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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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litiker vom Standpunkte des Verfassungsrechtes aus das Verfahren der Re¬
gierung billigte, so wenig erbaut war er von der Haltung der Kammer.
"Biedermänner, aber keine Staatsmänner! Sie wissen mit diesem Könige nicht
zu rechnen. Alles würden sie von ihm erreichen, wenn sie ihm in Betreff
der Armee seinen Willen thäten." So ungefähr urtheilte er über die dama¬
lige Opposition und wie scharf, wie richtig das Urtheil war, haben auch hier
die Ereignisse in wenig Jahren gelehrt. "Ihr Jüngeren," so sprach er gern,
uns die Hand gleichsam segnend auf das Haupt legend, "Ihr Jüngeren wer¬
det bessere Tage sehen: Deutschland wird einig und stark werden; ich erlebe
es nicht, aber Ihr habt Hoffnung, die große Zeit noch mit durchzumachen!"
Wir waren damals auch schon gereifte Männer. Als wenige Jahre darauf
das prophetische Wort in Erfüllung ging, wie oft gedachten wir da des edlen
Todten! Niemandem hätten wir mehr als ihm gewünscht, daß es ihm ver¬
gönnt gewesen wäre, die neue Zeit noch zu schauen.


>.


Der Verfasser des citirten Aufsatzes in Ur. 48. Jahrg. 1872 glaubt diesen
Bemerkungen von hochgeschätzter Hand nur den Hinweis darauf hinzufügen zu
dürfen, daß auch seine Schlußworte nicht einen Vorwurf gegen Stockmar ent¬
hielten, sondern vielmehr "die bedauerliche Fügung des Geschickes"
constatirten, welches Stockmar eine Wirksamkeit im deutschen Vaterlande ver¬
sagt hatte. Er meint, seine eigenen Ausführungen legten dasselbe Urtheil
nahe, wie es hier oben vorgetragen worden ist. Gerade wir Nationalgesinnten
in Deutschland, die wir zu einem sachlich begründeten Urtheile über die
deutsche Geschichte unseres Jahrhunderts zu gelangen streben, gerade wir
empfinden es schmerzlich, daß ein Mann von Stockmar's politischer Einsicht
und (was wir eben hier noch höher anschlagen müssen) von Stockmar's Be¬
gabung für die staatsmännische Praxis nicht zu einer seiner Fähigkeiten und
seiner Richtung angemessenen Stellung im Vaterlande gelangt, sondern in
einer außeramtlichen, rein vertraulichen Wirksamkeit im Auslande allein
thätig gewesen ist. Daß Stockmar bei Friedrich Wilhelm IV. nicht Minister
sein konnte, wissen wir auch: ein bitter schmerzliches Lächeln erregt uns
schon diese Zusammenstellung auf dem Papiere! Wir glauben in Stockmar's
Denkwürdigkeiten so viele Beweise und Zeugnisse für seine eminenten Eigen¬
schaften als politischer Practiker gefunden zu haben, daß wir gerade unter
diesem Gesichtspunkte ihn unseren Lesern zu zeigen für unsere Pflicht hielten.
Wir glauben, Stockmar ist nicht allein zum "geheimen Agenten" der Coburger
sondern zu einem leitenden Minister beanlagt gewesen: es ist zu bedauern, daß


Grenzboten 1873. I. 9

litiker vom Standpunkte des Verfassungsrechtes aus das Verfahren der Re¬
gierung billigte, so wenig erbaut war er von der Haltung der Kammer.
„Biedermänner, aber keine Staatsmänner! Sie wissen mit diesem Könige nicht
zu rechnen. Alles würden sie von ihm erreichen, wenn sie ihm in Betreff
der Armee seinen Willen thäten." So ungefähr urtheilte er über die dama¬
lige Opposition und wie scharf, wie richtig das Urtheil war, haben auch hier
die Ereignisse in wenig Jahren gelehrt. „Ihr Jüngeren," so sprach er gern,
uns die Hand gleichsam segnend auf das Haupt legend, „Ihr Jüngeren wer¬
det bessere Tage sehen: Deutschland wird einig und stark werden; ich erlebe
es nicht, aber Ihr habt Hoffnung, die große Zeit noch mit durchzumachen!"
Wir waren damals auch schon gereifte Männer. Als wenige Jahre darauf
das prophetische Wort in Erfüllung ging, wie oft gedachten wir da des edlen
Todten! Niemandem hätten wir mehr als ihm gewünscht, daß es ihm ver¬
gönnt gewesen wäre, die neue Zeit noch zu schauen.


>.


Der Verfasser des citirten Aufsatzes in Ur. 48. Jahrg. 1872 glaubt diesen
Bemerkungen von hochgeschätzter Hand nur den Hinweis darauf hinzufügen zu
dürfen, daß auch seine Schlußworte nicht einen Vorwurf gegen Stockmar ent¬
hielten, sondern vielmehr „die bedauerliche Fügung des Geschickes"
constatirten, welches Stockmar eine Wirksamkeit im deutschen Vaterlande ver¬
sagt hatte. Er meint, seine eigenen Ausführungen legten dasselbe Urtheil
nahe, wie es hier oben vorgetragen worden ist. Gerade wir Nationalgesinnten
in Deutschland, die wir zu einem sachlich begründeten Urtheile über die
deutsche Geschichte unseres Jahrhunderts zu gelangen streben, gerade wir
empfinden es schmerzlich, daß ein Mann von Stockmar's politischer Einsicht
und (was wir eben hier noch höher anschlagen müssen) von Stockmar's Be¬
gabung für die staatsmännische Praxis nicht zu einer seiner Fähigkeiten und
seiner Richtung angemessenen Stellung im Vaterlande gelangt, sondern in
einer außeramtlichen, rein vertraulichen Wirksamkeit im Auslande allein
thätig gewesen ist. Daß Stockmar bei Friedrich Wilhelm IV. nicht Minister
sein konnte, wissen wir auch: ein bitter schmerzliches Lächeln erregt uns
schon diese Zusammenstellung auf dem Papiere! Wir glauben in Stockmar's
Denkwürdigkeiten so viele Beweise und Zeugnisse für seine eminenten Eigen¬
schaften als politischer Practiker gefunden zu haben, daß wir gerade unter
diesem Gesichtspunkte ihn unseren Lesern zu zeigen für unsere Pflicht hielten.
Wir glauben, Stockmar ist nicht allein zum „geheimen Agenten" der Coburger
sondern zu einem leitenden Minister beanlagt gewesen: es ist zu bedauern, daß


Grenzboten 1873. I. 9
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/73>, abgerufen am 02.10.2024.