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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Meister Peter Bischer selbst, mit Schurzfell und Kappe angethan. Meißel und
Hammer in der Hand, eine schlichte, aber sehr ansprechende Gestalt. Drei
mit vielen Rippen versehene Gewölbe verbinden die Pfeiler. Ueber ihnen
erheben sich, statt der hohen Gothischen Tabernakel, drei reich gegliederte
kuppelartige Ausbauten. An den vier Ecken ruhen auf schlanken Säulen von
Meerjungfrauen getragene Leuchter. Außerdem ist der Baldachinbau mit
einer Ueberfülle von Figuren aller Art versehen. Das Ganze ruht auf 12 großen
Schnecken und 4 Delphinen. Am Fuße befinden sich Löwen, Drachen, alle¬
gorische Darstellungen, Gestalten des heidnischen und jüdischen Alterthums.
Vor den Pfeilern stehen auf besonderen schlanken Säulen und unter kleinen
Baldachinen die zwölf Apostel. Auf den Pfeilern stehen, die Fialen vertretend,
zwölf kleinere Gestalten, gewöhnlich als Propheten bezeichnet. Als Bekrönung
des Mittelbaus endlich ist das nackte Christuskind, mit der Weltkugel in der
Hand, angebracht. Die Sockel der Säulen und Candelaber sind reich mit
Bildwerk, flachem und rundem, geschmückt. Ebenso sind auf der Basis des
Ganzen, auf den Pfeilern, den Candelabern, den kleinen Bogen zwischen
denselben, den Gesimsen, Baldachinen u. s. w. eine große Menge Figuren,
Männer, Frauen, Kinder, allerlei Gethier und phantastische Gestalten ange¬
bracht, welche in ihrer übergroßen Fülle für den ersten Anblick etwas Ver¬
wirrendes haben.

Der ganze Bau, wie er noch heute unversehrt dasteht, ist in seiner
Gesammt-Composition gothisch und nach dem Entwürfe von 1488
gefertigt, in den architectonischen Hauptformen jedoch wesentlich reducirt und
dafür mit allerlei Zusätzen in den Formen der damals soeben in
der Entwickelung begriffenen deutschen Renaissance versehen.

Es unterliegt also keinem Zweifel, daß Peter Bischer den Entwurf vom
Jahre 1488 gekannt und benutzt hat. Er hat sich bei Herstellung der
Haupttheile, wie der großen Pfeiler, der Säulchen vor denselben, auf welchen
die Apostel stehen, so wie vieler Einzelnheiten -- selbst die spielenden Kinder¬
gruppen sind schon im alten Entwurf angegeben -- nach Formen und Maßen
ganz genau an denselben gehalten. Ja es liegt die Vermuthung nahe,
man hätte dem Meister einen Theil der schon vor Jahren in Holz begonnenen
Ausführung als Modelle übergeben. Wahrscheinlich hat man anfangs beab¬
sichtigt, auch die broncenen Tabernakel nach dem Entwürfe von 1488, also völlig
gothisch, anfertigen zu lassen. Bischer hat in diesem Sinne seine Arbeit an¬
gefangen. Während der Ausführung mußte der Entwurf jedoch, weil er nun
in einem andern Material, als ursprünglich projectirt, ausgeführt wurde, vielleicht
auch als zu theuer, -- nach Vollendung der Arbeit war noch der vierte Theil
der Kosten zu beschaffen -- wesentlich abgeändert, vor allem verkleinert werden.
Deßhalb kamen, als oberer Abschluß des Ganzen, statt der drei hohen, eleganten


Meister Peter Bischer selbst, mit Schurzfell und Kappe angethan. Meißel und
Hammer in der Hand, eine schlichte, aber sehr ansprechende Gestalt. Drei
mit vielen Rippen versehene Gewölbe verbinden die Pfeiler. Ueber ihnen
erheben sich, statt der hohen Gothischen Tabernakel, drei reich gegliederte
kuppelartige Ausbauten. An den vier Ecken ruhen auf schlanken Säulen von
Meerjungfrauen getragene Leuchter. Außerdem ist der Baldachinbau mit
einer Ueberfülle von Figuren aller Art versehen. Das Ganze ruht auf 12 großen
Schnecken und 4 Delphinen. Am Fuße befinden sich Löwen, Drachen, alle¬
gorische Darstellungen, Gestalten des heidnischen und jüdischen Alterthums.
Vor den Pfeilern stehen auf besonderen schlanken Säulen und unter kleinen
Baldachinen die zwölf Apostel. Auf den Pfeilern stehen, die Fialen vertretend,
zwölf kleinere Gestalten, gewöhnlich als Propheten bezeichnet. Als Bekrönung
des Mittelbaus endlich ist das nackte Christuskind, mit der Weltkugel in der
Hand, angebracht. Die Sockel der Säulen und Candelaber sind reich mit
Bildwerk, flachem und rundem, geschmückt. Ebenso sind auf der Basis des
Ganzen, auf den Pfeilern, den Candelabern, den kleinen Bogen zwischen
denselben, den Gesimsen, Baldachinen u. s. w. eine große Menge Figuren,
Männer, Frauen, Kinder, allerlei Gethier und phantastische Gestalten ange¬
bracht, welche in ihrer übergroßen Fülle für den ersten Anblick etwas Ver¬
wirrendes haben.

Der ganze Bau, wie er noch heute unversehrt dasteht, ist in seiner
Gesammt-Composition gothisch und nach dem Entwürfe von 1488
gefertigt, in den architectonischen Hauptformen jedoch wesentlich reducirt und
dafür mit allerlei Zusätzen in den Formen der damals soeben in
der Entwickelung begriffenen deutschen Renaissance versehen.

Es unterliegt also keinem Zweifel, daß Peter Bischer den Entwurf vom
Jahre 1488 gekannt und benutzt hat. Er hat sich bei Herstellung der
Haupttheile, wie der großen Pfeiler, der Säulchen vor denselben, auf welchen
die Apostel stehen, so wie vieler Einzelnheiten — selbst die spielenden Kinder¬
gruppen sind schon im alten Entwurf angegeben — nach Formen und Maßen
ganz genau an denselben gehalten. Ja es liegt die Vermuthung nahe,
man hätte dem Meister einen Theil der schon vor Jahren in Holz begonnenen
Ausführung als Modelle übergeben. Wahrscheinlich hat man anfangs beab¬
sichtigt, auch die broncenen Tabernakel nach dem Entwürfe von 1488, also völlig
gothisch, anfertigen zu lassen. Bischer hat in diesem Sinne seine Arbeit an¬
gefangen. Während der Ausführung mußte der Entwurf jedoch, weil er nun
in einem andern Material, als ursprünglich projectirt, ausgeführt wurde, vielleicht
auch als zu theuer, — nach Vollendung der Arbeit war noch der vierte Theil
der Kosten zu beschaffen — wesentlich abgeändert, vor allem verkleinert werden.
Deßhalb kamen, als oberer Abschluß des Ganzen, statt der drei hohen, eleganten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/66>, abgerufen am 02.10.2024.