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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Entwickelung von außen ungestört genießen, wenn es die Frucht zu zeitigen
vermag. Aber 46,000 Mann in einem sonst waffenlosen Lande sind allerdings
eine passende Zahl zum concentrirten Dienst der öffentlichen Ordnung, als
militärisch organisirtes Polizeicorps, aber auch, dünkt uns, eine recht passende
Zahl zur Erziehung einer Prätorianerhorde. Eine große nationale Armee
kann und soll freilich auch von einem einheitlichen Geiste beseelt sein. Aber
eine solche Armee, die ein Abbild aller Elemente der Nation ist, gehorcht dem
einheitlichen Impuls nur, wenn es der Impuls der Pflicht, der nationalen
Ehre und der nationalen Institutionen ist. Eine Schaar von 45,000 Mann
wird sehr bald finden, daß sie stark genug ist, um die Geschicke eines waffen¬
losen Landes zu bestimmen, aber auch, daß sie klein genug ist, um den Egois¬
mus aller Individuen zu befriedigen, aus denen sie besteht. Für 48,000 Mann,
die auf der Spitze ihres Degens die Geschicke eines Landes balanciren, werden
sich zahlreiche Verführer, Schmeichler, Käufer finden, und die 48,000 müßten
aus einer wahrhaft heiligen Schaar bestehen, wenn sie im Dienst der repu¬
blikanischen Idee jederzeit allen Versuchungen widerstanden. Aber gesetzt auch,
diese Schaar bestände ans lauter Enthusiasten der Republik -- unterliegt denn
diese nicht selbst verschiedenen Auffassungen, Wandlungen, Läuterungen? Die
Wächter der Republik werden Außerordentliches leisten müssen. Entweder sind
sie es, welche zwischen den Regierungsparteien entscheidend, den Inhalt der
Republik bestimmen, oder sie sind es, die entscheiden, welche der Parteien das
formale Recht für sich hat. Die Wasserträger der Republik können also
gar nicht wissen, was ihre Pflicht ist, wenn sie nicht zugleich den Staatsge¬
richtshof bilden oder den Areopag, der den letzten Ausspruch über die Weis¬
heit der Maßregeln fällt. Es würde auch nichts helfen, diese Wächter den
Befehlen einer einzelnen Staatsgewalt ausschließlich zu untergeben. Dann
wäre die Versuchung auf diese Staatsgewalt gelegt. Nur wo die öffentliche
Gewalt so organisirt ist, daß sie keine privilegirten Werkzeuge besitzt, sondern Alle
zum Dienst des Staates aufruft und zwar nach fest bestimmten Formen,
nur da ist sie vor der Entartung ihrer Werkzeuge sicher.

Glaubt jemand, daß diese republikanischen Wächter, überdrüssig der Zweifel
und Streitigkeiten, welche von der Republik unzertrennlich sind, nicht eines
Tages als Königsmacher auftreten können in einem Lande, wo die monarchi¬
schen Erinnerungen so lebendig, wo die Geistlichkeit so mächtig und wo der
Prätendent, den diese beschützt, vorhanden ist?

Die spanische Republik ist mit der unglücklichen Losung des Föderalis¬
mus beladen. Wahr ist es, daß Spanien, wie das frühest centralisirte Land
in Europa, so auch das am ungenügendsten centralisirte geblieben ist. Ob
es auch nur eine Provinz giebt, wo die Keime gesunder Selbstverwaltung
noch vorhanden, läßt sich aus der Ferne nicht beurtheilen. Sicher aber scheint


Entwickelung von außen ungestört genießen, wenn es die Frucht zu zeitigen
vermag. Aber 46,000 Mann in einem sonst waffenlosen Lande sind allerdings
eine passende Zahl zum concentrirten Dienst der öffentlichen Ordnung, als
militärisch organisirtes Polizeicorps, aber auch, dünkt uns, eine recht passende
Zahl zur Erziehung einer Prätorianerhorde. Eine große nationale Armee
kann und soll freilich auch von einem einheitlichen Geiste beseelt sein. Aber
eine solche Armee, die ein Abbild aller Elemente der Nation ist, gehorcht dem
einheitlichen Impuls nur, wenn es der Impuls der Pflicht, der nationalen
Ehre und der nationalen Institutionen ist. Eine Schaar von 45,000 Mann
wird sehr bald finden, daß sie stark genug ist, um die Geschicke eines waffen¬
losen Landes zu bestimmen, aber auch, daß sie klein genug ist, um den Egois¬
mus aller Individuen zu befriedigen, aus denen sie besteht. Für 48,000 Mann,
die auf der Spitze ihres Degens die Geschicke eines Landes balanciren, werden
sich zahlreiche Verführer, Schmeichler, Käufer finden, und die 48,000 müßten
aus einer wahrhaft heiligen Schaar bestehen, wenn sie im Dienst der repu¬
blikanischen Idee jederzeit allen Versuchungen widerstanden. Aber gesetzt auch,
diese Schaar bestände ans lauter Enthusiasten der Republik — unterliegt denn
diese nicht selbst verschiedenen Auffassungen, Wandlungen, Läuterungen? Die
Wächter der Republik werden Außerordentliches leisten müssen. Entweder sind
sie es, welche zwischen den Regierungsparteien entscheidend, den Inhalt der
Republik bestimmen, oder sie sind es, die entscheiden, welche der Parteien das
formale Recht für sich hat. Die Wasserträger der Republik können also
gar nicht wissen, was ihre Pflicht ist, wenn sie nicht zugleich den Staatsge¬
richtshof bilden oder den Areopag, der den letzten Ausspruch über die Weis¬
heit der Maßregeln fällt. Es würde auch nichts helfen, diese Wächter den
Befehlen einer einzelnen Staatsgewalt ausschließlich zu untergeben. Dann
wäre die Versuchung auf diese Staatsgewalt gelegt. Nur wo die öffentliche
Gewalt so organisirt ist, daß sie keine privilegirten Werkzeuge besitzt, sondern Alle
zum Dienst des Staates aufruft und zwar nach fest bestimmten Formen,
nur da ist sie vor der Entartung ihrer Werkzeuge sicher.

Glaubt jemand, daß diese republikanischen Wächter, überdrüssig der Zweifel
und Streitigkeiten, welche von der Republik unzertrennlich sind, nicht eines
Tages als Königsmacher auftreten können in einem Lande, wo die monarchi¬
schen Erinnerungen so lebendig, wo die Geistlichkeit so mächtig und wo der
Prätendent, den diese beschützt, vorhanden ist?

Die spanische Republik ist mit der unglücklichen Losung des Föderalis¬
mus beladen. Wahr ist es, daß Spanien, wie das frühest centralisirte Land
in Europa, so auch das am ungenügendsten centralisirte geblieben ist. Ob
es auch nur eine Provinz giebt, wo die Keime gesunder Selbstverwaltung
noch vorhanden, läßt sich aus der Ferne nicht beurtheilen. Sicher aber scheint


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[0523] Entwickelung von außen ungestört genießen, wenn es die Frucht zu zeitigen vermag. Aber 46,000 Mann in einem sonst waffenlosen Lande sind allerdings eine passende Zahl zum concentrirten Dienst der öffentlichen Ordnung, als militärisch organisirtes Polizeicorps, aber auch, dünkt uns, eine recht passende Zahl zur Erziehung einer Prätorianerhorde. Eine große nationale Armee kann und soll freilich auch von einem einheitlichen Geiste beseelt sein. Aber eine solche Armee, die ein Abbild aller Elemente der Nation ist, gehorcht dem einheitlichen Impuls nur, wenn es der Impuls der Pflicht, der nationalen Ehre und der nationalen Institutionen ist. Eine Schaar von 45,000 Mann wird sehr bald finden, daß sie stark genug ist, um die Geschicke eines waffen¬ losen Landes zu bestimmen, aber auch, daß sie klein genug ist, um den Egois¬ mus aller Individuen zu befriedigen, aus denen sie besteht. Für 48,000 Mann, die auf der Spitze ihres Degens die Geschicke eines Landes balanciren, werden sich zahlreiche Verführer, Schmeichler, Käufer finden, und die 48,000 müßten aus einer wahrhaft heiligen Schaar bestehen, wenn sie im Dienst der repu¬ blikanischen Idee jederzeit allen Versuchungen widerstanden. Aber gesetzt auch, diese Schaar bestände ans lauter Enthusiasten der Republik — unterliegt denn diese nicht selbst verschiedenen Auffassungen, Wandlungen, Läuterungen? Die Wächter der Republik werden Außerordentliches leisten müssen. Entweder sind sie es, welche zwischen den Regierungsparteien entscheidend, den Inhalt der Republik bestimmen, oder sie sind es, die entscheiden, welche der Parteien das formale Recht für sich hat. Die Wasserträger der Republik können also gar nicht wissen, was ihre Pflicht ist, wenn sie nicht zugleich den Staatsge¬ richtshof bilden oder den Areopag, der den letzten Ausspruch über die Weis¬ heit der Maßregeln fällt. Es würde auch nichts helfen, diese Wächter den Befehlen einer einzelnen Staatsgewalt ausschließlich zu untergeben. Dann wäre die Versuchung auf diese Staatsgewalt gelegt. Nur wo die öffentliche Gewalt so organisirt ist, daß sie keine privilegirten Werkzeuge besitzt, sondern Alle zum Dienst des Staates aufruft und zwar nach fest bestimmten Formen, nur da ist sie vor der Entartung ihrer Werkzeuge sicher. Glaubt jemand, daß diese republikanischen Wächter, überdrüssig der Zweifel und Streitigkeiten, welche von der Republik unzertrennlich sind, nicht eines Tages als Königsmacher auftreten können in einem Lande, wo die monarchi¬ schen Erinnerungen so lebendig, wo die Geistlichkeit so mächtig und wo der Prätendent, den diese beschützt, vorhanden ist? Die spanische Republik ist mit der unglücklichen Losung des Föderalis¬ mus beladen. Wahr ist es, daß Spanien, wie das frühest centralisirte Land in Europa, so auch das am ungenügendsten centralisirte geblieben ist. Ob es auch nur eine Provinz giebt, wo die Keime gesunder Selbstverwaltung noch vorhanden, läßt sich aus der Ferne nicht beurtheilen. Sicher aber scheint

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/523>, abgerufen am 24.08.2024.