues einräumen. Wenn es also nicht möglich war oder jedenfalls
nicht räthlich, die katholisch-deutschen Verhältnisse vom deutschen Bunde aus
zu ordnen, so blieb nur der Weg für Preußen übrig, diese Verhältnisse inner¬
halb des eignen Staates mit Hülse einer möglichst vortheilhaften Ueberein-


katholischer Unterthanen in protestantischen Ländern zu stellen. Man hätte
damit nur ein desto direkteres und überdies heimliches Verhältniß zu Rom
auf Seiten zahlreicher und wichtiger Bevölkcrungselemente begründet. An¬
statt vom Staat eingesetzter oder miteingcsetzter und controllirter Bischöfe hätte
man päpstliche Vikare, eine nicht unsichtbare, aber anonyme Loge bekommen,
deren Mitglieder nach Millionen zählten. Es gab einen dritten Weg; ihn
hatte Wessenbcrg auf dem wiener Congreß empfohlen: die Gründung einer
katholisch-deutschen Nationalkirche mit einem deutschen Primas an der Spitze.
Wessenberg verfolgte diese Ideen auch nach dem Schluß des wiener Congresses
namentlich in Frankfurt vor dem Zusammentritt des Bundestages. Er regte
den Plan unter Anderem bei Wilhelm v. Humboldt an. Die preußischen
Staatsmänner faßten kein Herz dazu. Einige meinten, ein deutscher Primas
könne schlimmer werden als der Papst. In der That konnte man die Ent¬
wicklung des Papstthums, wie natürlich sie uns jetzt scheinen mag, damals
nicht voraussehen. Man konnte annehmen, das Papstthum, das eben erst
durch Preußens diplomatische Unterstützung zu seinem alten weltlichen Besitz
gelangt war, werde noch manche Bedrängniß zu bestehen haben, die es einer
deutschen und protestantischen, aber übrigens wohlwollenden Macht gegenüber
billig oder geschmeidig machen müsse. Der Hauptgrund' aber, warum Preu¬
ßen auf solche Pläne nicht eingehen konnte, die überhaupt nur Aussicht auf
Gelingen hatten, wenn es sich zu ihrem Hauptverfechter machte, war folgen¬
der. Preußen konnte und durfte niemals angeblich deutsche Gewalten in
seinen Grenzen zulassen, die nicht völlig innerhalb derselben lagen, so lange
es nicht selbst die Exekutive Deutschlands inne hatte. Mit anderen Worten,
Preußen konnte und kann erst von dem Augenblick an deutsch sein, wo es
an der Spitze Deutschlands steht. Auf dem anderen Wege hätte es seine
eigene Mediatisirung herbeigeführt zur eignen Unehre und zu des deutschen
Volkes nicht wieder gut zu machenden Unheil. Die Abwendung der Media¬
tisirung Preußens durch einen östreichisch-mittelstaatlichen Bund war etwas
anderes, als der gewöhnliche egoistische Partikularismus. Denn auf jenem
Wege konnte die politische Nationalität Deutschlands nie gegründet werden,
weil die stärksten Faktoren eines östreichisch-mittelstaatlichen Bundes antina¬
tionaler, außerdeutschcr, jesuitisch-romanischer und feudal slavischer Natur
waren, verbunden mit der dynastischen Engherzigkeit des Klcinstaatenthums.
Erst seitdem Preußen die Reichski'one trägt, kann es Elementen, die nicht
an sich antinational sind, Einfluß auch auf die Umwandlung des eignen
Staatsbaues einräumen. Wenn es also nicht möglich war oder jedenfalls
nicht räthlich, die katholisch-deutschen Verhältnisse vom deutschen Bunde aus
zu ordnen, so blieb nur der Weg für Preußen übrig, diese Verhältnisse inner¬
halb des eignen Staates mit Hülse einer möglichst vortheilhaften Ueberein-


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[0147] katholischer Unterthanen in protestantischen Ländern zu stellen. Man hätte damit nur ein desto direkteres und überdies heimliches Verhältniß zu Rom auf Seiten zahlreicher und wichtiger Bevölkcrungselemente begründet. An¬ statt vom Staat eingesetzter oder miteingcsetzter und controllirter Bischöfe hätte man päpstliche Vikare, eine nicht unsichtbare, aber anonyme Loge bekommen, deren Mitglieder nach Millionen zählten. Es gab einen dritten Weg; ihn hatte Wessenbcrg auf dem wiener Congreß empfohlen: die Gründung einer katholisch-deutschen Nationalkirche mit einem deutschen Primas an der Spitze. Wessenberg verfolgte diese Ideen auch nach dem Schluß des wiener Congresses namentlich in Frankfurt vor dem Zusammentritt des Bundestages. Er regte den Plan unter Anderem bei Wilhelm v. Humboldt an. Die preußischen Staatsmänner faßten kein Herz dazu. Einige meinten, ein deutscher Primas könne schlimmer werden als der Papst. In der That konnte man die Ent¬ wicklung des Papstthums, wie natürlich sie uns jetzt scheinen mag, damals nicht voraussehen. Man konnte annehmen, das Papstthum, das eben erst durch Preußens diplomatische Unterstützung zu seinem alten weltlichen Besitz gelangt war, werde noch manche Bedrängniß zu bestehen haben, die es einer deutschen und protestantischen, aber übrigens wohlwollenden Macht gegenüber billig oder geschmeidig machen müsse. Der Hauptgrund' aber, warum Preu¬ ßen auf solche Pläne nicht eingehen konnte, die überhaupt nur Aussicht auf Gelingen hatten, wenn es sich zu ihrem Hauptverfechter machte, war folgen¬ der. Preußen konnte und durfte niemals angeblich deutsche Gewalten in seinen Grenzen zulassen, die nicht völlig innerhalb derselben lagen, so lange es nicht selbst die Exekutive Deutschlands inne hatte. Mit anderen Worten, Preußen konnte und kann erst von dem Augenblick an deutsch sein, wo es an der Spitze Deutschlands steht. Auf dem anderen Wege hätte es seine eigene Mediatisirung herbeigeführt zur eignen Unehre und zu des deutschen Volkes nicht wieder gut zu machenden Unheil. Die Abwendung der Media¬ tisirung Preußens durch einen östreichisch-mittelstaatlichen Bund war etwas anderes, als der gewöhnliche egoistische Partikularismus. Denn auf jenem Wege konnte die politische Nationalität Deutschlands nie gegründet werden, weil die stärksten Faktoren eines östreichisch-mittelstaatlichen Bundes antina¬ tionaler, außerdeutschcr, jesuitisch-romanischer und feudal slavischer Natur waren, verbunden mit der dynastischen Engherzigkeit des Klcinstaatenthums. Erst seitdem Preußen die Reichski'one trägt, kann es Elementen, die nicht an sich antinational sind, Einfluß auch auf die Umwandlung des eignen Staatsbaues einräumen. Wenn es also nicht möglich war oder jedenfalls nicht räthlich, die katholisch-deutschen Verhältnisse vom deutschen Bunde aus zu ordnen, so blieb nur der Weg für Preußen übrig, diese Verhältnisse inner¬ halb des eignen Staates mit Hülse einer möglichst vortheilhaften Ueberein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/147>, abgerufen am 06.02.2025.