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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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politischen Bewegung auf Seiten Varnbüler's, der jetzt alle früheren Rück¬
sichten von sich stoßen und als in jeder Beziehung unabhängiger Mann, die
auf tiefem politischem Einblick beruhende Hingebung an das Reich ganz an¬
ders zur Geltung bringen kann, als ein in jeder Bewegung durch hundert
Rücksichten gehemmter schwäbischer Minister. In der That an Beklommen¬
heit mag es dermalen in gewissen Stuttgarter Kreisen nicht fehlen und so
läßt man sich durch die Ereignisse rathlos und thatlos ins Schlepptau
nehmen.

Nur auf einem Gebiet scheint man noch immer selbständige Politik
treiben zu wollen: in der katholischen Kirchenfrage. Es ist bekannt, daß man
in den höchsten Kreisen unseres Landes den Bestrebungen der katholischen
Partei am meisten Vorschub leistet. Die Ausfälle der ultramontanen Presse
gegen das Reich und gegen die preußische Kirchengesetzgebung neben den
Schmeicheleien über die Toleranz der würtembergischen Regierung finden dort
sympathische Theilnahme, und es ist Thatsache, daß gerade das "deutsche
Volksblatt", das ultramontane Organ der Residenzstadt, welches den Zeiten
und Umständen Rechnung tragend, die Extravaganzen der Germania nur dem
Reich gegenüber copirt, für Würtemberg aber eine gewisse Mäßigung zur
Schau zu tragen für gut findet, seit längerer Zeit das eigentlich offieiöse Or¬
gan der Hofkreise geworden ist. Vorerst haben denn auch die Ultramontanen
allen Grund in Schwaben zu triumphiren: und die neuliche Mittheilung in
dem eben genannten deutschen Volksblatt, dem anerkannten Organ des Bi¬
schofs von Rottenburg, ist in der That charakteristisch für unsere Ver¬
hältnisse.

Staatssecretär Antonelli hat hiernach geäußert: "unter den deutschen
Staaten macht mir Würtemberg am wenigsten Sorgen": die preußischen Bi¬
schöfe aber haben insgesammt den Bischof Hefele um eine Darlegung des
moäus vivendi zwischen Staat und Kirche in Würtemberg ersucht, welche
im Auftrag des Herrn v. Hefele von dessen Domdecan gefertigt wurde. "So
wird", ruft der officiöse Rottenburger aus, "Württembergs Kirchenpolitik
zum Muster werden nicht nur für Preußen sondern für das ganze Reich".
Es dürfte nicht uninteressant fein, die Verhältnisse näher zu betrachten, welche
die Bewunderung der Herren v. Ketteler, Martin und Gen. hervorzurufen
geeignet sind: vielleicht erscheinen dann die schwäbischen Zustände doch in
einem etwas andern Licht, als eine neuliche Correspondenz "im neuen Reich",
welche auch anderwärts aufgefallen ist, sie aus der Perspective der Residenz
darzustellen gesucht hat.

Vor Allem muß man wissen, daß zur Zeit in Würtemberg noch die
ganz abnorme Einrichtung besteht, daß "die in der Staatsgewalt be¬
griffenen Rechte über die katholische Kirche" verfassungsmäßig durch eine nur


politischen Bewegung auf Seiten Varnbüler's, der jetzt alle früheren Rück¬
sichten von sich stoßen und als in jeder Beziehung unabhängiger Mann, die
auf tiefem politischem Einblick beruhende Hingebung an das Reich ganz an¬
ders zur Geltung bringen kann, als ein in jeder Bewegung durch hundert
Rücksichten gehemmter schwäbischer Minister. In der That an Beklommen¬
heit mag es dermalen in gewissen Stuttgarter Kreisen nicht fehlen und so
läßt man sich durch die Ereignisse rathlos und thatlos ins Schlepptau
nehmen.

Nur auf einem Gebiet scheint man noch immer selbständige Politik
treiben zu wollen: in der katholischen Kirchenfrage. Es ist bekannt, daß man
in den höchsten Kreisen unseres Landes den Bestrebungen der katholischen
Partei am meisten Vorschub leistet. Die Ausfälle der ultramontanen Presse
gegen das Reich und gegen die preußische Kirchengesetzgebung neben den
Schmeicheleien über die Toleranz der würtembergischen Regierung finden dort
sympathische Theilnahme, und es ist Thatsache, daß gerade das „deutsche
Volksblatt", das ultramontane Organ der Residenzstadt, welches den Zeiten
und Umständen Rechnung tragend, die Extravaganzen der Germania nur dem
Reich gegenüber copirt, für Würtemberg aber eine gewisse Mäßigung zur
Schau zu tragen für gut findet, seit längerer Zeit das eigentlich offieiöse Or¬
gan der Hofkreise geworden ist. Vorerst haben denn auch die Ultramontanen
allen Grund in Schwaben zu triumphiren: und die neuliche Mittheilung in
dem eben genannten deutschen Volksblatt, dem anerkannten Organ des Bi¬
schofs von Rottenburg, ist in der That charakteristisch für unsere Ver¬
hältnisse.

Staatssecretär Antonelli hat hiernach geäußert: „unter den deutschen
Staaten macht mir Würtemberg am wenigsten Sorgen": die preußischen Bi¬
schöfe aber haben insgesammt den Bischof Hefele um eine Darlegung des
moäus vivendi zwischen Staat und Kirche in Würtemberg ersucht, welche
im Auftrag des Herrn v. Hefele von dessen Domdecan gefertigt wurde. „So
wird", ruft der officiöse Rottenburger aus, „Württembergs Kirchenpolitik
zum Muster werden nicht nur für Preußen sondern für das ganze Reich".
Es dürfte nicht uninteressant fein, die Verhältnisse näher zu betrachten, welche
die Bewunderung der Herren v. Ketteler, Martin und Gen. hervorzurufen
geeignet sind: vielleicht erscheinen dann die schwäbischen Zustände doch in
einem etwas andern Licht, als eine neuliche Correspondenz „im neuen Reich",
welche auch anderwärts aufgefallen ist, sie aus der Perspective der Residenz
darzustellen gesucht hat.

Vor Allem muß man wissen, daß zur Zeit in Würtemberg noch die
ganz abnorme Einrichtung besteht, daß „die in der Staatsgewalt be¬
griffenen Rechte über die katholische Kirche" verfassungsmäßig durch eine nur


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[0124] politischen Bewegung auf Seiten Varnbüler's, der jetzt alle früheren Rück¬ sichten von sich stoßen und als in jeder Beziehung unabhängiger Mann, die auf tiefem politischem Einblick beruhende Hingebung an das Reich ganz an¬ ders zur Geltung bringen kann, als ein in jeder Bewegung durch hundert Rücksichten gehemmter schwäbischer Minister. In der That an Beklommen¬ heit mag es dermalen in gewissen Stuttgarter Kreisen nicht fehlen und so läßt man sich durch die Ereignisse rathlos und thatlos ins Schlepptau nehmen. Nur auf einem Gebiet scheint man noch immer selbständige Politik treiben zu wollen: in der katholischen Kirchenfrage. Es ist bekannt, daß man in den höchsten Kreisen unseres Landes den Bestrebungen der katholischen Partei am meisten Vorschub leistet. Die Ausfälle der ultramontanen Presse gegen das Reich und gegen die preußische Kirchengesetzgebung neben den Schmeicheleien über die Toleranz der würtembergischen Regierung finden dort sympathische Theilnahme, und es ist Thatsache, daß gerade das „deutsche Volksblatt", das ultramontane Organ der Residenzstadt, welches den Zeiten und Umständen Rechnung tragend, die Extravaganzen der Germania nur dem Reich gegenüber copirt, für Würtemberg aber eine gewisse Mäßigung zur Schau zu tragen für gut findet, seit längerer Zeit das eigentlich offieiöse Or¬ gan der Hofkreise geworden ist. Vorerst haben denn auch die Ultramontanen allen Grund in Schwaben zu triumphiren: und die neuliche Mittheilung in dem eben genannten deutschen Volksblatt, dem anerkannten Organ des Bi¬ schofs von Rottenburg, ist in der That charakteristisch für unsere Ver¬ hältnisse. Staatssecretär Antonelli hat hiernach geäußert: „unter den deutschen Staaten macht mir Würtemberg am wenigsten Sorgen": die preußischen Bi¬ schöfe aber haben insgesammt den Bischof Hefele um eine Darlegung des moäus vivendi zwischen Staat und Kirche in Würtemberg ersucht, welche im Auftrag des Herrn v. Hefele von dessen Domdecan gefertigt wurde. „So wird", ruft der officiöse Rottenburger aus, „Württembergs Kirchenpolitik zum Muster werden nicht nur für Preußen sondern für das ganze Reich". Es dürfte nicht uninteressant fein, die Verhältnisse näher zu betrachten, welche die Bewunderung der Herren v. Ketteler, Martin und Gen. hervorzurufen geeignet sind: vielleicht erscheinen dann die schwäbischen Zustände doch in einem etwas andern Licht, als eine neuliche Correspondenz „im neuen Reich", welche auch anderwärts aufgefallen ist, sie aus der Perspective der Residenz darzustellen gesucht hat. Vor Allem muß man wissen, daß zur Zeit in Würtemberg noch die ganz abnorme Einrichtung besteht, daß „die in der Staatsgewalt be¬ griffenen Rechte über die katholische Kirche" verfassungsmäßig durch eine nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/124>, abgerufen am 06.02.2025.