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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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König Georg. Die reichen "Getreuen" widmen ihm zwar ihr Herz, aber
ihre Börse hatten sie verschlossen; und die "Allergetreuesten", nämlich die
"frommen Pastöre" und die "armen Ritter" öffnen zwar ihre Portemonnaies,
allein es findet sich nichts darinnen.

Unter diesen Umständen wird man schwerlich fehl gehen, wenn man, so
oft in der Provinz Hannover Geld für welfische Zwecke aufgewandt wird,
vermuthet, er sei von Hietzing gekommen. So lange man aber in Hietzing
sich nicht entschließen kann, solchen Agitationen zu entsagen, so lange ist der
Augenblick einer Verständigung noch nicht gekommen. Namentlich kann von
einer Freigebung des mit Beschlag belegten Vermögens, zu welcher es zudem
auch der Zustimmung des Landtags bedarf, absolut nicht die Rede sein. Noch
viel weniger von einer Succession des Prinzen Ernst August in Braunschweig.
Der Hietzinger Hof ist vielmehr vor wie nach als Feind zu betrachten.
Preußen darf diesem Feind nicht die Mittel zur Kriegführung ausliefern.
Kaiser und Reich dürfen nicht gestatten, daß dieser Feind ein deutsches Land
occupirt und dort einen Heerd der Verschwörungen und Aufstände errichtet.
Deutschland will Ruhe und Frieden. Man soll und muß in Hietzing wissen,
was man thut. "Huiäquiä agis pruclenter a.M8, -- et respies einem!"
Krieg oder Frieden! Man wähle. Beides liegt im Zipfel der Toga!

Zum Schluß noch ein Wort über den Kalender., Pastor Grote weiß
den Volkston zu treffen, wie wenige. Er kennt das Herz des niedersächsischen
Bauern und Kleinbürgers bis in seine geheimsten Falten. Er appellirt an
den Glauben und die Traditionen der Menge. Er führt Wittekind und Water-
loo vor und Alles, was dem niedersächsischen Herzen theuer ist, Alles, was dem
Verständnisse nah' liegt. Er stimmt ein Kirchenlied an, und es endigt mit
einer welsischen Marseillaisse, die zwar hochdeutsch gedichtet, aber plattdeutsch
gedacht ist. Aus ein Gebet oder eine Predigt folgt eine Satyre auf den
"Kukuk", d. i. auf den preußischen Adler. Die "Mache" ist wirklich einzig
in ihrer Art.

Man wird sagen: "Das sind Karrikaturen des Heiligsten; das ist Mi߬
brauch der Religion; das ist wüste Demagogie!" Mag sein. Aber es ist keine
Schande, vom Feinde zu lernen. Es ist Thatsache, daß unsere Klerikalen und
Radicalen, unsere Legitimisten und Particularisten, unsere Schwarzen und
Rothen, den Volkston besser zu treffen und dem Verständnisse der Massen
geschickter entgegenzukommen wissen, als die Mehrzahl unserer freisinnig und
national gesinnten Publizisten. Dazu kommt, daß sich bei uns die gebildete
Schicht zu wenig um die minder gebildete, daß sich die städtische Bevölkerung
zu wenig um die ländliche kümmert. In allen diesen Dingen sind uns unsere
Gegner weit überlegen, und dieser Ueberlegenheit haben sie ihre Herrschaft
über die minder gebildeten Klassen des Volkes zu danken. Gewiß, wir wollen


König Georg. Die reichen „Getreuen" widmen ihm zwar ihr Herz, aber
ihre Börse hatten sie verschlossen; und die „Allergetreuesten", nämlich die
„frommen Pastöre" und die „armen Ritter" öffnen zwar ihre Portemonnaies,
allein es findet sich nichts darinnen.

Unter diesen Umständen wird man schwerlich fehl gehen, wenn man, so
oft in der Provinz Hannover Geld für welfische Zwecke aufgewandt wird,
vermuthet, er sei von Hietzing gekommen. So lange man aber in Hietzing
sich nicht entschließen kann, solchen Agitationen zu entsagen, so lange ist der
Augenblick einer Verständigung noch nicht gekommen. Namentlich kann von
einer Freigebung des mit Beschlag belegten Vermögens, zu welcher es zudem
auch der Zustimmung des Landtags bedarf, absolut nicht die Rede sein. Noch
viel weniger von einer Succession des Prinzen Ernst August in Braunschweig.
Der Hietzinger Hof ist vielmehr vor wie nach als Feind zu betrachten.
Preußen darf diesem Feind nicht die Mittel zur Kriegführung ausliefern.
Kaiser und Reich dürfen nicht gestatten, daß dieser Feind ein deutsches Land
occupirt und dort einen Heerd der Verschwörungen und Aufstände errichtet.
Deutschland will Ruhe und Frieden. Man soll und muß in Hietzing wissen,
was man thut. „Huiäquiä agis pruclenter a.M8, — et respies einem!"
Krieg oder Frieden! Man wähle. Beides liegt im Zipfel der Toga!

Zum Schluß noch ein Wort über den Kalender., Pastor Grote weiß
den Volkston zu treffen, wie wenige. Er kennt das Herz des niedersächsischen
Bauern und Kleinbürgers bis in seine geheimsten Falten. Er appellirt an
den Glauben und die Traditionen der Menge. Er führt Wittekind und Water-
loo vor und Alles, was dem niedersächsischen Herzen theuer ist, Alles, was dem
Verständnisse nah' liegt. Er stimmt ein Kirchenlied an, und es endigt mit
einer welsischen Marseillaisse, die zwar hochdeutsch gedichtet, aber plattdeutsch
gedacht ist. Aus ein Gebet oder eine Predigt folgt eine Satyre auf den
„Kukuk", d. i. auf den preußischen Adler. Die „Mache" ist wirklich einzig
in ihrer Art.

Man wird sagen: „Das sind Karrikaturen des Heiligsten; das ist Mi߬
brauch der Religion; das ist wüste Demagogie!" Mag sein. Aber es ist keine
Schande, vom Feinde zu lernen. Es ist Thatsache, daß unsere Klerikalen und
Radicalen, unsere Legitimisten und Particularisten, unsere Schwarzen und
Rothen, den Volkston besser zu treffen und dem Verständnisse der Massen
geschickter entgegenzukommen wissen, als die Mehrzahl unserer freisinnig und
national gesinnten Publizisten. Dazu kommt, daß sich bei uns die gebildete
Schicht zu wenig um die minder gebildete, daß sich die städtische Bevölkerung
zu wenig um die ländliche kümmert. In allen diesen Dingen sind uns unsere
Gegner weit überlegen, und dieser Ueberlegenheit haben sie ihre Herrschaft
über die minder gebildeten Klassen des Volkes zu danken. Gewiß, wir wollen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/80>, abgerufen am 02.10.2024.