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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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sinnreicher Weise herzustellen gewußt. In der Geschichte findet sich dies nicht;
dem Dramatiker war es nicht zu entbehren. Aber auch hier hält sich die
Erfindung unseres Dichters durchaus und überall an einzelne verbürgte
Charakterzüge und fügt dem gegebenen Stoffe nur solche Motive hinzu, welche
mit der Ueberlieferung der Geschichte in Einklang sich befinden.

Der zweite Aufzug zeigt uns das Lager der Schmalkaldener. Ganz
prächtig ist die Charakteristik der beiden Fürsten, des Landgrafen Philipp und
des Kurfürsten Johann Friedrich gelungen. Die eigensinnige Pedanterie des
dicken Kurfürsten malen uns seine Worte und sein Gebahren in plastischer
Form. Vielleicht vermag es dies Bild des Dichters, die sonst übliche viel
günstigere Auffassung dieses Menschen zu beseitigen. Kruse gibt hier die An¬
schauung wieder, die ich unbedingt für die richtige halten muß. Es folgt
die Schlacht bei Mühlberg, die wir an der Seite Kaiser Karl's mit machen.
Der dritte Act bringt uns zunächst die Unterwerfung des Landgrafen Philipp.
Wir sehen, wie Moritz mit Karl persönlich über die Bedingungen unterhandelt,
auf welche sich Philipp ergeben soll. Die hauptsächlichste Differenz betrifft
die persönliche Freiheit des Landgrafen, welche Moritz fordert und Karl zu
bewilligen sich sträubt: sie bleibt unausgetragen:

Moritz: Ihr gönnt ihm aber seine Freiheit doch?

Karl- So hast Du aufgesetzt. Ich habe das
Noch nicht bewilligt; doch ich werde mich
In diesem Punkte gnädig finden lassen.

Moritz: Er ist ein Mann, er kann nicht stille sitzen;
Das Haus wird ihm zu eng, und fast die Welt.

Karl: Der gute Johann Friedrich sitzt gefangen
Und faßt sich in Geduld! Doch Philipp -- Philipp
Der schlimmste Feind von Habsburg jeder Zeit,
Er fordert seine Freiheit als ein Recht!
Er poche nicht zu sehr! Er hüte sich!
Noch kann ein Strohhalm gegen ihn entscheiden.

Und dem Schwiegervater selbst gegenüber wagt Moritz auch nur zu sagen,
er hoffe diese Zusage von Karl zu erreichen: bei weiterem Drängen geht er
dann weiter


"Ich zweifle nicht; es ist schon aufgenommen
In unsre Punkte."

Es wird ihm mitgetheilt, diese Punkte habe Karl unterzeichnet. Wie er,
Moritz, unterzeichnen soll, da wird durch Markgraf Albrecht seine Aufmerk¬
samkeit vom Wortlaute der Urkunde abgelenkt: er unterzeichnet ohne genau
gelesen zu haben. Kruse hat in einer sehr anschaulichen, gut erfundenen
Scene uns diese Unaufmerksamkeit bei Moritz motivirt. Er hat den Vorgang
uns deutlicher und verständlicher gemacht, als es dem Historiker erlaubt ist.
In die Urkunde ist jener betrügerische Tausch der beiden Worte, "einig" und
"ewig" hineingebracht. Die volksmäßige Sage, die früh aufgetaucht ist, von
der Ueberlistung der Fürsten durch den schlauen Granvella, hat ohne Bedenken


sinnreicher Weise herzustellen gewußt. In der Geschichte findet sich dies nicht;
dem Dramatiker war es nicht zu entbehren. Aber auch hier hält sich die
Erfindung unseres Dichters durchaus und überall an einzelne verbürgte
Charakterzüge und fügt dem gegebenen Stoffe nur solche Motive hinzu, welche
mit der Ueberlieferung der Geschichte in Einklang sich befinden.

Der zweite Aufzug zeigt uns das Lager der Schmalkaldener. Ganz
prächtig ist die Charakteristik der beiden Fürsten, des Landgrafen Philipp und
des Kurfürsten Johann Friedrich gelungen. Die eigensinnige Pedanterie des
dicken Kurfürsten malen uns seine Worte und sein Gebahren in plastischer
Form. Vielleicht vermag es dies Bild des Dichters, die sonst übliche viel
günstigere Auffassung dieses Menschen zu beseitigen. Kruse gibt hier die An¬
schauung wieder, die ich unbedingt für die richtige halten muß. Es folgt
die Schlacht bei Mühlberg, die wir an der Seite Kaiser Karl's mit machen.
Der dritte Act bringt uns zunächst die Unterwerfung des Landgrafen Philipp.
Wir sehen, wie Moritz mit Karl persönlich über die Bedingungen unterhandelt,
auf welche sich Philipp ergeben soll. Die hauptsächlichste Differenz betrifft
die persönliche Freiheit des Landgrafen, welche Moritz fordert und Karl zu
bewilligen sich sträubt: sie bleibt unausgetragen:

Moritz: Ihr gönnt ihm aber seine Freiheit doch?

Karl- So hast Du aufgesetzt. Ich habe das
Noch nicht bewilligt; doch ich werde mich
In diesem Punkte gnädig finden lassen.

Moritz: Er ist ein Mann, er kann nicht stille sitzen;
Das Haus wird ihm zu eng, und fast die Welt.

Karl: Der gute Johann Friedrich sitzt gefangen
Und faßt sich in Geduld! Doch Philipp — Philipp
Der schlimmste Feind von Habsburg jeder Zeit,
Er fordert seine Freiheit als ein Recht!
Er poche nicht zu sehr! Er hüte sich!
Noch kann ein Strohhalm gegen ihn entscheiden.

Und dem Schwiegervater selbst gegenüber wagt Moritz auch nur zu sagen,
er hoffe diese Zusage von Karl zu erreichen: bei weiterem Drängen geht er
dann weiter


„Ich zweifle nicht; es ist schon aufgenommen
In unsre Punkte."

Es wird ihm mitgetheilt, diese Punkte habe Karl unterzeichnet. Wie er,
Moritz, unterzeichnen soll, da wird durch Markgraf Albrecht seine Aufmerk¬
samkeit vom Wortlaute der Urkunde abgelenkt: er unterzeichnet ohne genau
gelesen zu haben. Kruse hat in einer sehr anschaulichen, gut erfundenen
Scene uns diese Unaufmerksamkeit bei Moritz motivirt. Er hat den Vorgang
uns deutlicher und verständlicher gemacht, als es dem Historiker erlaubt ist.
In die Urkunde ist jener betrügerische Tausch der beiden Worte, „einig" und
„ewig" hineingebracht. Die volksmäßige Sage, die früh aufgetaucht ist, von
der Ueberlistung der Fürsten durch den schlauen Granvella, hat ohne Bedenken


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/56>, abgerufen am 02.10.2024.